Ansprache von Christoph Simonsen zum 2. Sonntag in der Fastenzeit - Lesejahr B

Datum:
So. 28. Feb. 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Lesung aus dem Buch Genesis

Nach diesen Ereignissen stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er sagte: Hier bin ich.  Er sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar! Als sie an den Ort kamen, den ihm Gott genannt hatte, baute Abraham dort den Altar und schichtete das Holz auf. Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten. Abraham erhob seine Augen, sah hin und siehe, ein Widder hatte sich hinter ihm mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen. Abraham ging hin, nahm den Widder und brachte ihn statt seines Sohnes als Brandopfer dar. Der Engel des HERRN rief Abraham zum zweiten Mal vom Himmel her zu und sprach: Ich habe bei mir geschworen - Spruch des HERRN: Weil du das getan hast und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast, will ich dir Segen schenken in Fülle und deine Nachkommen überaus zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und den Sand am Meeresstrand. Deine Nachkommen werden das Tor ihrer Feinde einnehmen. 18 Segnen werden sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast.

 



Ansprache:

 

Irgendwo, auf der Welt, gibt's ein kleines bisschen Glück
Und ich träum davon in jedem Augenblick
Irgendwo, auf der Welt, gibt's ein bisschen Seligkeit
Und ich träum davon schon lange, lange Zeit

Wenn ich wüsst, wo das ist, ging ich in die Welt hinein
Denn ich möcht einmal recht so von Herzen glücklich sein
Irgendwo, auf der Welt, fängt mein Weg zum Himmel an
Irgendwo, irgendwie, irgendwann

 

Der Text dieses Liedes geht mir nicht mehr aus dem Kopf, seitdem ich in der vergangenen Woche im Bayerischen Fernsehen noch einmal den Film über die Comedian Harmonists gesehen habe. Mit diesem Lied haben sie sich verabschiedet bei ihrem letzten öffentlichen Konzert auf deutschem Boden, bevor sie vor den Nazis nach Amerika fliehen mussten, denn drei der Sänger waren jüdischen Glaubens. 

 

„Irgendwo auf der Welt fängt mein Weg zum Himmel an“; aber wo? Für Abraham in Morija? Nicht vorzustellen. „Geh in das Land Morija“, fordert Jahwe den Abraham auf. Die Bibelwissenschaftler bestätigen, dass diese Ortsbezeichnung ungewiss, ja fragwürdig ist. Das liegt daran, dass man bis heute darüber diskutiert, wann dieser Text entstanden ist: Ist er vor dem Exil Israels entstanden oder nachexilisch in den Gesamttext eingeschoben worden? Das bleibt ungewiss. Wahrscheinlich ist ein fiktiver Ort gemeint, wohin Jahwe Abraham geschickt hat. Mit anderen Worten: Jahwe schickt Abraham ins Ungewisse; belastet mit der tiefen inneren Qual, den eigenen Sohn opfern – schlachten – zu sollen. Was ist das für ein Gott? Warum, wozu legt Gott Abraham diese Tortur auf? 

 

Braucht es eines Menschenopfers, um die Ergebenheit Gott gegenüber glaubhaft zu machen? So abwegig ist diese Frage nicht. Auch heute stellen sich Menschen oft die Frage, ob Gott ob einer getanen Schuld dieses oder jenes Schicksal auferlegt habe. Erst am Freitag fragte mich eine alte Freundin aus dem Sauerland, ob Gott sie mit der Rückkehr eines Krebstumors strafen und zur inneren Umkehr bewegen wolle.

 

Gebiert sich Gott so als Sarkast, der sich an den inneren Qualen Abrahams erfreut, um ihn dann letztendlich durch das Ersatzopfer eines Widders zu noch größerer Dankbarkeit und Unterwürfigkeit zu verpflichten? Auch hier gibt es Parallelen zur heutigen Zeit, wenn zum Beispiel Menschen nach einer Heilung versprechen, Gott besonders zugetan zu sein. Spielt Gott mit den Menschen? 

 

Mich treiben diese Fragen um; sie quälen mich, machen es mir noch schwerer, Gott ins Leben hineinzuholen. Die Gottesfrage lässt sich nicht so mir nichts dir nichts auflösen, indem wir Christ*innen auf das neue Testament verweisen und auf den liebenden Gott zeigen, der sich in seinem Sohn selbst zum Opfer macht. Ja sicher, das ist so. Aber es ist eben der gleiche Gott, der Abraham befiehlt, seinen Sohn zu opfern. Es ist der gleiche Gott, der Gott Abrahams und der Vater Jesu. Wie sollten wir kleinen Menschengeschöpfe diese so widersprüchlichen Seiten Gottes auflösen können? Allein die Eingrenzung, Gott in männlichen Attributen zu umschreiben, kann Gott schon nicht gerecht werden. Gott ist nicht Mann, er ist nicht lieb, er ist nicht gnädig. Oder besser: Er ist all das, aber eben nicht nur das. Er ist auch der Fremde, der andere, der Unverstehbare.

 

Ich habe die historischen Bilder vor Augen, wie Eltern mit ihren Kindern abtransportiert wurden in Viehwagen Richtung Auschwitz, Dachau, Buchenwald. Und wieder diese bohrende Frage: ‚Was ist das für ein Gott‘, der seine Kinder derartiger menschlicher Bosheit aussetzt? 

 

Gott ist und bleibt eine Frage; er bleibt ‚die Frage‘ des Lebens. Sie ist präsent, jeden Augenblick und sie wird mich weiter umtreiben, weil ich sie nicht verdrängen, nicht vergraben und auch nicht letztendlich beantworten kann. Dass Abraham sich nicht abgewandt hat trotz der erfahrenen Schmach, dass das jüdische Volk sich nicht diesem Gott verweigert hat trotz des erlittenen Unrechts an dem ganzen Volk, das hält diese Frage ‚Gott‘ heute in mir wach, treibt mich um, lässt mich nicht los.

 

„Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“: Sich offen zu halten für diese Ahnung, die manchmal auch zur Gewissheit werden kann – Gott sei es gedankt -, das lehrt mich Abraham, das lehrt mich das Volk Israel und das durfte ich hier und da in meinem Leben auch schon erfahren, auch wenn ich weit entfernt bin von der Lebenswirklichkeit und Glaubensoffenheit eines Abrahams oder eines klagenden jüdischen Menschen. 

 

Ich möchte den Traum nicht aufgeben, dass mein Weg, dass alle Wege, die wir gehen, zum Himmel führen. Fragt mich bitte nicht warum; es ist einfach so. Vielleicht, weil ich mich nicht damit abfinden möchte, dass alles irgendwo, irgendwie, irgendwann zu Ende sein wird. Vielleicht aber auch, weil Gott mich – uns – nicht loslassen möchte. Vielleicht, weil mich wie die Apostel die Frage umtreibt, was das denn sei: „Von den Toten auferstehen“. 

„Irgendwo, auf der Welt, fängt mein Weg zum Himmel an. Irgendwo, irgendwie, irgendwann.“ Und ich träum davon in jedem Augenblick, und jetzt hier gemeinsam mit euch.

 

--  Christoph Simonsen Leiter der Citykirche Mönchengladbach Kirchplatz 14 41061 Mönchengladbach Telefon: +4921612472414 https://www.citykirche-mg.de