6. Februar 2022

2022_02_06_Begegnung Tabgha_2016_JR (c) J. Roelofsen
Datum:
So. 6. Feb. 2022
Von:
Christoph Simonsen

Ansprache am 6. Februar 2022:

Wissen Sie, warum ich heute hier stehe? Ich sag’s Ihnen: Weil ich genau vor 50 Jahren am 2. Februar 1972 einen Menschen kennengelernt habe, der mir die Hand bei der ersten Begegnung entgegengestreckt hat und mir sagte: „Ich heiße Herbert, aber alle nennen mich nur Happy“. Happy war unser neuer Kaplan in der Pfarrgemeinde St. Clemens in Süchteln. Wie alt war ich damals? 16 Jahre und ich war Leiter einer Ministranten Gruppe. Das hat mir damals als junger Kerl imponiert. Er sagte nicht: „Ich heiße Joeres und bin euer neuer Kaplan. Er sagte: „Ich heiße Herbert“. 

 

Warum erzähle ich das? Ganz einfach, weil es mir in den letzten Tagen und Wochen immer wieder in meinen Erinnerungen hochkam. Und weil ich bis heute dagegen ankämpfe, als Herr Pfarrer oder Herr Pastor angeredet zu werden. Nicht mein Amt, nicht meine Weihe macht mich zu dem, der ich bin, sondern meine Persönlichkeit. Und es irritiert und es ärgert mich, wenn in unserer Kirche immer noch einem Klerikalismus gefrönt wird, der unterscheidet zwischen Laien und Priestern.

 

In diesen Tagen berät die Vollversammlung des Synodalen Weges in Frankfurt wichtige Fragen. Unter anderem schauen sie auch auf die Machtverhältnisse in unserer Kirche. Spätestens seit der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachten müssten es doch alle in unserer Kirche kapiert haben: Die Macht des Klerus ist eine unheile und eine unheilige. Diese Kirche, die von Klerikern geführt wird, hat so unendlich Leidvolles über die Menschen gebracht, dass man sich schämen muss, ihr anzugehören. Kleriker haben das, was Jesus auf den Weg bringen wollte, besitzergreifend an sich gezogen.

 

„Ich heiße Herbert, aber alle nennen mich nur Happy“. Weil sich Menschen hinter ihren Ämtern und Titeln verstecken, weil sie vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht sind; und weil sie selbst glauben, sie seien als geweihte Häupter den anderen überlegen, meinen sie, sie könnten sich über andere erheben, sie gebrauchen und missbrauchen nach Gutdünken. Weil sie ihrer eigenen Menschlichkeit nicht trauen und nicht vertrauen, tauschen sie sie aus gegen ein Korsett, gemacht aus Macht und Prunk. Ich ahne, dass Sie jetzt denken, dass diese steile These doch wohl sehr übertrieben ist. Und ja, vielleicht überziehe ich wirklich. Aber das System „Kirche“, unabhängig von einzelnen Vertretern, erscheint mir genau so: Unbeweglich, unbelehrbar und zu oft auch arrogant besserwisserisch. Ich bin entsetzt über die Aussagen von Bischof Voderholzer, der in seinem Statement am Donnerstag bei der 3. Vollversammlung des Synodalen Weges den Missbrauch durch Kleriker relativiert und verharmlost und Josef Ratzinger als Quasi-Heiligen für unantastbar erklärt.

 

Eben jener Josef Ratzinger hat als Papst Benedikt XVI zu Beginn des Jahres der geweihten Häupter 2009, wissend um die schändlichen Missbrauchstaten vieler Kleriker, an alle Priester einen Brief verschickt, der mir die Schamesröte ins Gesicht steigen lässt: „Leider gibt es auch Situationen, die nie genug beklagt werden können, in denen es die Kirche selber ist, die leidet, und zwar wegen der Untreue einiger ihrer Diener. Die Welt findet dann darin Grund zu Anstoß und Ablehnung. Was in solchen Fällen der Kirche am hilfreichsten sein kann, ist weniger die eigensinnige Aufdeckung der Schwächen ihrer Diener, als vielmehr das erneute und frohe Bewusstsein der Größe des Geschenkes Gottes, das in leuchtender Weise Gestalt angenommen hat in großherzigen Hirten, in von brennender Liebe zu Gott und den Menschen erfüllten Ordensleuten, in erleuchteten und geduldigen geistlichen Führern.“ 

 

Im Wissen um das Leid der Missbrauchten, spricht Josef Ratzinger davon, dass die Kirche leidet, und dass man über die Schwächen der Verbrecher hinwegsehen sollte, damit die anderen, die „von brennender Liebe zu Gott und den Menschen erfüllt sind“ mehr zur Geltung kommen. Kein Mitgefühl, kein Schuldempfinden, kein Nachdenken darüber, dass vielleicht die Machtstrukturen dieser Kirche genau dazu führen, dass sich Menschen in ihr einnisten, die sich des Amtes und der Macht bedienen, weil sie selber voller Angst sind, ihre eigene Person anzuschauen und unfähig sind, ihre Persönlichkeit konstruktiv, gewissenhaft und angstfrei zu entwickeln. 

