Aachen. – Nach Ansicht des stellvertretenden Vorsitzenden der kolumbianischen Bischofskonferenz, Omar Alberto Sánchez Cubillos OP, ist die Aachener Heiligtumsfahrt von Hoffnung geprägt. „Lasst uns aber anerkennen, dass ein Aufruf zur Hoffnung manchmal bedeutet, bewusst und geduldig zu unseren Wurzeln zurückzukehren”, betonte der Erzbischof von Popayán bei einer Pilgermesse auf dem Aachener Katschhof. „Jede Reliquie führt uns spirituell in die Vergangenheit zurück, erinnert uns an die Quellen unseres Glaubens und weist uns den Weg zum Geheimnis unseres Heils.“
Erzbischof Sánchez gab deshalb zu bedenken, dass die alle sieben Jahre stattfindende Heiligtumsfahrt deutlich einen Geist der Rückkehr zu den Wurzeln beinhalte. Das Leitwort „Entdecke mich“ sei deswegen nicht nur das Motto dieser Heiligtumsfahrt, sondern vor allem auch die Einladung, mit den Augen des Herzens zu suchen, um im Geist der Weisheit die Hoffnung zu verstehen, zu der Christus aufrufe. „, Entdecke mich‘“ fordert uns auf, uns ernsthaft mit unserem Ursprung auseinanderzusetzen“, mahnte der Erzbischof. Alle, die sich auf Pilgerschaft nach Aachen begeben hätten, sollten nicht ohne persönliche Antwort auf die Frage Jesu „Für wen haltet ihr mich?“ nach Hause zurückkehren. Das Christentum erzähle sein Geheimnis nicht durch große Reden. Es komme darauf an, offen für die Wirklichkeit zu sein, sie zu erleben und mit einem Hunger nach Wahrheit zu enthüllen. „Die Reliquien sind ein Zeichen, und ihre Bedeutung geht über ihre Dinglichkeit und Struktur hinaus“, stellte Sánchez fest. „Sie sind voller Wert und Gefühl des Glaubens. Als Gläubige sollten wir das Potenzial der kleinen Dinge schätzen.“
Des Weiteren erklärte der Erzbischof, es gehe darum, Christus wiederzuentdecken, um uns in seiner Liebe zu erkennen und ihn zu lieben. Die Reliquien zeigten Maria und das Kind, das Lamm Gottes, auf das Johannes der Täufer hingewiesen habe, und Christus in seiner ganzen extremen Liebe. „Wir sind gekommen, um dieses Geheimnis des Heils neu zu entdecken. Jeder von uns muss sich auf die Suche nach dem Sinn der Pilgerreise begeben, die durch diese vier inhaltsreichen Reliquien ausgelöst wird.“ Sanchez forderte deshalb dazu auf, den inspirierenden Wert der historischen Reliquien zu erkennen, sie als eine lebendige Einladung zum Leben und für die Zukunft zu sehen, für die wir Verantwortung trügen. Die Reliquien wiesen auf das große Geheimnis der Menschwerdung hin und ließen uns dieses Geheimnis mit besonderer Bescheidenheit und klarem Realismus sehen. „Man könnte meinen, dass diese Reliquien nur einen Bezug zur Vergangenheit haben“, betonte der Erzbischof von Popayán. „Doch besteht ihr größter Reichtum darin, dass sie uns auch heute zu einer Vision der Zukunft verhelfen können, weil Gott weiterhin zu uns spricht und uns auffordert, seine Gegenwart zu erkennen.“
Sánchez mahnte, das Kleid Mariens rufe heute dazu auf, das Leben als Geschenk Gottes zu verteidigen, jenes Leben, das sich als wenig zukunftsträchtig erweise, weil es gerade jetzt an vielen Orten, inmitten von Krieg, extremer Armut, Verfolgung oder auf einer dramatischen, monatelangen Flucht geboren werde. „Diese Wallfahrt verpflichtet uns auch, uns für die vielen Kinder (ohne Windeln) zu engagieren, die schutzlos der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse beraubt sind und nicht in den Mantel der Zärtlichkeit und Liebe gehüllt werden“, forderte Sánchez. „Wie könnte man sich nicht herausgefordert fühlen von den Reliquien, die von Blut, Schmerz und Tod gezeichnet sind? Blut, vergossen durch exzessive Gewalt gegen das, was anders ist, gegen das, was uns scheinbar bedroht, gegen jenen, der es wagt, die Lüge durch Wahrheit zu entlarven; Gewalt und Tod für den, der grenzenlos liebt.“ Die Spuren des Todes im blutigen Tuch des Martyriums von Johannes seien heute in der Zerstörung der Erde zu sehen, die durch Drogenhandel, Abholzung und illegalen Bergbau hervorgerufen werde. Das Lendentuch Jesu richte die Aufmerksamkeit auf so viele gute Menschen, die aller Dinge und sogar ihrer Würde beraubt worden und in den Klauen von Gewalt oder Armut gefangen seien und den Schmerz einer völlig willkürlichen Marginalisierung und Ausgrenzung erlitten.“ So forderten die Reliquien von früher und heute uns auf, Gottes Fußspuren in unserer Mitte zu erkennen.
Abschließend dankte der stellvertretende Vorsitzende der kolumbianischen Bischofskonferenz dem Bistum Aachen, welches unzähligen Familien in Kolumbien, das unter einem endlosen Bruderkrieg leide, geholfen habe. „Die Kirche von Aachen war für uns in Kolumbien stets eine Quelle des Trostes, der Begleitung und der Hilfe“, würdigte Sánchez im Namen der kolumbianischen Ortskirchen die Unterstützung und Nächstenliebe des Bistums Aachen. „Sie hat so vielen Menschen ohne Hoffnung und Zukunft geholfen, in Würde aufzuwachsen, damit das Blut, das auf dem Tuch unseres Vaterlandes vergossen wurde, nicht vergeblich ist.“
Den Text der Predigt finden Sie hier in der spanischen Originalfassung und hier in der deutschen Übersetzung.
Entdecke mich: die Heiligtumsfahrt Aachen
Seit 1349 kommen Pilgernde, Glaubende, Suchende und Neugierige zur Heiligtumsfahrt, bei der die im Aachener Dom befindlichen Heiligtümer verehrt werden. Bei den Tuchreliquien handelt es sich der Überlieferung nach um das Kleid Marias, das sie in der Geburtsnacht getragen hat, die Windel Jesu, das Enthauptungstuch des heiligen Johannes des Täufers und das Lendentuch Jesu. Sie werden nur alle sieben Jahre dem Marienschrein entnommen. Aufgrund der Corona-Pandemie musste der siebenjährige Rhythmus allerdings unterbrochen werden: Statt 2021 findet die Wallfahrt vom 9. bis 19. Juni 2023 statt.
Das biblische Leitwort für die Heiligtumsfahrt 2023 lautet „Für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,15). Es ist die Frage an die Christen, wie sie Jesus als den von Gott gesandten Christus anerkennen. Ergänzt wird es durch das Motto „Entdecke mich": eine Einladung, das Wahrhaftige im Menschen und in sich selbst zu finden, Christus und den Glauben neu oder anders zu entdecken durch das Erlebnis der Heiligtumsfahrt.
Nähere Informationen zur Heiligtumsfahrt gibt es unter: