Es ist dunkel und früher Abend, ich sitze im Taxi, durch das offene Fenster weht die angenehm warme Abendluft. Ich ziehe meinen Pulli aus, den ich mir in Bogotá übergeworfen hatte. Ich bin auf dem Weg vom Terminal in Ibagué nach Tierra Firme. Ungefähr 25 Minuten Fahrzeit um diese Uhrzeit. Durch ein paar Reisen und einige Ausflüge waren die letzten Monate durch häufiges spätes Ankommen in Ibagué geprägt.
Im November habe ich mit den drei anderen Kolumbienfreiwilligen des SDFV eine Reise in den Amazonas unternommen. Dafür sind wir in den südlichsten Zipfel des Landes, nach Leticia geflogen und haben von dort aus unser Abenteuer gestartet.
Leticia liegt direkt an der brasilianischen Grenze und daher haben wir es uns nicht nehmen lassen, auch mal dort vorbeizuschauen. Den eigentlichen Grenzübertritt bemerkt man aufgrund der fehlenden Kontrollen fast gar nicht. Doch kaum schaut man auf Werbeschilder, Preistafeln oder Uhren stellt man fest, dass man irgendwo anders gelandet sein muss, denn plötzlich wird eine andere Sprache und Währung genutzt und auch die Zeitzone ist nun eine andere.
Das Städchen Leticia ist mit seinen knapp 50.000 Einwohner:innen Hauptstadt des Departamentos Amazonas und besitzt ein großes Aufgebot an Polizei und Militär und einen eigenen Flughafen. Die nächste kolumbianische Autobahn ist 800 km entfernt und somit ist die Anreise mit dem Flugzeug von kolumbianischer Seite obligatorisch.
Leticia ist ein Mix aus Dauerbaustelle, deutlicher Armut und Touris. Von dort aus starten wir unsere Reise und schaffen es nach Umwegen auf das Boot, welches uns nach Mocagua bringt. Dort werden wir freundlich von unserem Guide John begrüßt. Er erklärt uns, dass wir, zu unserer Überraschung, noch eine Stunde mit dem Gepäck durch den Dschungel laufen müssen, bis wir an unserer Schlafstätte ankommen. Nach einer Stunde betreten wir die Lichtung, auf der wir die nächsten Tage nächtigen werden. Verpflegt werden wir von Johns Frau und auch der Rest seiner Familie bemüht sich unglaublich, dass wir eine gute Zeit haben. Wir machen Spaziergänge und Wanderungen durch den Dschungel, lernen die Natur und einige Tiere kennen, ernten Kakao und stellen unsere eigene heiße Schokolade her, sehen traditionelle Flechtkunst und erfahren viel über die Kultur der ansässigen indigenen Gemeinschaft.
Nach der Zeit mit John geht es für uns noch ein bisschen flussaufwärts nach Puerto Nariño. Puerto Nariño ist wieder deutlich größer, doch hat ein ganz anderes Gefühl als Leticia. Motorisierte Fahrzeuge sind verboten und Abfalleimer an jeder Ecke sorgen für ein sehr sauberes Erscheinungsbild.
Nach dem Urlaub ging die Arbeit bei Convern Universal weiter. Concern Universal ist Teil im "Red Nacional en Democracia y Paz" und dieses lud zum Ende des Jahres zu einer Jugendkonferenz in die Nähe von Bogotá ein. Ich nahm mit einer anderen kolumbianischen Freiwilligen der Fundación daran teil. Es war ein Wochenende mit 50 anderen Jugendlichen aus den unterschiedlichsten Teilen des Landes. Wir beschäftigten uns mit der "Comisión de la Verda" (Wahrheitskommission), der politischen Bildungsarbeit mit Kindern und wie man als Verband besser zusammenarbeiten kann. Ich habe aus der Zeit sehr viel mitnehmen können, doch muss ich auch sagen, dass ich gemerkt habe, dass für so viele Menschen auf einmal und solche komplexen Themen mein Sprachniveau noch nicht ausreicht, um souverän teilzunehmen und Kontakte knüpfen zu können.
Im Dezember stapelten sich die Ereignisse. Gemeinsam mit dem Team und den Kindern aus der Nachbarschaft wurde sich intensiv auf Weihnachten vorbereitet. Thematisch richteten sich die Workshops danach, das Gelände wurde geschmückt und dafür ganz viel gemalt und gebastelt. Im Hintergrund lief ununterbrochen Weihnachts-Salsa und an Weihnachtsmannmützen bei über 25 Grad hatte ich mich auch Mitte Dezember immer noch nicht gewöhnt.
