Ansprache von Christoph Simonsen zum 29. Sonntag im Jahreskreis C

29. Sonntag im Jahreskreis C - 2019

Datum:
So. 20. Okt. 2019
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

29. Sonntag im Jahreskreis C (20. Oktober 2019)

 

Evangelium  Lk 18,1-8

 

In jener Zeit sagte Jesus seinen Jüngern durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange Zeit nicht. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt: Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?

 

Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an Timótheus. 2 Tim 3,14 - 4,2

 

Mein Sohn! Bleibe bei dem, was du gelernt und wovon du dich überzeugt hast. Du weißt, von wem du es gelernt hast; denn du kennst von Kindheit an die heiligen Schriften, die dich weise machen können zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus. Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes gerüstet ist, ausgerüstet zu jedem guten Werk. Ich beschwöre dich bei Gott und bei Christus Jesus, dem kommenden Richter der Lebenden und der Toten, bei seinem Erscheinen und bei seinem Reich: Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung!

 

Ansprache

Wir sollten sicher nicht zu viel hineindeuten, aber die Anrede zu Beginn dieses Briefs deutet schon auf eine ganz besondere Beziehung hin zwischen Paulus und Timotheus. Paulus, spricht seinen Adressaten Timotheus ganz persönlich an. Das ist kein Brief an eine Gemeinde, wie er sie nach Rom zum Beispiel geschrieben hat, das ist ein Brief an einen Freund, dem er väterlich zugetan ist. „Mein Sohn“, so spricht er ihn an. Dieser Brief klingt sehr vertraut. Paulus ist mit seinen Gedanken und Gefühlen ganz nahe bei Timotheus, mag er auch äußerlich weit weg sein. 

 

Dabei sind die Bibelwissenschaftler sich uneins darüber, ob Paulus persönlich diesen Brief überhaupt geschrieben hat. Manches im Sprachstil deutet darauf hin, dass ein Schüler von Paulus diesen Brief geschrieben hat und Timotheus bittet, in der Gemeinde von Ephesus das Wort Gottes zu verkünden.

 

Wie dem auch sei, alle Schriften der Heiligen Schrift, zumal die verschiedenen Briefe, möchten Menschen im Glauben verbinden. Und hier, in diesem Brief geschieht dies auf eine sehe bemerkenswerte Weise.

 

Dieser Brief vermittelt eine ganz eigene Glaubensbotschaft: Das, was leben lässt und Leben stärkt, nicht nur außerhalb seiner selbst zu suchen, sondern zunächst einmal in sich selbst. Die Quelle des Glaubens in sich suchen. Ein gutes Zutrauen zu sich selbst zu entwickeln, dazu ermuntert der Schreiber des Briefes Timotheus und darauf zu vertrauen, dass die Stimme Gottes in einem erklingt.. Darauf zu vertrauen, was in einem grundgelegt ist, und das dann freizulegen und zugänglich zu machen für andere. In einem selbst liegen tiefe Schätze, in einem selbst liegt der Schatz des Lebens überhaupt, nicht irgendwo draußen, nicht in schlauen Büchern oder faszinierenden Weisheiten. Das alles mag wichtig sein und das alles mag auch notwendig sein, aber erfüllt leben lässt kein angelerntes, zugesprochenes Wissen. All das hat nur Sinn und Perspektive, wenn es getragen und geführt ist von einer Persönlichkeit, die in sich ihren Wert erkennt und die sich gehalten weiß von einem Gut, das Güte ist. 

 

Wissens-Gut macht Sinn und schenkt Sinn, wenn es aus einem Lebens-Gut erwächst. Alles Wissen, alles Können kann nur gut sein, wenn das Leben gut ist, in dem das Wissen lebt und aus dem heraus sich das Wissen Bahn bricht. 

 

„Verkünde das Wort“, dazu lädt Paulus seinen Freund im Verlauf seiner Gedanken ein; nicht Wissen gilt es zu vermitteln, erlerntes, angeeignetes, scheinbar objektivierbares Wissen, sondern das Wort, das Leben lässt, das Leben schenkt, das Leben ist. Wissen, das nicht leben lässt, ist nicht von Nachhaltigkeit getragen; Wissen, das nicht Leben schenkt, verheißt keine Zukunft. Deswegen ist es so wichtig, alles Wissen durch das eigene Leben zu filtern, bevor es frei gelassen wird in die Welt. 

 

Es hat oft den Anschein, als würden wir Menschen uns bewegen zwischen zwei unterschiedlichen Welten: Auf der einen Seite sind wir gierig nach Fakten, nach Erkenntnissen, nach Fassbarem; und auf der anderen Seite lechzen wir nach geistiger Tiefe, nach spiritueller Erfüllung, nach einer uns nicht verfügbaren Wirklichkeit. Und so pendeln wir oft zwischen dem Raum des Rationalen und dem Raum der Unverfügbarkeit, zwischen der Welt des Wissens und der Welt des Staunens. Aber zwischen diesen Räumen gibt es oft keine Brücke. Wir sind da oder dort, aber wir sind selten eins. Die Sehnsucht nach dieser Einheit wird wach gehalten bei dem, der sich auf die Suche begibt nach diesem Wort, das leben lässt. Dieses Wort in sich zu suchen, in der eigenen Lebensgeschichte, in den Erfahrungen, die einen nachhaltig begleiten, in den Begegnungen, die einen prägen, dieses Wort des Lebens in sich suchen und darauf vertrauen, dass es dieses eine Lebenswort in einem selbst gibt, das ist wohl das, was wir Glauben nennen. Den Glauben zu suchen in der eigenen Lebensgeschichte, vielleicht gemeinsam zu suchen hier oder woanders, dazu möchte ich uns ermutigen und einladen.

 

Diese Suche bedarf in gleichem Maße einer Gelassenheit wie einer Beharrlichkeit. Dass ein solches Zutrauen zu sich selbst und der Glaube an Gutem in einem ein gutes Ende nehmen kann, davon durften wir eben im heutigen Evangelium hören; die Begegnung zwischen dem Richter und der Witwe bringen es eindringlich auf den Punkt.

Christoph Simonsen