Ansprache von Christoph Simonsen zu Fronleichnam 2021 - Lesejahr B

Datum:
Do. 3. Juni 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Brot statt Brokat

„Eigentlich“ ist das Wort der Stunde; Christoph hat den Gottesdienst ja eben auch mit diesem Wort begonnen nach dem Kreuzzeichen: Eigentlich hätten wir heute festlich die Heiligtumsfahrt begonnen; eigentlich sollte dieser Morgen heute ein ganz besonderer werden.

 

Aber in unseren Zeiten ist eben nichts wie immer. Dieser Ausnahmezustand der Corona Pandemie  zwingt uns in eine ungewohnte Nachdenklichkeit. Diese Zeit der Pandemie hat vieles verändert. Was eigentlich selbstverständlich war, wird unverhofft zu einer Frage. Und es ist gut, dass wir hinterfragen, was eigentlich selbstverständlich ist. Denn in allem sich Sehnen nach dem Eigentlichen verbirgt sich auch die Gefahr, unseren Glauben loszulösen von den Wirklichkeiten unseres Lebens.

Ein Erinnern führt uns unmissverständlich zu der Frage: Ist das, was war; ist das, was so vertraut ist, auch heute noch tragfähig. Trägt heute das, was gestern noch getragen hat? 

 

Ja: sich erinnern ist zuweilen sehr heilsam. So erinnere ich mich an meine erste Fronleichnamsprozession: 

 

Es war nach meiner Erstkommunion 1964 und wir Kinder liefen mit unseren Kommunionanzügen bzw. Kommunionkleidern hinter dem Baldachin her, unter dem der Kaplan die Monstranz mit dem Allerheiligsten trug. Ich erinnere mich an ein undefinierbares Gefühl von Ergriffenheit und Ratlosigkeit in mir. Alles um mich herum war so ernst und streng. Wir liefen hinter einem goldenen Gefäß her, darin das Brot, das der Leib Christi sein sollte. Wir liefen also hinter dem Sohn Gottes her, bzw.: er ging uns voran. Wen sollte es da wundern, dass wir alle so wahnsinnig andächtig waren und so ganz anders über die Straßen gingen als sonst. 

 

In dieses Gefühl der Ergriffenheit webte sich allerdings auch Angst hinein: Angst, was falsch zu machen und diesem würdevollen Unterfangen nicht zu entsprechen; auch Angst, diesem Gott nicht zu genügen, der sich da so prachtvoll in Gold und Brokat eingewickelt offerierte. 

 

Und dann war da noch ein ganz anderes Gefühl: In meinem Kommunionanzug fühlte ich mich tierisch unwohl; ich fühlte mich genauso verkleidet, wie dieses Stück Brot da in der Monstranz verkleidet war. Ich fragte mich, ob sich Jesus in diesem wahnsinnig komischen Gefäß nicht so unwohl fühlen müsste wie ich in meinem Kommunionanzug.  Und bei dem Gedanken musste ich plötzlich lachen, laut lachen; so laut, dass sich der Kaplan mit ernstem Gesicht umdrehte. Man wagt es ja heute – in Zeiten der Missbrauchsproblematik – kaum auszusprechen, aber der Kaplan übergab das goldene Gefäß dem Pastor, der neben ihm ging, um mir dann mit grimmigem Gesicht eine Ohrfeige zu verpassen. Das war meine erste Erfahrung mit dem Fest Fronleichnam, an die ich mich erinnere.

 

Die zweite erinnerungwürdige Erfahrung war später, viel später, irgendwann Anfang der Achtziger Jahre.  Da war ich Kaplan und da trug ich die Monstranz unter dem Baldachin und hinter mir gingen die Kommunionkinder des damaligen Jahrganges. Die Rollen haben sich vertauscht, aber das Gefühl, in diesem Augenblick war genau das gleiche geblieben wie damals:  eine Mischung aus Ergriffenheit und Ratlosigkeit. Und da war dieses Unwohlsein, Gott in solch einem Gefäß durch die Straßen tragen zu sollen. 

 

Inzwischen hatte ich 6 Jahre Theologie studiert. Das Sakrament der Eucharistie, das Geheimnis der Gegenwart Gottes in den einfachen Zeichen von Brot und Wein wusste ich zu deuten; ich vermochte es dogmatisch, pastoral- und fundamentaltheologisch zu erklären. Und mir wurde ein handwerkliches Rüstzeug mitgegeben für die Katechese mit Kindern und Jugendlichen. 