In Kolumbien sind die neun Tage vor Weihnachten von besonders großer Bedeutung. Die sogenannten Novenas werden in Tierra Firme traditionell im Nachbarschaftsverband gefeiert und die Fundación lädt jeden Tag am späten Nachmittag dazu ein. Es wird gebetet, gesungen, die mit viel Mühe gestaltete Krippe bewundert und anschließend ein kleiner Snack verteilt.
Nach Weihnachten und Neujahr machte ich mich mit meinen Mitfreiwilligen auf nach Ecuador zum dortigen Zwischenseminar mit den SDFV-Freiwilligen aus Ecuador und Kolumbien. Am Sonntag gelandet, trafen wir uns am Tag darauf mit den anderen am Nachmittag in Baños. Baños ist gut vier Stunden von Quito entfernt und von Thermalquellen und Tourismus geprägt. Im Seminar waren wir mit unserer Leiterin, der Direktorin des Árbol de la Esperanza aus Quito, zu neunt. Gemeinsam hatten wir eine sehr intensive und gute Zeit. Entlang mehrerer Einheiten haben wir chronologisch unseren bisherigen Dienst reflektiert und darüber gesprochen, welche prägenden und schwierigen Situationen uns begegnet sind.
Es zeigte sich deutlich, wie unterschiedliche Erfahrungen wir aufgrund der unterschiedlichen Organisationen und Projekte machen. Und dennoch konnten wir einandner sehr gut verstehen und uns gut austauschen.
Ich hatte für mich ganz konkret erhofft, neue Motivation und Ideen aus den Tagen in Baños mitzunehmen, denn nach einem emotional aufgewühlten Jahresende freute ich mich auf neuen Halt und Zuspruch. Dieser Wunsch wurde erfüllt und ich bin nun mit frischem Wind im Projekt angekommen.
Die Zeit nach dem Seminar nutzten wir, um Baños und Quito sowie die Arbeit im Kinderheim Árbol de la Esperanza kennenzulernen. In Baños haben wir die Thermalbäder, das Baden unter einem Wasserfall und die Aussicht auf die Stadt nach einer Wanderung sehr genossen. Anschließend haben wir in Quito die Altstadt erkundet und die Mitad del Mundo besucht.
Den letzten Tag vor der Rückreise haben wir im Árbol verbracht. Wir haben ein paar der Jungs von der Schule abgeholt und mit ihnen gemeinsam zu Mittag gegessen. Nachmittag waren die Jungs mit Schularbeiten ziemlich beschäftigt, da sie sich auf einige Prüfungen vorbereiten mussten. Doch am frühen Abend wurden die Schulsachen beiseite geräumt und gemeinsam gespielt. Es war sehr spannend, die Strukturen und den Alltag im Heim kennenzulernen und damit verbunden auch die Arbeit der anderen Freiwilligen.
Anschließend an die Zeit in Ecuador ging es für mich mal wieder nach Bogotá. Diesmal zur Zwischenauswertung mit Convern Universal, meiner Entsenderorganisation dem BDKJ und Colectivos por la vida und deren Partner die KJG, die Aufnahme- und Entsenderorganisation von Johannes, meinem Mitfreiwilligen in Bogotá.
Zum ersten Mal fand das Seminar sowohl in Präsenz als auch virtuell statt. Das heißt, ein paar Teile haben wir nun mit den Anwesenden in Bogotá gemacht, doch der Großteil fand als ein Onlinemeeting mit 3 Gesichtern aus Deutschland statt. Johannes und ich stellten unsere Arbeit vor und wir reflektierten gemeinsam die Kommunikation zwischen den Organisationen.
Der Hauptteil war jedoch die Evaluation des Dienstes der Freiwilligen. Anhand verschiedener Methoden wurden alle Beteiligten angeregt, über das Geschehene nachzudenken und zu überlegen, was gut gelaufen ist und was vielleicht verbesserungswürdig ist. Wir hatten einen sehr fruchtbaren Austausch darüber, wie meine bisherige Zeit bei Concern verlaufen ist und wie die Arbeit im Team funktioniert.
Seit dieser Woche sind nach der Weihnachtspause alle Projekte wieder angelaufen und ich werde nun mehr Verantwortung in Workshops mit den Kindern übernehmen. Die Englischkurse wachsen aufgrund erhöhter Nachfrage. Die kommende Zeit möchte ich außerdem nutzen, um zu mehr Projekten in indigenen Gemeinschaften mitzufahren. Denn das ist rückblickend etwas kurz gekommen in den letzten Wochen und Monaten. Seit kurzem haben wir den Freitagnachmittag für gemeinsames Backen mit dem Team reserviert. Bis jetzt gab es kleine Brötchen und Plätzchen. Die Backstube soll zu einem Ritual am Wochenabschluss werden und bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Rezepte aus Deutschland und Kolumbien zu teilen.
Joris
10.02.2023