Evangelium Lk 17,5-10
In jener Zeit baten die Apostel den Herrn: Stärke unseren Glauben! Der Herr erwiderte: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Entwurzle dich und verpflanz dich ins Meer! und er würde euch gehorchen. Wenn einer von euch einen Knecht hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Komm gleich her und begib dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich, bis ich gegessen und getrunken habe; danach kannst auch du essen und trinken. Bedankt er sich etwa bei dem Knecht, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde? So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.
Ansprache
Die Bitte der Jünger Jesu: „Stärke unseren Glauben erinnert mich an ein Buch, das schon lange in meinem Bücherregal steht und ich schon oft gelesen habe. „Glauben, wie geht das?“. Der Titel des Buches lässt zunächst vermuten, es gäbe so etwas wie eine Handlungsanweisung, Glauben lernen zu können. Aber das würde die Tiefe dieses Buches verfehlen. Klaus Hemmerle hat dieses Buch geschrieben und ich kann nicht sagen, wie sehr ich ihn hier und heute vermisse, als Mensch und als Bischof. „Glauben, wie geht das“. Für ihn war diese Frage nicht unanständig, im Gegenteil: sie war für ihn lebensbegleitend. „Glauben, wie geht das“, das war für Klaus Hemmerle sehr wohl eine offene Frage, nicht nur eine rhetorische. Das unterscheidet ihn von so manch einem heute in unserer Kirche.
Mir scheint, heute wird zu viel von Dialog gesprochen und von der Notwendigkeit, mehr ernst zu nehmen und füreinander lernfähig zu werden, ohne wirklich offen zu sein für Neues. Ein Gesprächsprozess jagt den nächsten; heute beginnt z.B. in Rom mit der Amazonassynode die wievielte Synode? Mindestens die dritte in den letzten 5 Jahren. Diese Gespräche entspringen der sehr berechtigten Panik, ganz den Anschluss an die Lebenswirklichkeiten der Menschen zu verlieren. Alle wissen, was auf dem Spiel steht: Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel, und das im wahrsten Sinn des Wortes: Die Würde des Glaubens eines jeden einzelnen Menschen steht auf dem Spiel. Die Würde des Glaubens wird nämlich dann verspielt, wenn der Glaube nicht gesucht - gemeinsam gesucht – wird, sondern gelehrt. Ein gelehrter Glaube wird immer ein machthungriger Glaube sein, denn wer lehrt, der weiß; und wem gelehrt wird, der weiß eben scheinbar nicht. Der Begriff der Evangelisierung, noch mehr der Neuevangelisierung offeriert dieses Machtgefälle mehr als offensichtlich. Es geht eben weniger um die Würde des Glaubens, sondern um den Erhalt des tradierten, geschriebenen Glaubens. Michael Seewald, der Dogmatik Professor aus Münster stellt demgegenüber lapidar und für alle eigentlich einsichtig fest, dass doch auch der tradierte Glaube, der Glaube also, der für einen wesentlichen Teil der Kirchenfürsten für ewige Zeiten festgezurrt scheint, aus vorherigem Glauben erwachsen ist. Glaube, der nicht reift durch die Erfahrungen der Menschen ist ein ziemlich toter Glaube.
„Der Glaube kommt vom Hören“, sagt schon Paulus. Glaube gedeiht im Dialog, in der Achtsamkeit auf die anderen. Aber ein Hören alleine genügt dann auch nicht. So verstehe ich das heutige Evangelium. Und diese Erfahrung mussten Menschen vor uns auch schon machen.
Vor einhundertfünfzig Jahren wurde Mohundas Karamchand Ghandi geboren – am 2. Oktober 1849. Sein Glaube wurde gestärkt durch seine Erfahrungen als Rechtsanwalt in Südafrika, wo er mit ansehen musste, wie die weiße Minderheit die schwarze Bevölkerung versklavte und unterdrückte. In seiner Heimat, in Indien, erlebt er eine andere Art der Ungerechtigkeit und er kämpfte ohne Waffen, nur mit Worten, dafür, die englische Kolonialherrschaft zu beenden. Seine Friedfertigkeit wurzelte in der Überzeugung, dass es einen Gott gibt, der allen Menschen gleiche Würde geschenkt hat. Mahatma wurde er später genannt: große Seele. Er hörte, er sah und fühlte das Leid der Menschen und er handelte pazifistisch aus der Kraft seines tiefen Glaubens. Und doch: Heute stehen sich zwei verfeindete Länder, Indien und Pakistan, gegenüber und im Grenzgebiet ist man sich des Lebens nicht sicher. War sein guter Glaube von damals nicht stark genug, wenn man dem heutigen Evangelium Glauben schenken darf?
Vor dreißig Jahren, am 3. Oktober 1989, sind Menschen in Leipzig auf die Straße gegangen, haben in der Nikolaikirche gesungen und gebetet; Menschen, die wider alle Hoffnung daran geglaubt haben, dass es möglich ist, friedlich für Freiheit und Zusammenhalt zu kämpfen. Sie haben ihren Glauben gefunden in den ängstlichen Augen der Menschen und ihrer niederdrückenden Beklommenheit, Gefangene eines Systems zu sein. Die Spuren, die ein System hinterlässt, das schon nahezu religiöse Phänomene aufweist, sind bis heute nicht verwischt. Waren der gute Glaube und der gute Wille von damals nicht stark genug, wenn man dem heutigen Evangelium Glauben schenken darf?
Die Frage nach dem Glauben kann nicht ein für alle Mal beantwortet werden. Jede Ahnung einer Antwort schenkt Kraft und Mut, sich der nächsten Frage zu stellen. Wenn einen dieser Mut verlässt und man sich zufrieden gibt mit dem, was sich einem aufgetan hat, dann wird der Glaube zu einer kalten Lehre. Glaube verliert sich dann in Rechthabereien und Rechthabereien zerreißen, trennen, zerstören.
„Stärke unseren Glauben“, baten die Jünger Jesus. Und er reagiert darauf mit einer Aufforderung, die verblüffender nicht sein kann. Er mutet den Freund*innen zu, sich in die Rolle eines Knechtes zu versetzen, der nichts anderes tut, als nur immer seiner Pflicht nachzukommen. Nicht aufhören, zu tun, was zu tun ist, nicht aufgeben, nicht in Selbstgenügsamkeit verfallen, sich nicht in Zufriedenheiten verlieren.
Knechte sind eben keine Herren; Lehrjahre sind keine Herrenjahre, heißt es ja bekannterweise. So lange sich Menschen als Herren aufführen, als Herren über das Leben und den Glauben anderer, so lange wird es keinen Frieden geben, keinen inneren und keinen äußeren Frieden. Und so lange in unserer Kirche Männer den Ton angeben, die sich als Herren, als Hüter des wahren Glaubens verstehen, so lange wird es auch in unserer Kirche keinen Frieden geben.
Ich möchte mit einem Gedanken aus dem Buch von Klaus Hemmerle schließen:
Glauben, wie geht das? „Gott Gott sein lassen, Gott Liebe sein lassen… im Blick auf jeden und jedes, so die göttliche Einheit aufdecken und Gestalt werden lassen in unserem Leben und schließlich ihm, seiner Liebe die Vollendung überlassen.“
Christoph Simonsen