Ansprache zum Fest Mariä Himmelfahrt 2024:
Man hat der Mutter Gottes den Kopf abgeschlagen. Im Dom zu Linz. Einen Monat ist das jetzt her. Die Skulptur der Mutter Gottes hat einen frommen Menschen so provoziert, dass er Hand angelegt hat – mit einer Säge.
Ich denke, ich muss den Zusammenhang für Sie ein wenig verdeutlichen. Die Domherren haben aus Anlass eines Jubiläums Künstler*innen eingeladen, das Bild der Mutter Gottes aus heutiger Sicht den Menschen nahezubringen.
Der Künstlerin Esther Strauss ist dabei eine Skulptur gelungen, die auf den ersten Blick provozieren kann, weil sie etwas darstellt, was bisher noch nie dargestellt worden ist. Die Künstlerin wollte mit ihrer Arbeit, so verstehe ich sie, in eindrücklicher Weise darauf verweisen, dass Gott sich in die Abhängigkeit einer Frau begibt, um seinen Heilsprozess für seine Schöpfung fortzusetzen. Daran ist nichts provokant, das ist unser Glaube.
Wenn ich Sie jetzt einladen würde, ein Bild der Mutter Gottes zu zeichnen oder zu gestalten, was würde Ihnen in den Sinn kommen? Vielleicht eine Maria, die behütend ihr Kind in der Krippe anschaut? Oder eine untröstliche Maria, die den Leichnam ihres toten Sohnes in den Armen birgt? Vielleicht fiele ihnen noch ein Himmelfahrtsbild ein, ich weiß es nicht.
Die Künstlerin Esther Strauss zeigt etwas anderes, was wohl kaum zuvor jemals künstlerisch bearbeitet wurde und was in keiner Kirche bisher zu sehen war. Mit ihrer Arbeit hat sie etwas ins Bild gefasst, was an eine Aussage des Konzils von Ephesus im Jahre 449 erinnert, also schon sehr lange eine verbindliche Aussage unseres Glaubens ist. Dort nämlich wurde in einem Dogma die Mutter Gottes als Gottesgebärerin proklamiert. Und so hat Esther Strauss Maria dargestellt. Als eine gebärende Frau.
Das ist einigen frommen Christinnen und Christen auf den Magen geschlagen. Maria, auf einem Stuhl sitzend, die Beine auseinandergespreizt, die Geburt ihres Erstgeborenen mit schmerzerfülltem Gesicht erwartend. Diese Skulptur macht eines unwiderruflich klar: Da wird ein Mensch geboren, von einer Frau. Das darzustellen mag nun eine Geschmacksfrage sein, aber nichtsdestotrotz sind die Augen der Betrachtenden auf etwas gerichtet, was Gott ein Herzensanliegen ist: „Maria gebar ihren Sohn , den Erstgeborenen (Lk 2,6)
Genau das hat die Künstlerin dargestellt, und es stößt auf Widerspruch bei Vielen. Warum?
„Warum“, so fragt auch der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, „"Warum wurde das zentrale Geheimnis der Geburt bisher nicht dargestellt?“ Und er beantwortet seine Frage gleich selber: „Weil Mann (!) es nicht wollte?" Weil das Menschlichste einer Geburt die Ästhetik unseres Glaubens stört und weil man das Kind in der Krippe lieber anschaut ohne die blutige und schmerzhafte Realität einer Geburt.
Hermann Glettler bezeichnet diese verstörende Arbeit als „radikales Korrektiv“ und als „Ergänzung“ zu allen bisherigen Mariendarstellungen. In vollendeter Weise nämlich zeige diese Arbeit die Mutter Gottes schlicht als Frau, die in der Geburt das durchleben und durchleiden musste, was allen gebärenden Frauen in gleicher Weise zugemutet wird.
Die Menschwerdung Gottes, sie kann nur Wirklichkeit werden dadurch, dass eine reale menschliche Frau ihren Körper zur Verfügung stellt. Die Geburt Jesu ist kein überirdisches Phänomen, die Geburt Jesu ist kein rein geistliches Geschehen. Die Geburt Jesu ist unabdingbar verbunden mit dem menschlich Körperlichen, mit den Wehen einer Frau, mit den Schmerzen und dem während der Geburt fließendem Blut.
Wann immer wir zu Weihnachten auf eine Krippe schauen, so dürfen wir nicht vergessen, dass diesem emotionalen Anblick eine normale, menschliche Geburt vorausgegangen ist. „Und sie gebar in einem Stall“.
Der Kunsthistoriker und Theologe Guido Schlimbach bringt es auf den Punkt, wenn er im Blick auf diese außergewöhnliche Mariendarstellung feststellt: „Es geht nicht darum, die Gottesmutter zu diffamieren oder in irgendeiner Weise negativ darzustellen. Ganz im Gegenteil: es geht darum, ihre Mutterschaft und ihr Muttersein bildlich so hervorzuheben, dass es auch dem Unbeteiligten sehr nahegeht.“
Warum nun fühlt sich ein gläubiger Mann von dieser Skulptur so provoziert? Vielleicht deshalb, weil Männer der Kirche über Jahrhunderte versucht haben, das Bild Marias so zu vergeistigen, so von der Realität des Lebens abzuheben, dass ihre Weiblichkeit – und die Bedeutsamkeit des Weiblichen - dabei gänzlich in Vergessenheit gerät? Mit Bildern, wie in Lieder besungen, von der reinen Magd, werden wir der Teilhabe Marias am Schöpfungsgeschehen wohl kaum gerecht.
Was hat nun die Auseinandersetzung mit diesem ungewöhnlichen Kunstwerk mit unserem heutigen Fest zu tun? Ich denke, die Antwort liegt auf der Hand: Dieses Fest der Himmelfahrt Mariens, darf uns vor Augen führen, dass Gott das Menschliche, das Reale, das Fassbare, all das irdische, was uns Menschen zu eigen ist: dass all das Gott so kostbar, so schützenswert ist, dass er es im Letzten an sich ziehen möchte, es bewahren und vollenden möchte.
Die Himmelfahrt Mariens zeigt uns, dass wir Menschen uns auf Gott verlassen können. Was er geschaffen hat, das vollendet er auch.
Diese Glaubensgewissheit könnte uns ermutigen, wenn wir denn wollten, das Menschsein und menschlich sein über alle Unterschiede des Menschen zu stellen. „Wir sind nicht Mann, wir sind nicht Frau, wir sind eins in Christus“, dürften wir wohl die Worte des Heiligen Paulus ein wenig uminterpretieren. Manche, die Frauen ausgrenzende Diskussionen in unserer Kirche könnten sehr leicht beendet werden, und wir könnten noch radikaler erfahren davon, welche Kraft von diesem Fest ausgeht.
Keine und keiner von uns will der Mutter Gottes den Kopf abschlagen. Davon gehe ich jetzt einmal aus. Aber so lange wir als Quasi-Dogma in unserer Kirche daran festhalten, dass Frauen nicht in gleicher Weise teilhaben dürfen an der Gestaltwerdung unseres Glaubens wie wir Männer, so lange müssen wir uns die Frage gefallen lassen, ob es nicht anmaßend ist, Maria als Vorbild für unseren Glauben anzusehen. Wir schlagen Maria zwar nicht den Kopf ab, aber wir nehmen ihr ihren Körper. Die Körperfeindlichkeit in unserer Kirche, die zu so viel Unrecht und Ungerechtigkeit geführt und auch heute noch führt, steht dem Gedanken des heutigen Festes diametral entgegen.
1950 wurde das Dogma durch Papst Pius XII von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel verkündet.