Evangelium: Mk 1,1-8
Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes: Es begann, wie es bei dem Propheten Jesaja steht: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen. Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! So trat Johannes der Täufer in der Wüste auf und verkündigte Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden. Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften, und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig. Er verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren. Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.
Ansprache
Warten Sie auch, dass der Nikolaus Ihnen diese Nacht etwas Süßes in die Schuhe steckt; es gibt Wartezeiten, die einen mit Freude erfüllen. Und auch wenn Ihnen heute als Erwachsener diese schöne Erwartungshaltung verloren gegangen sein sollte, was natürlich schade ist, dann erinnern sie sich vielleicht noch an Ihre Kindertage. Es gibt Wartezeiten, die alles andere als langweilig sind, die einen mit frohem Herzen nach vorne schauen lassen.
Und dann gibt es aber auch andere Wartezeiten; Zeiten, die einem vorkommen wie eine Ewigkeit. Wenn man zum Beispiel im Dezember auf dem Bahnsteig steht und ungeduldig auf den Zug wartet, der wieder mal Verspätung hat und man sich bibbernd vor Kälte die Beine in den Bauch steht.
Einer, der fast sein ganzes Leben mit Warten zubrachte, war Johannes der Täufer. Sein Warten glich aber weder einem kindlichen Sehnen nach Dingen, die einem das Leben versüßen, noch war er in irgendeiner Weise verbiestert wie die ungeduldig wartende Person auf dem Bahnsteig. Aber in einem war Johannes der Erwartungshaltung des Kindes, das auf sein Geschenk vom Nikolaus wartete, genauso ähnlich wie dem Menschen auf dem Bahnsteig, der ärgerlich auf den Zug wartete: Er hatte eine ganz klare Vorstellung von dem, worauf er wartete: nämlich auf den Herrscher, der kommen wird, Gerechtigkeit zu schaffen und eine klare Ordnung herzustellen. Er kannte die Heiligen Schriften der Thora und der Propheten. Der, auf den er wartete, der war so hocherhaben, dass er es nicht wert sei, ihm die Schuhbänder zu lösen. Der, auf den er warte, würde für klare Verhältnisse sorgen und er würde das Gericht zur Vollendung bringen und die Guten von den Bösen trennen. Der, auf den er warte, würde die Schöpfung vollenden und den Traum der Ewigkeit verwirklichen.
Und als er dann kam, der Erwartete, da erwies es sich, dass alles ganz anders war: Der Erwartete wusch seinen Freunden die Füße. Er richtete nicht, sondern pries selig, die am Rande standen und verdammt waren. Und anstatt die Ewigkeit zu verherrlichen prangerte er die Unrechte in der unvollendeten Welt an. Nach menschlichem Ermessen hätte Johannes mehr als enttäuscht sein müssen. Das Warten des Johannes muss in eine große Krise geraten sein. Zweifel kam auf und viele Fragen: "Bist du es, auf den wir warten sollen, oder müssen wir auf einen anderen warten?" Anlass hätte es genug gegeben, das ungeduldige Warten zu beenden.
Aber weit verfehlt. Denn aus dem Menschen Johannes, der sein halbes Leben nur geduldig gewartet hat, wie viele andere gläubige Jüdinnen und Juden, wird ein erwartungsvoller Mensch, der sich befreit von Traditionen und gesetzten Glaubenswahrheiten und innerlich frei macht für das andere, für den anderen und seinen ein Leben lang gelebten Glauben öffnet für das Unerwartete. Den eigenen Glauben hinterfragen, ihn nicht aufgeben, sondern öffnen auf das göttlich andere hin. Das ist Johannes gewiss nicht einfach gefallen.
Fällt uns das leicht? Den eigenen Glauben zu hinterfragen, bzw. das, was wir für unseren Glauben halten? Oder lehnen wir uns gemütlich bei Kerzenschein und Plätzchenduft zurück im Wissen darum, dass Weihnachten ja, komme, was wolle, mit Sicherheit kommt, und die erfüllte Zeit uns ja schon zugesagt ist. Uns kann also nichts passieren. Anders als Johannes wissen wir um das Anderssein des Messias. Uns ist dieser Jesus sehr vertraut und seine Verheißungen führen uns nicht in große Verunsicherungen. Eigentlich ist alles geklärt. Das Warten hat also ein Ende, könnte man meinen. Denn wenn sich mit der Geburt Jesu die Zeit erfüllt hat, wozu braucht es dann noch so etwas wie den Advent, also Wartezeit?
Ja, die Zeit ist erfüllt, sie ist wirklich erfüllt. Sie ist ganz voll von Gottes Gegenwart, aber zugleich ist sie auch ganz voll von seiner göttlichen Erwartung. Gott hat Erwartungen an uns Menschen; nicht fordernd, nicht erzwungen, sondern vorlebend und mitlebend. Die Perspektive des Wartens hat sich mit diesem göttlichen Geschenk verändert: Nicht wir müssen auf Gott warten, sondern Gott wartet auf uns in dieser Zeit, in unserer Wirklichkeit. Seine Erwartung ist unser Leben, unser Leben in Verantwortung für diese Welt. Seine Erwartung ist unser Leben, barmherzig und mitfühlend seiner Schöpfung begegnen. Erst wenn seine Erwartung und unser Leben sich wirklich verwoben haben, bedarf es keiner weiteren tieferen Erwartungen mehr und erst dann ist die erfüllte Zeit auch eine vollendete Zeit. So schön das Warten auf den Nikolaus ist und so sinnlos und zeittötend ein Warten auf die Bahn ist, so sinnenhaft und weltbewegend ist ein Warten darauf, den Erwartungen Gottes entgegenzuschauen und dieses Warten mit Leben zu erfüllen. Deshalb ist uns diese Zeit des Advent geschenkt, unser Warten zu überprüfen, ob es denn ein tatenloses Warten ist ohne Sinn und Ziel oder tatsächlich, ein wachsames Warten im Blick auf die Erwartungen Gottes, mit uns seine Schöpfung menschlich zu machen.