Ansprache von Christoph Simonsen zum 2. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A

Datum:
So. 15. Jan. 2023
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium nach Johannes (Joh 1,29-34)

Am Tag darauf sah er Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt! Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, damit er Israel offenbart wird. Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes.

 

Ansprache:

Ich gestehe: über Sünde zu sprechen, ist nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Schon allein deshalb, weil andere das mit so großer Überzeugung und Hingabe machen, dass mir dann manchmal Angst und Bange wird. Mir scheint, dass in Kirchen’s grundsätzlich zu viel über Sünde und Schuld und zu wenig über Gnade und Begabung. 

 

Aber sei es drum; heute komme ich nicht drum herum: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“. Klar ist: Sünde muss weg; muss deshalb weg, damit wir sehen können, dass der Himmel offen steht. 

 

Und noch etwas ist offensichtlich: Sünde muss irgendwie etwas mit Geistlosigkeit zu tun haben; denn wenn der Himmel offen ist, dann fällt Geist herab, guter Geist. Und guter Geist ist die Grundlage dafür, der Weltsünde habbar werden zu können. Davon jedenfalls ist Johannes überzeugt.

 

Sünde ist mehr als ein individuelles Vergehen. Eine Sünde, so verstehe ich den Evangelisten, eine Sünde beschmutzt das Ganze, reißt eine Wunde in die Welt. In der Folge dieser Überzeugung ist jedem einzelnen Menschen eine Verantwortung für das Ganze auferlegt. Du, ich, wir sind verantwortlich für diese Welt. Unsere Geistlosigkeit, unsere Gedankenlosigkeit, unsere Gefühlsarmut verletzt, was Gott gehört und was uns von ihm überantwortet ist. Die Konsequenz eines sündigen Verhaltens mag für das Subjekt, für euch und mich, ein schlechtes Gewissen nach sich ziehen, das weht tut im Herzen; aber dieser Schmerz steht in keinem Verhältnis zu dem Schmerz, der der Welt, dem Geschenk Gottes an uns, zugefügt wird. Gott kann unsere Begrenztheit gut aushalten, sein Band der Freundschaft ist immer stärker als unsere ganze Brüchigkeit. Aber woran Gott leidet ist die Tatsache, dass wir durch unser Verhalten der Schöpfung, den Menschen, den Tieren, den Pflanzen, Leid zufügen. Im Blick auf unsere Schuld steht nicht unser privates Seelenheil zur Disposition, sondern die Idee Gottes, die sich im Geschenk seiner Schöpfung offenbart.

 

Am vergangenen Mittwoch wurde nun endgültig begonnen, Lützerath zu räumen: Das letzte Dorf am Rande des großen Braunkohlelochs, das den Schaufelbaggern zum Opfer fallen soll. Ob das notwendig ist, mag mit Fug und Recht bezweifelt werden. Sind wir Menschen, ist auch unsere Politik zu schwerfällig, zu behäbig, vielleicht auch zu bequem, vor vielen Jahren beschlossene Entscheidungen zu revidieren, da doch der Blick auf die Welt und die damit verbundenen Lebensfragen andere sind als vor zehn oder zwanzig Jahren? Sind wir zu blauäugig, so nach dem Motto: Et hätt noch immer jut jejange?

 

Die allererste Frage, wenn es um schuldhaftes Verhalten geht, ist nicht, ob ich was Böses getan habe und wie ich wieder heil werde. In einer viel größeren Dimension geht es um das Ganze, um die Welt, um das Geschenk Gottes an uns. Es geht um die Erkenntnis, dass durch mich, aufgrund unseres Verhaltens die Welt weint, weil ihr weh getan wird.

 

Darauf machen die Menschen aufmerksam, die friedlich und beseelt von einem guten Geist für den Erhalt des unscheinbaren Dorfes im Erkelenzer Land hinweisen. Ich habe großen Respekt vor den Demonstrierenden, die ohne Gewaltanwendung für einen verantworteten Umgang mit der Schöpfung Gottes eintreten. Sie führen mir vor Augen, dass nicht Wirtschaft, Profit, individualistische Interessen im Vordergrund stehen dürfen, sondern eine übergeordnete Überzeugung; eine Ethik, die ein menschliches Handeln folgen lässt, welches Verantwortung nicht nur für sich und die eigenen Interessen zu übernehmen willens ist, sondern für die Gemeinschaft, für die Weltgemeinschaft, für die Schöpfung Gottes. 

