Ansprache von Christoph Simonsen zum 12. Sonntag im Jahreskreis (A)

Datum:
So. 21. Juni 2020
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium (Matthäus 10,26-36)

Jesus spricht: Darum fürchtet euch nicht vor ihnen. Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern. Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge. Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. 33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.

 

‚Angst machen‘ ist nicht

Ich weiß nicht, wo ihr beim Hören mit euren Gedanken hängen geblieben seid. Vielleicht habt ihr euch, wie ich mich selbst auch, gefragt, wo der innere Zusammenhang dieser Aneinanderreihung von Gedanken und Bildern ist. Da ist die Rede von „Verhüllen-enthüllen“; „verbergen-bekannt machen“; „Leib töten oder Seele und Leib ins Verderben stürzen“; von Spatzen und Haaren ist die Rede, von Furcht, von bekennen und verleugnen. Von Himmel und Hölle ist die Rede. 

 

Mir erscheint das alles sehr verworren und ich suche nach einem roten Faden. Ein Wechselbad von Gefühlen kommt auf, wenn ich diesen Text höre und lese. 

 

Was immer die Quintessenz dieser Rede Jesu ist; diese Ansprache mutet seinen Freunden ganz schön was zu, und zwar nicht nur sprachlich und gedanklich. Vielleicht ist das ein erster Zugang zum Text, sich bewusst zu werden: Zu glauben ist eine Zumutung. Was Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern voraussagt ist, dass Glaube kein Hobby ist, kein Freizeitvergnügen, kein „ich-lass-es-mir-gut-gehen-Garant“. 

 

Glaube ist Wagnis: „Ja sagen“ zu etwas, was unfassbar, unbeweisbar ist und doch zugleich das ganze Leben in Anspruch zu nehmen erwartet. Glaube ist: sprachlos, stammelnd vor einem Geheimnis stehen, unerklärbar, unbegreiflich und doch so einsichtig, so naheliegend, dass man es in sich spüren kann, dieses Lebensgeheimnis. Und Glaube ist: Nicht im Dunkeln lassen, was ans Licht möchte, nicht geheim halten, was bekannt gemacht werden soll, Glaube und Leben dürfen nicht nebeneinander existieren.

 

Auf den Punkt gebracht: Jesus möchte, dass wir uns zu ihm bekennen. Wenn ich mich selbst so reden höre, wird mir ganz mulmig. Mir scheint, ich rede, wie diese vollmundigen Katholiken, die sich hautnah am Herzen Jesu wähnen und anderen Vorhaltungen machen, dass ihr Leben so weit von der Mitte des wahren Glaubens entfernt sei. Nichts ist mir widersinniger als ein zu selbstbewusst bekennender Glauben. Mir persönlich ist so ein Bekenntnisglaube fremd, vor allem dann, wenn er anderen ihren Glauben abspricht. Man mag mir das verzeihen, aber so ein Christentum, das sich in den Vordergrund drängt, sich anderen vielleicht sogar aufdrängt, ist mir suspekt. Suspekt, weil ich dann die Gefahr sehe, dass anderes Leben, anderer Glaube, andere Überzeugungen nicht genügend wertgeschätzt werden. Und gerade in unseren Tagen sollten wir erkennen, wie wichtig es ist, Pluralität als einzige Möglichkeit zu erkennen, in Frieden miteinander leben zu können.

 

Mit Texten wie den eben gehörten, wurde in der Vergangenheit Menschen der Glaube oft zwar eingemeißelt in die Köpfe, aber nicht eingesenkt in die Herzen. Mir ist noch eine Ansprache von Papst Franziskus im Gedächtnis, der vor einer „Flucht ins Religiöse“ warnte. Manchmal habe ich den Eindruck,P dass das einige heute versuchen, um der Komplexität des realen Lebens auszuweichen. 

 

Aber was wäre das für ein Glaube, der aus Angst heraus angenommen wird, auch aus Angst vor der Welt? Das kann doch nicht Jesu Intention sein, aus einer imaginären Angst heraus, den Glauben in der Welt zu verankern. Aus Angst vor Hölle sich einem Gott an den Hals werfen, nicht, weil dieser Gott groß ist und wunderbar, sondern mächtig und angsteinflößend. Aber genau das gibt der Text doch her: Dieses „entweder-oder“, entweder Gott oder Teufel, entweder Himmel oder Hölle. Jesus selbst sagt es doch: Wir Menschen können unser Leben vertun. Wer sich dem Glauben verweigert, wird stürzen und zwar in die Hölle stürzen, also in die aussichtsloseste Aussichtslosigkeit, die man nur denken kann.  Wer sich bekennt, der wird im Himmel bekannt gemacht werden. Im Klartext heißt das: Friss oder stirb.

 

Oder ist alles doch ganz anders? Jesu Absicht ist gar nicht, seinen Freunden Angst einzujagen. Vielmehr spricht Jesus von einer eigenen Sorge, die ihn umtreibt. Die Sorge, seine Freundinnen und Freunde würden ihren eigenen Erfahrungen nicht trauen, die sie mit ihm gemacht haben; die Sorge auch, sie könnten an ihm verzweifeln, wenn er seinen Weg eben so konsequent geht wie wir ihn ja bereits kennen, den Weg, der am Kreuz enden wird. Vielleicht ist es sogar die Sorge Jesu, alleine gelassen zu werden, weil er das Leben so gegen den Strich bürstet, gegen den Strich der Normalität und der gesellschaftlichen wie auch religiösen Strukturen. 

 

Dem, der nicht glaubt, wird die Androhung von Höllenstrafen nichts ausmachen; für wen es Gott nicht gibt, wie sollte dem ein Teufel Angst einjagen. Dem aber, der glaubt, kann die Androhung der Hölle aber doch ebenso wenig etwas anhaben; denn aus der Lebenserfahrung Jesu heraus und aus seinen Predigten kann es schließlich nur einen liebevollen und zugewandten Gott geben, keinen letztendgültig strafenden Gott, einen Gott, der einen fallen lässt. Nein, Jesus ist kein Angsttreiber.

 

Hören wir noch mal die erste Aufforderung Jesu: „Fürchtet euch nicht vor den Menschen“, ruft er den Seinen zu. Nicht Gott lehrt die Menschen das fürchten, sondern die Menschen selbst sind es, die einander Angst einjagen. Wenn sie einander mit ihren Ansprüchen begegnen, wenn sie ihre Maßstäbe anlegen an ein gelingendes Leben; Menschen verteufeln einander, niemals Gott.

Ich glaube, über diesen Text könnte man noch stundenlang nachdenken und ich könnte noch stundenlang mit euch darüber reflektieren. Er wirft immer wieder neue Fragen auf. Glaube ist eben nicht nur eine Zumutung, sondern auch ein immer wieder neues Fragen. Glauben ist nie fertig. Im Letzten ist Glaube Arbeit, Arbeit und Pflege. Wie in einer Beziehung. Denn das ist Glaube vor allem: Ein Beziehungsgeflecht zwischen Gott und Mensch, oft sehr erfüllend, manchmal auch mühsam, aber nie vergeblich.

Christoph Simonsen