 

Der Begriff der Transsubstantiationstheologie war mir nicht fremd. Die beruft sich auf Aristoteles, der unterschieden hat zwischen der Substanz und der Materie. Die Materie sei das, was man sehen kann und fühlen und riechen; die Substanz dagegen sei dasjenige, was hinter dem Fassbaren liege und was man mit den Sinnen nicht wahrnehmen könne. In der Feier der Eucharistie wird so die Substanz gewandelt, während die Materie unverändert bleibt. Im Gebet über die Gaben des Brotes und des Weines vollzieht sich eine innere Wandlung. Die äußeren Akzidenzien, die Materialien sozusagen, bleiben, aber die innere Substanz, das Wesentliche, das hinter den Materialien eigentlich Bedeutsame, das ändert sich. 

 

Das alles ist wahr und richtig, zweifelsohne. Und mir hilft die theologische Reflexion, heute mit Andacht und doch zugleich auch mit einer gelassenen Natürlichkeit Gottesdienst zu feiern, denn Gott ist ja der Handelnde, ich und wir sind die Beschenkten. Aber ich frage mich dennoch, ob dieses Wissen das Entscheidende ist. Ob nicht eine andere Erkenntnis viel naheliegender ist und uns heute anders und mehr einladen könnte, Eucharistie zu feiern.

 

Ich möchte viel lieber über dieses Stück Brot nachdenken als über irgendwelche theologischen Theorien. Brot ist mehr als Mehl und Wasser und Ei; Brot ist Lebens-Mittel, Brot schenkt Leben, nährt das Leben, gibt dem Leben Kraft, ist die Grundlage für Leben. Ohne Brot würde das Leben kraftlos und ohne Kraft fehlte uns Menschen jegliche Gestaltungsmöglichkeit und das Leben würde uns entgleiten.  Das Brot ist ein wunderbares Lebensmittel und es ist sicher kein Zufall, dass Jesus gerade das Brot als Zeichen wählt, sich für alle Zeiten in das Leben der Menschen hineinzulegen. 

 

Sein Leben, seine Lebensquelle, seine Lebenshoffnung, seine Lebenswahrheit dürfen wir in dem gewandelten Brot in uns aufnehmen; wir sollen sie essen, uns zur Stärkung.  Alle theologischen Eigenheiten, die die Konfessionen miteinander diskutieren lassen, verblassen für mich in dieser wunderbaren Freundschaftsgabe Jesu, sich uns zu schenken, ganz zu schenken, mit Leib und Seele zu schenken, damit wir wachsen und gedeihen können.

 

In mir bleiben Ergriffenheit und Ratlosigkeit - auch heute. Aber ehrlich gesagt bleibt in mir auch die Frage bis heute offen, warum wir Menschen diesen wunderbaren Gott, der uns hautnah kommen möchte, der sich uns einverleiben möchte, der Teil unseres Lebens sein möchte, warum wir diesen lebensnahen Gott, diesen einfachen Gott, diesen unkomplizierten Gott, in Gold und Brokat wickeln. Den Gott, der unter uns leben möchte, der in uns leben möchte, den verschließen wir in weltfremde Gefäße. Und der Gott, der beseelt war davon, die Menschen zusammenzuführen und zu verbinden, was getrennt war, der wurde in der Vergangenheit durch die Straßen getragen von den Katholiken, um die Protestanten bloßzustellen, weil jeder für sich in Anspruch nahm, das wahre Verständnis der Eucharistie zu besitzen. So nämlich wurde nach der Reformation das Fronleichnamsfest gedeutet. 

Es ist ein großer Irrtum zu glauben - von welcher Glaubensrichtung auch immer - man könne Gott besitzen. Gott ist niemals Besitz für niemanden, Gott ist immer Anspruch für alle. Jede Teilnahme am Mahl Jesu und jede Teilhabe an seinem Lebensgeschenk muss mir und uns Anspruch sein, immer wieder neu werden, Gottes Geist zu erden und ihn gerade nicht in die Sphären des Unerreichbaren zu erhöhen.

 

Eigentlich vermute und befürchte ich ja ein wenig, haben Sie/ habt Ihr eine flammende Festpredigt zur Anbetungswürdigkeit des Allerheiligsten Sakramentes erwartet. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch und Sie und Ihr seid dankbar und zufrieden mit einem kleinen Stück Brot, das sie und euch sättigen möchte - und das würde mich freuen[.