 

Am vergangenen Donnerstag schrieb mir ein guter Bekannter, der vor Ort in Lützerath ist: „Schwer zu ertragen die Trauer und der Schmerz. Gesichter von Trauer, in denen aber auch Stolz zu sehen war. Ich habe großen Respekt vor diesen jungen und alten Menschen, die da für unsere Zukunft den Körper hinhalten.“

 

Die Ethik Gottes will uns einbinden in die Verantwortung für das Ganze, für seine Schöpfung und uns erinnern und mahnen, seine Schöpfung, sein Alles zu wahren, zu hüten. Die göttliche Ethik ist kein Verbotskatalog, sondern ein Gestaltungsauftrag. Und immer dann, wenn wir dieser Verantwortung, die uns Gott übertragen hat, nicht gerecht werden, versündigen wir uns an der Welt und also auch an ihm. Daran erinnern mich die Menschen, die kreativ und lebendig für den Erhalt der Schöpfung eintreten. 

 

In meinen Augen ist der Raubbau an der Schöpfung der sichtbarste Ausdruck von Geistlosigkeit und die Beharrlichkeit der Entscheidungsträger*innen wird sich irgendwann einmal rächen, davon bin ich überzeugt. Ja, wir leben in einem Rechtsstaat und entschiedene Vereinbarungen können nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Aber sie dürfen und sie müssen in Frage gestellt werden, wenn in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen sich heute als unverantwortlich herausstellen. 

 

In dieser ganzen Gemengelage bin ich, sind wir verwoben. Keine und keiner kann sich herausreden, nicht zu wissen, dass die Frage, wie wir mit dem Klimawandel umgehen, eine der entscheidendsten Fragen über den Erhalt unserer Zukunft ist. Ich bin sicher auch nicht einverstanden mit manchen Ausuferungen der Proteste, die gewaltmäßig einherkommen; gleichzeitig muss ich mir aber auch die Frage stellen, ob ich all denen, die friedlich und mit großem kreativem Einsatz gegen die Zerstörung des Dorfes gerecht werde, wenn ich nur verbal und aus sicherer Distanz meine Solidarität bekunde. Was tue ich, was tun wir, um glaubwürdig zum Ausdruck zu bringen, dass es schon nicht mehr fünf vor zwölf ist, sondern darüber? 

 

Ist mein Nichtstun nicht auch eine Sünde? Eine Sünde, die der Welt unwiderruflichen Schaden zufügt. Eine Sünde, die weit mehr der Vergebung bedarf als all die kleinen lässlichen Vergehen, die ich, die wir, wenn überhaupt noch in einem Beichtgespräch oder in einem flehenden stillen persönlichen Gebet Gott vortragen. Das Schweigen und übergehen unserer Verantwortung für ein gelingendes gemeinschaftliches Leben in unserer Gesellschaft ist ein markantes Merkmal für Geistlosigkeit, dem wir noch viele andere hinzufügen könnten. Ein Beispiel, das uns vor Augen führt, wie sehr wir des himmlischen Geistes bedürfen.

 

Was wir gerade in unserer nächsten Umgebung erleben, macht aber auch etwas anderes deutlich: Gottes Geist verdeutlicht und versichtbart sich im Alltäglichen, nicht im Ausnahmezustand heiligmäßiger Sphären; wird erfahrbar im konkreten Handeln von Menschen. Darin wird Gottes Geist erkennbar: „Das habe ich gesehen“, bezeugt Johannes. Ich kann Gottes Geist sehen. Gottes Geist ist alles andere als ein unfassbares Etwas.

 

Und so schließt sich der Kreis: Über ‚Sünde‘ zu sprechen ist keine Frage dessen, womit man sich mehr oder weniger gern beschäftigt. Es ist vielmehr die Frage, der ich nicht ausweichen kann, ob und wie ich bereit bin, mich einbinden zu lassen in das Schicksal der göttlichen Schöpfung.

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