12. Sonntag im Jahreskreis (B)
Evangelium nach Markus (4,35-41)
Am Abend dieses Tages sagte er zu ihnen: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; und andere Boote begleiteten ihn. Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm und die Wellen schlugen in das Boot, sodass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Da ergriff sie große Furcht und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser, dass ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen?
Ansprache
Jede und jeder von uns hat wohl so etwas, was man gemeinhin einen persönlichen Lebensrhythmus nennt. Der eine ist eher der Morgenmuffel und drückt frühestens um 10.00 Uhr die innere Powertaste, die andere versprüht in der Frühe so viel Energie, dass dem anderen angst und bange wird.
Aber wie immer wir gestrickt sein mögen, selbst wenn wir die Nacht zum Tag gemacht haben, irgendwann kommt das schönste Beisammensein mit Freundinnen und Freunden oder das lange vorbereitete Familienfest mal an ein Ende und der Zeitpunkt ist da, wo man sich fallen lassen möchte –und zwar nicht nur ins Bett, sondern auch in eine innere Abständigkeit von allem, was einen am Tag beschäftigt hat.
Dann dürfen Körper und Geist sich darauf freuen, zur Ruhe zu kommen. Dieser Augenblick vor dem Einschlafen - spätestens, wenn man sich vielleicht zuvor noch von der Partnerin oder vom Partner eine gute Nacht gewünscht hat – dieser Augenblick ist dann nur noch für mich da, ich darf ganz bei mir sein und im besten Sinne mich aufgehoben wissen im Schoß Gottes.
Das ist der Moment vor dem Einschlafen, wo man sich vom Tag verabschiedet und alles hinter sich lassen kann, manchmal dankbar, manchmal vielleicht auch etwas wehmütig und womöglich ist auch noch eine gewisse Unzufriedenheit spürbar, aber die Hoffnung eines neuen Tages kann auch dann in eine zum Schlaf führende Ruhe führen.
Nun, das ist heute in der Erzählung des Evangeliums ganz anders und wieder einmal wird offensichtlich, dass die Botschaft Jesu ziemlich herausfordernd sein kann. Den Jüngern ist keine Ruhe vergönnt; entgegen aller Erfahrung fordert Jesus sie auf, noch mal aufs Meer hinaus zu rudern, neuen Ufern entgegen.
Ja, es ist so, ich bin mir sicher, dass wir uns für jede Nacht freuen, in der wir gelassen schlafen konnten, den vergangenen Tag zurücklassend und den kommenden erwartend. Aber so ist es nicht immer. Wer kennt nicht die schlaflosen Nächte, die entsetzlich lange sein können, in denen man sich schweißgebadet herumwälzt und einem tausend Gedanken durch den Kopf gehen; Lebensperspektiven geraten ins Wanken, Freundschaften werden in Frage gestellt, ursächliche Sinnfragen bringen einen in Rage – und das alles, obwohl der Schlaf so sehr Not tut.
Jesus mutet das seinen Freundinnen und Freunden zu; er erwartet, dass wir uns auch am Abend nach getaner Arbeit und den vielen Dingen, die der Tag mit sich gebracht hat, doch noch einmal aufmachen, um dem Leben einen tragfähigen Sinn abzuringen.
Manchmal braucht es die Unruhe der Nacht, in der wir uns unseres Lebens, unseres Lebenssinnes vergewissern müssen.
So sollen sich die Jünger in der Nacht aufs Meer begeben. Seit Menschengedenken steht das Bild des Meeres in den Kulturen für eine chaotische, nicht kontrollierbare Welt. Viele Bilder in den Nachrichten und in den sozialen Netzwerken führen uns tagtäglich unweigerlich vor Augen, wie wild das Wasser sein kann. Gerade in der letzten Zeit müssen wir uns damit auseinandersetzen: Menschen, die vom Wasser im wahrsten Sinn des Wortes aus ihren Wohnungen und Häusern herausgespült werden; Menschen, die weggerissen werden von den Fluten. Das sind furchtbare Bilder, aber sie sind leider fast schon an der Tagesordnung.
Bei allem, was wir Menschen vermögen, wir sind halt doch hilflose Geschöpfe, ausgeliefert dem Unwillen der Natur, ausgeliefert so vieler tragischer Realitäten, mag es eine plötzliche Erkrankung sein, mag es eine Traurigkeit sein, die einem den Lebensmut raubt. Nichts im Leben ist so sicher, wie wir es uns wünschen würden. Wir werden ins Leben hineingeworfen. So gern ich wollte, auf das Leben kann ich mich nicht vorbereiten.
Manche meinen, sie könnten das Leben einfacher werden lassen dadurch, dass sie Medikamente nehmen, die leichter schlafen lassen, die entspannter leben lassen, die angstfreier gehen lassen. Die Erzählungen der Bibel haben eine andere Botschaft. Sie sagen, dass man im Letzten nicht ausweichen kann und nichts beschönigen kann.
Aber alle diese Bilder, mögen sie noch so grausam lebensnahe sein, sie erinnern daran, was wir einander in jedem Gottesdienst immer wieder zusprechen: „Der Herr ist mit dir…. Und mit deinem Geiste“. Gott sitzt mit im Boot. Der Glaube, der uns hier zusammenführt ist keine Beruhigungstablette. Der Glaube möchte so kraftvoll sein, dass wir zum Leben Ja sagen können, ohne uns wegzubeamen in eine Traumwelt.
Der Glaube möchte uns helfen, die Realitäten des Lebens anzunehmen. Nicht und nichts verdrängen, sondern sich stellen. Glaube ermöglicht mir einen ehrlichen und wahrhaftigen Bezug zu mir selbst und zu der Welt, in der ich lebe. Und das, ohne an dieser Wirklichkeit zu zerbrechen. Glaube überwindet nicht die Angst; Glaube setzt sich erwartungsvoll mit den Phänomenen der Angst auseinander.
Vielleicht ist die Frage Jesu an die Jünger gar nicht vorwurfsvoll gemeint, sondern als Einladung gedacht, sich offen und ehrlich mit der Angst auseinanderzusetzen. Zu glauben und Ängste wahrzunehmen nicht als sich ausschließende Lebens Konstrukte zu sehen, sondern als einander sich ergänzende und bereichernde. „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“, könnte auch so verstanden werden, dass Jesus den Jüngern eine Möglichkeit eröffnen möchte, dass ihr Glaube nicht vor der Angst zu kapitulieren braucht, sondern hilft, sie vielmehr als das zu erkennen, was sie im Wesentlichen ist: eine Wirklichkeit, die den Menschen die Kostbarkeit und zugleich die Endlichkeit des Lebens vor Augen führt. So wird es möglich, für die Kostbarkeit Dank zu entwickeln und zugleich an der Erfahrung der Endlichkeit nicht zu verzweifeln.
Die letzte Folie eines Vortrages, den ich letztens hören durfte, wies folgenden Spruch auf:“Everyting you want is on the other side of fear“. ‚Alles, was du willst, ist auf der anderen Seite der Angst‘.