Ansprache von Christoph Simonsen zum 2. Sonntag im Jahreskreis B

Datum:
So. 17. Jan. 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Lesung aus dem 1. Buch Samuel (3,3b-10.19):

Samuel schlief im Tempel des HERRN, wo die Lade Gottes stand. Da rief der HERR den Samuel und Samuel antwortete: Hier bin ich. Dann lief er zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen. Geh wieder schlafen! Da ging er und legte sich wieder schlafen. Der HERR rief noch einmal: Samuel! Samuel stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn. Geh wieder schlafen! Samuel kannte den HERRN noch nicht und das Wort des HERRN war ihm noch nicht offenbart worden. Da rief der HERR den Samuel wieder, zum dritten Mal. Er stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der HERR den Knaben gerufen hatte. Eli sagte zu Samuel: Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich ruft, dann antworte: Rede, HERR; denn dein Diener hört. Samuel ging und legte sich an seinem Platz nieder. Da kam der HERR, trat heran und rief wie die vorigen Male: Samuel, Samuel! Und Samuel antwortete: Rede, denn dein Diener hört. Samuel wuchs heran und der HERR war mit ihm und ließ keines von all seinen Worten zu Boden fallen.

 

 

Ansprache:

Mein Haus soll ein Haus der Begegnung sein

Das waren wohl andere Zeiten, als man noch unbekümmert im Tempel schlafen durfte. Heute gehen die Menschen meistens zielorientiert in die Kirche zu einem Dienst, einem Gottesdienst, tauchen ein in eine Feier, aufmerksam, wachsam, erwartungsvoll. Dem Gotteshaus ist Ehrfurcht entgegen zu bringen. Als erstes lernt ein Kind, das in die Kirche geht, leise zu sein, andächtig, vielleicht sogar untergeben. Im Haus Gottes lebt man nicht, so wie man zuhause lebt oder sonst wo; im Haus Gottes ist irgendwie alles anders. Diese Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen bringt zum Vorschein, was vorher schon da war, unbemerkt vielleicht, unreflektiert, womöglich erfolgreich verdrängt: Das Leben in der Kirche ist ein anderes als das Leben der Menschen draußen.

 

Letztens las ich: das einzige liturgische Gewand, das Jesus kannte, das war die Schürze, bei der Fußwaschung nämlich. Nur noch ein anderes Kleidungsstück findet Erwähnung: der Lendenschurz am Kreuz. Ich folgere daraus: die einzige Liturgie, die Jesus für lebenswichtig hielt, war der Dienst: Der Dienst am Menschen, der immer auch ein Dienst an Gott ist. 

 

Viele Menschen unserer Tage spüren, sie können auch auf andere Weise ihre Beziehung mit Gott pflegen und wir können es nicht mehr verheimlichen, dass unsere Gotteshäuser vorrangig nur noch für festgefahrene Riten gebraucht werden. Viele Menschen spüren nun, dass sie diese eingespielten festgezurrten Feiern nicht mehr brauchen; in unseren Gotteshäusern wird nämlich nicht mehr gelebt, sondern nur noch zelebriert. Darum ist diese Perspektive vielleicht gar nicht unberechtigt, dass unsere Gotteshäuser nach der Überwindung der Pandemie an Bedeutung verlieren und höchstens noch als bewundernswerte Bauwerke und Orte wunderbarer – meistens – alter Kunst wahrgenommen werden und eben als Kultraum, aber eben nicht als Lebensort. Das ist die große Angst, die gerade im inneren Zirkel der Kirche umhergeht: Nach der Pandemie sehen wir einen Großteil der Menschen nicht mehr wieder. Dieses Virus hat beschleunigt, was wir zuvor  erfolgreich verdrängen konnten: Eine Kirche, die ihren Hauptzweck darin sieht, den Menschen einen Kult anzubieten, hat keine Zukunft.

 

Das war nicht immer so, dass Gotteshäuser ausschließlich Kultzentren waren. Die Lesung des heutigen Tages zeugt davon. In der Synagoge wurde diskutiert, gestritten, gerungen; da wurde auch gemeinsam gegessen und manchmal schlief man eben auch dort. Es wurde gemeinsam gesucht: Nach Lebenssinn, nach Friedenswegen, nach Hoffnungsschimmern, nach Gott; und so ein Suchen war wohl zuweilen so anstrengend, dass man eben auch müde in einen beruhigenden Schlaf gefallen ist.

 

Wir Menschen heute planen Gott in unseren Tagesablauf ein. Wir beten vielleicht morgens und bitten um einen erfüllten Tag und abends, um dankend vor Gott den Tag zu beenden. Wir beten vor den Mahlzeiten, um uns zu erinnern, dass alles Leben Geschenk ist und die Gaben, die leben lassen, eben auch. Wir Menschen heute, wir gehen in den Gottesdienst, und suchen betend die Begegnung mit ihm. Wir ergreifen die Initiative, wir holen Gott sozusagen in unser Leben hinein, nach Bedarf, nach zeitlicher Möglichkeit und wie es die Tradition vorschlägt. Ungefragt, vielleicht sogar unbewusst vermitteln wir Gott, wann er uns bitte gefälligst zur Verfügung stehen soll, heute zwischen 18.00 und 19.00 Uhr (20.30 und 21.30 Uhr). Gottesbegegnung ist keine Überraschung mehr für uns, weil wir nämlich die Initiatoren einer Gottesbegegnung sind. Wir geben vor, wann wir Zeit für Gott haben und wir geben vor, wann er Zeit für uns haben soll. Und wir geben vor, wo Gott wohnen soll: in heiligen, abgezirkelten Räumen und Orten.

