Ansprache von Christoph Simonsen zum 12. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B

Evangelium nach Markus (4,35-41)

Am Abend dieses Tages sagte er zu ihnen: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; und andere Boote begleiteten ihn. Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm und die Wellen schlugen in das Boot, sodass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Da ergriff sie große Furcht und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser, dass ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen?

Ansprache

„Ich habe Angst“. Da, wo ansonsten das berühmte Kreuzigungsbild Petri hängt, das Peter Paul Rubens seiner Taufgemeinde geschenkt hat, stand es mit großen Lettern auf der Apsis Wand der Kirche geschrieben: „Ich habe Angst“. 

Die Künstlerin Rosemarie Trockel hat diese Botschaft auf die Stirnwand der Kirche St. Peter in Köln geschrieben. Unmissverständlich, schnörkellos wird eine menschliche Regung auf die Wand geschrieben; sie steht da und sie ist nicht zu übersehen: „Ich habe Angst“. Der Künstlerin ging es – so hat es einmal der Jesuit Friedhelm Mennekes geschrieben – um eine Form der Zuwendung, die den Betrachtenden eine Möglichkeit eröffnet, anders auf etwas hinzuschauen als sonst. 

Die meisten von uns würden wohl dieses stechende Gefühl, das einen überfällt, wenn einem angst und bange wird, so schnell als möglich überwinden wollen. Aber – um auf die Interpretation von Mennekes zurückzukommen – kann es nicht auch sein, dass ein Angstempfinden die Chance eröffnet, die Welt, das Leben, die Menschen ganz neu zu wahrzunehmen, so dass dann Unerwartetes möglich wird? Angst ist ein menschliches Grundphänomen und wer immer versucht, Angst zu leugnen, zu verdrängen, zu vertuschen, der wird zum Sklaven der Angst anstatt zu ihrem Gestalter.

„Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ Mich irritiert die Frage Jesu. Sie irritiert, weil sie den Eindruck erweckt, dass, wer nur genug glaubt, angstfrei durchs Leben geht. Ich frage mich, ob das ein hehres Ziel ist, angstfrei durchs Leben zu kommen. Mir kommt en katholischer Slogan in den Sinn: „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“. Nein, Mauern ab einer bestimmten Höhe überspringe ich nicht mehr. Wenn ich sie überwinden will, muss ich mir einen anderen Weg suchen; entweder drumherum gehen oder mir eine Leiter besorgen oder ich muss schlicht respektieren, dass ich da nicht rüber komme. Eher müsste der Spruch für mich lauten: ‚Mit meinem Gott akzeptiere ich Mauern‘.

Anders formuliert: Mein Glaube lehrt mich zunächst einmal, die Realitäten des Lebens anzunehmen  . Er ermöglicht  mir einen ehrlichen und wahrhaftigen Bezug zu mir selbst und zu der Welt, in der ich lebe. Ohne, und das ist der kleine aber feine Unterschied, ohne an dieser Wirklichkeit zu zerbrechen. Glaube überwindet nicht die Angst; Glaube setzt sich erwartungsvoll mit den Phänomenen der Angst auseinander.

Vielleicht ist die Frage Jesu an die Jünger gar nicht vorwurfsvoll gemeint, sondern als Einladung gedacht, sich offen und ehrlich mit der Angst auseinanderzusetzen. Zu glauben und Ängste wahrzunehmen nicht als sich ausschließende Lebens Konstrukte zu sehen, sondern als einander sich ergänzende und bereichernde. „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“, könnte auch so verstanden werden, dass Jesus den Jüngern eine Möglichkeit eröffnen möchte, dank ihre Glaubens nicht vor der Angst zu kapitulieren, sondern sie vielmehr als das zu erkennen, was sie im Wesentlichen ist: eine Wirklichkeit, die den Menschen die Kostbarkeit und zugleich die Endlichkeit des Lebens vor Augen zu führt. So wird es möglich, für die Kostbarkeit Dank zu entwickeln und zugleich an der Erfahrung der Endlichkeit nicht zu verzweifeln. 

Die letzte Folie eines Vortrages, den ich am vergangenen Mittwoch hören durfte, wies folgenden Spruch auf:“Everyting you want is on the other side of fear“. ‚Alles, was du willst, ist auf der anderen Seite der Angst‘. 

„Ich habe Angst“. Als Glaubende brauchen wir keine Angst vor der Angst zu haben. Auf der anderen Seite der Angst erwartet uns das, was wir vorher noch nicht einmal erahnen konnten. 

--  Christoph Simonsen Leiter der Citykirche Mönchengladbach Kirchplatz 14 41061 Mönchengladbach Telefon: +4921612472414 https://www.citykirche-mg.de