Evangelium Mt 14, 37-44
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Wie es in den Tagen des Noach war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen und tranken und heirateten, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Dann wird von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, einer mitgenommen und einer zurückgelassen. Und von zwei Frauen, die mit derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine zurückgelassen. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.
Ansprache
Warum krieg ich den Eindruck nicht los, dass mir da jemand die gute Laune verderben will? Am 1. Adventsonntag Weltuntergangsstimmung verbreiten, das find ich ganz schön mies.
Die Zeit des Advent, sie weckt Kindheitserinnerungen bei mir. Im Dezember jeden Tag ein Türchen am Adventkalender aufmachen zu dürfen, sich freuen dürfen auf etwas, was es schon bald zu feiern gibt, Weihnachten nämlich. Advent, das ist doch eigentlich eine Zeit des Lichtblicks in dunklen Dezembertagen. Das ist Plätzchen backen, abends mit Freunden ein Glas Glühwein trinken auf dem Weihnachtsmarkt, das ist sich Gedanken zu machen, wie man wem eine Freude bereiten kann mit einem kleinen Geschenk.
Adventzeit, das ist doch irgendwie eine Zeit des Ausnahmezustandes frohmachender Gefühle und Gedanken; das ist eine Zeit sinnlicher Gefühle.
Nun spüren wir alle, dass wir tatsächlich heute in einer Welt leben, die permanent im Ausnahmezustand agiert aber leider einem Ausnahmezustand ganz anderer Providence. Von daher dürfte uns eigentlich der Einblick des heutigen Evangeliums in das Weltgeschehen nicht verwundern. Präsidenten, die mit dem Schicksal der Welt spielen. Fanatiker aller Religionsgemeinschaften, die andere terrorisieren und sich in selbstherrlicher Weise über andere erheben. Und das eben nicht immer nur die anderen – die Muslime zum Beispiel – das ist auch eine miese Untugend von Christen. Auch in Mönchengladbach gibt es Christ*innen, die meinen, über den Glauben anderer herrschen zu dürfen. Es gibt eine Entfesselung der Emotionen, die sich in den Netzforen ohne jede Hemmung entladen. Es gibt eine Ignoranz der Schöpfung Gottes gegenüber, die fast schon selbstzerstörerische Kräfte offenlegt. Der Beispiele einer selbstverantworteten Untergangsstimmung gäbe es noch mehr.
Wir können die Wirklichkeit unseres Lebens und der Welt doch nicht mit einem Glas Glühwein, leckeren Plätzchen und einem schön geschmückten Adventkranz vergessen machen. Wird uns darum ausgerechnet heute die bittere Wirklichkeit unserer Begrenztheit vor Augen geführt, die Unwiderruflichkeit unserer Endlichkeit, die Kläglichkeit unseres Lebens? Werden wir deshalb daran erinnert, dass sich die Sonne verfinstern wird, dass Himmel und Erde erschüttert werden und die Menschen jammern und klagen werden? Dass wir das in diesen schönen Wohlfühltagen nicht vergessen?
Jetzt könnte einer dagegenhalten: Ausgerechnet heute am 1. Adventsonntag dies zu hören macht doch eigentlich kaputt, was uns so Not tut: Hoffnung. Soll vielleicht mit diesen barschen Worten die Sinnlosigkeit unserer oberflächlichen Freude entlarvt werden, die Vergeblichkeit unserer Erwartungen? Sollen wir so auf infame Weise unserer Freude entrissen werden, damit wir uns rascher fügen in das Schicksal unserer Tage? Es scheint, als hätte der Evangelist Freude daran, uns mit der Härte des Lebens zu konfrontieren, damit wir gewahr werden, dass allein Gott die Gabe eines Gnadenerweises zukommt und wir uns Erlösung verdienen müssen. Wir Menschen sind klein, Gott allein ist groß. Der Bruder-Gott, der Freund-Gott, den wir als Kind so sehr ersehnt haben, ist nur eine Illusion und ein Trugbild unserer menschlichen Einbildung. In Wirklichkeit ist Gott ganz anders.
Als Kind sind wir wohl verschont von solch schonungsloser Offenheit, aber heute, als Erwachsene, da bleibt keine andere Wahl, als sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass unser Leben und auch dass unser Gott anders ist und dass diese Zeit andere Akzente setzt, als dass Kerzenschein und Zimtgebäck uns erfüllen würden. Unser Leben ist anders und Gott ist anders.
Im heutigen Evangelium zum 1. Advent werden wir auf das andere verwiesen. Gott ist nicht dieses oder jenes, Freund oder Allmächtiger, Gott ist alles. Er ist alles in allem. Er ist im Anfang und er ist im Ende. Er ist Ermutiger und Ermahner. Er ist und er wird.
Diesen Gott mit Freude erwarten, diesen Gott, der mächtig wie ohnmächtig ist, das stünde uns heute gut an. Diesem Gott entgegenwarten, von dem wir alles erwarten dürfen und der doch alles in unsere Hand legt, das zeichnet erwachsenen Glauben aus.
Ob es uns gelingt, angesichts dieser schonungslos ehrlichen Gott-Mensch-Begegnung, mit guter Gesinnung, mit freudiger Erwartung und mit geschenkbereiter Offenheit zuzugehen auf den Tag der Menschwerdung? Eben in kindlicher Erwartung und in erwachsener Klarheit sich diesem Gott anvertrauen, der Anfang und Ende ist, der in allem dazwischen ist und der uns nichts nimmt von der Wirklichkeit unseres Lebens, aber mit uns lebt, um mit unserer Menschlichkeit alle Wirklichkeit zu verwandeln auf ein neues Morgen hin?
Nein, die Worte der Schrift sind keine Miesmacher; sie wollen nicht unsere Kindheitsträume entzaubern. Vielmehr wollen sie die Geschichte unseres Lebens einbinden in ein ehrliches Ganzes; sie wollen Erwartungen wecken und Verantwortungen einen Sinn geben; sie wollen Türöffner einer grenzenlosen Freude sein in einer begrenzten Welt und sie wollen Wortgeschenke sein, damit unsere Geschenke füreinander Lebensgeschenke werden.
Christoph Simonsen