 

Können Sie jetzt verstehen, warum ich mich dieser Kirche schäme? Weil sie zuerst sich selbst im Blick hat und alle Kraft darauf verwendet, sich selbst zu erhalten. Warum? Weil sie wirklich glaubt, sie sei der Welt überlegen, und sie sei umzingelt von Feinden aus der Welt. Und dabei vergisst sie, dass Gott in diese Welt gekommen ist, weil diese Welt seine Schöpfung ist.

 

Vor 50 Jahren, am 2. Februar 1972 habe ich Happy kennengelernt, der Kaplan, der sich mir als Mensch und Freund vorgestellt hat; vor 40 Jahren, am 6. Februar 1982 wurde ich zum Priester geweiht, und ich freute mich damals darauf, mit anderen als Mensch und mit hoffentlich vielen als Freund auf gemeinsame Gottessuche gehen zu können. Aber wie schnell war ich selbst auch Teil des Systems Kirche und wie lange hab ich gebraucht, um zu erkennen, wie verführerisch dieses System Kirche ist. 

 

Als bei der ersten Synodalversammlung zur Abstimmung stand, man möge doch bei den Redebeiträgen einander mit dem Namen ohne Titel vorstellen, so kam sofort ein Veto vieler Kirchenvertreter. Man legte wert auf „Herr Bischof, Herr Prälat, Herr Monsignore“. Wie nahe ist mir da der Apostel Paulus heute in dem was er sagt: „Ich bin der Geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden". Paulus meint, was er da schreibt; und er sagt doch eigentlich nichts anderes als: 'Ich bin genauso wie ihr; ich bin einer von euch; ich bin Teil eurer Gemeinschaft'. Und er bringt es auf den Punkt, wenn er bekennt, dass er auch Dreck am Stecken hat, dass er hinter dem zurückbleibt, der er sein könnte und er gerade deshalb der Gnade Gottes und der Unterstützung der Gemeinschaft bedarf. Der Vollkommenheitsanspruch, der oft an Priester angelegt wird ist genau der Grund dafür, dass zu oft des Lebens Untüchtige und sich selbst nicht lieben könnende Menschen in eben diesen Beruf hineindrängen, weil sie sich dort sicher fühlen können, nicht hinterfragt zu werden. 

 

"Ob nun ich verkündige oder die anderen...", so sagt Paulus, ist völlig gleichgültig, Hauptsache ist, dass den Menschen bewusst ist, dass sie erst durch Gottes Gnade das sind, was sie sind. Wie lange müssen wir eigentlich noch darauf warten, dass ein Bischof oder ein Prälat oder ein Monsignore das mal bekundet: Ich habe Dreck am Stecken, ich habe die Kirche mehr geliebt als die Menschen, ich habe eine Lehre verkündet - auch eine Sexuallehre -, die Menschen krank macht, weil sie verhindert, sich frei zu entwickeln. Ich habe Menschen ihres Mutes beraubt, ‚Ja‘ zu sich selbst zu sagen. Und ich habe deshalb ein System aufrechterhalten, welches ermöglicht, dass Menschen missbraucht wurden? 

 

Heute müssen wir einander eingestehen, man kann nicht nur sündigen dadurch, dass man die Kirche verfolgt; Schuld auf sich lädt auch der oder die, die nicht bereit sind, die Kirche in Frage zu stellen. Paulus bringt es auf den Punkt: Das Evangelium schenkt uns Menschen Leben und Zukunft, wörtlich sagt er, das Evangelium rettet uns; der Grund, auf dem wir stehen, sind das Lebensbeispiel und die Worte Jesu. „Ob nun ich verkündige oder die anderen: Das ist unsere Botschaft und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt“. Diese wunderbare göttliche Botschaft ist eine zutiefst menschliche. 

 

„Ich heiße Herbert, aber alle nennen mich Happy“. Happy ist übrigens 3 Monate vor meiner Priesterweihe gestorben mit 33 Jahren. Ich glaube, er ist auch gestorben an der Übermacht dieser Kirche, die lieber den Herrn Pfarrer und nicht Happy in ihren Reihen sehen wollte. Wenn wir als Christinnen oder Christen heute wirklich wieder happy werden wollen, dann müssen wir uns befreien, auch von dieser Kirche, damit eine andere Kirche auferstehen kann.