 

Auch das war damals anders, wovon die Lesung wieder - für uns heute nachdenklich stimmend - erzählt. Unerwartet, ja unerkannt sucht Gott das Gespräch mit Samuel. Er beginnt das Gespräch, zu – im wahrsten Sinn des Wortes – nachtschlafender Zeit. Zu der Zeit, wo der Mensch von allem Abstand gewinnen möchte, wo er nur bei sich sein will, wo alles um ihn herum unwichtig wird, just zu dieser Zeit beginnt Gott ein Gespräch mit ihm.

 

Da hat sich im Laufe der Zeit viel verändert. Als Krönung der Schöpfung haben wir Gott in unser Leben eingebaut, wie er uns dienlich ist. Wir wollen halt die 

Kontrolle über alles behalten, was unser Leben beeinflussen kann. Nun zeigt uns dieses blöde Virus, wie ohnmächtig wir doch eigentlich sind. Im Verlauf der Geschichte haben wir Menschen gelernt, uns zu behaupten, für unsere Rechte zu kämpfen, uns Untertan zu machen, was wir zum Leben benötigen und bei all dem haben wir wohl immer mehr vergessen und verlernt, dass wir nur ein Teil der Schöpfung sind, ein Teil des Ganzen, in das wir eingebunden sind und immer bleiben werden, mit allen Unwägbarkeiten, die auf dieser Erde offenbar werden.

Kann es sein, dass wir die Fähigkeit des Hörens deutlich zurück entwickelt haben? Ein Hören auf das, was uns das Leben sagen möchte, vielleicht sogar mit diesem Virus sagen möchte? Und das deshalb, weil wir Menschen mehr sprechen, mehr bestimmen, mehr vorgeben wollen?  

 

Samuel möchte uns an wesentliche Wahrheiten erinnern: Gott wohnt nicht irgendwo, nicht an vorgegebenen heiligen Orten, Gott wohnt überall. Gott ist nicht in Kirchen zuhause, so wie wir sie heute bauen, architektonisch groß und erhaben, und wie wir sie heute nutzen, ritualisiert abgehoben und der Welt entfremdet; Gott ist zuhause, wo Menschen achtsam sind, zu hören bereit, selbst dann, oder vielleicht gerade dann, wenn alle Sinne auf Entspannung angelegt sind. Ich weiß: Gastwirte, Einzelhändler, Künstler werden mich jetzt womöglich steinigen; aber diese aufgenötigte Entschleunigung hat womöglich doch etwas Gutes: Uns Fragen zu stellen, existentielle Fragen, die wir bis heute nicht zu fragen gewagt haben. Eine Frage könnte lauten: wo wohnt Gott, wer ist Gott, wie kommuniziert Gott mit uns?

 

Gott ist zuhause, wo Menschen sich verunsichern lassen und offen bleiben für bis dato nicht gestellte Fragen, selbst dann, wenn alle schlafen. Gott ist dort zuhause, wo Menschen einander ersehnen, weil sie gerade nicht zusammenkommen können, aber in dieser Sehnsucht wach und aufmerksam füreinander sind. Er ist dort zuhause, wo Menschen, weil sie alleine sind, auf sich geworfen sind und ihre Zeit als Geschenk erfahren, offen und bisher nicht gestellte Fragen zulassen und in der Ungeduld auf Antworten eine überraschende Sehnsucht nach Gott erkennen. 

 

Neue Lebensperspektiven, öffnen sich leichter; erträumte, aber bis dato nicht gewagte Lebenswendungen wagen sich eher, wenn wir Menschen wieder zu hören lernen. Wenn wir aufhören, das Planbare, das Überschaubare, das Berechenbare über zu bewerten und uns offen halten, dem Unverhofften, dem Ungehörten, dem Ungeahnten zu vertrauen und unsere Seelentüren offen halten. Vielleicht sollten wir in unseren Kirchen nicht so viele Hochämter abhalten, die bis zum Exzess einer festen Regie unterworfen sind in der Überzeugung, dann wäre die Gottesbegegnung garantiert. Garantierte Gottesbegegnung gibt es nicht, wohl aber unverhoffte. Unverhoffte Begegnungen, zumal Gottesbegegnungen, können das Leben ziemlich aufmischen. Es braucht womöglich nur mehr Menschen, die sich durcheinander bringen lassen möchten, damit Gott in ihnen und mit ihnen in unserer Welt zu Wort kommt. Samuel war so ein Mensch, sogar im Schlaf hat er sich diese innere Offenheit bewahrt.

--  Christoph Simonsen Leiter der Citykirche Mönchengladbach Kirchplatz 14 41061 Mönchengladbach Telefon: +4921612472414 https://www.citykirche-mg.de