Evangelium Mt 11, 2-11
In jener Zeit hörte Johannes im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt. Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden; er sagte: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige. Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten. Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen. Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.
Ansprache
„Ich kann nicht mehr so weitermachen.“
„Das sagt man so.“
„Sollten wir auseinandergehen? Es wäre vielleicht besser.“
Es sei denn, dass Godot käme.“
„Und wenn er kommt?“
„Sind wir gerettet.“
„Also, wir gehen?“
„Gehen wir!“ (aus Samuel Beckett: Warten auf Godot)
Estragon und Wladimir warten auf Godot. Zwei Landstreicher irgendwo an einer Landstraße warten. Sie warten, sonst tun sie nichts.
Aber sie warten vergeblich, Godot kommt nicht. Irgendwann kommt dann ein Ziegenhirte und sagt ihnen, dass sich die Ankunft Godots auf unbestimmte Zeit verzögern würde.
Estragon und Wladimir bleiben stehen. Es heißt ausdrücklich in dem Theaterstück: „Sie gehen nicht von der Stelle“. Würden sie sich an eine Bushaltestelle stellen, wenn sie keine Gewissheit hätten, ob überhaupt und wenn ja: wann der nächste Bus käme?
„Ich kann nicht mehr so weitermachen“, sagt der eine zum anderen. Und der andere antwortet: „Das sagt man so“. Das höre ich in Gesprächen auch oft in letzter Zeit: ‚So kann es nicht weitergehen. Es muss sich etwas ändern‘. Ob in der Kirche oder in unserer Gesellschaft, ob im ganz nahen privaten Umfeld oder im großen Weltgefüge. Es knirscht an allen Ecken und Kanten. Aber die alte kölsche Weisheit hat sich wie ein 11. Gebot in unserer Seele eingebrannt: ‚et hät noch immer jut jejange‘.
Die andere Weisheit verdrängen wir: ‚nix bliev wie et is‘. Doch, wenn es nach uns geht, soll alles bleiben, wie es ist. Wir sind nicht bereit zu warten, wir hoffen nicht auf einen, der alles neu machen wird, wir wollen den status quo erhalten, ‚op deuvel kumm erus‘.
„Also, wir gehen?“ fragt Estragon den Wladimir. Nein, die beiden gehen nicht, wie warten lieber. Damals, zu Jesu Zeiten, da sind Menschen aufgebrochen, haben einen unbequemen Weg angetreten in die Wüste, wo einer predigte, dass sich etwas ändern müsse, wenn die Welt eine Zukunft haben wolle. Johannes ist vielleicht zu vergleichen mit einer Greta Thunberg heute oder mit den vielen Frauen, die in ihrer Kirche als gleichwertige und gleichberechtigte Menschen wahrgenommen werden wollen. Es gibt auch heute Menschen, die bereit sind, Wüstenwege zu gehen, weil sie überzeugt sind davon, dass, wer Leben in die Zukunft führen möchte, neue Wege suchen muss.
„Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Diese Frage richtet Johannes an Jesus über Mittelsmänner, da er selbst ja im Gefängnis sitzt. Johannes ist Opfer des herrschsüchtigen Systems geworden, das nichts ändern wollte. Johannes hat die Machtstrukturen dieser Welt in Frage gestellt; er besaß die Größe, die Wahrheit auszusprechen, die den Mächtigen quer saß, dass nämlich nicht ihnen die Welt gehöre, sondern einzig dem, der sie geschaffen hat und dass der Schöpfergott alles in Bewegung bringen würde, seine Schöpfung zu bewahren. In unserem System heute landen Querschießer zwar nicht im Gefängnis, aber sie werden auf andere Weise kalt gestellt, indem man ihnen eine Radikalität attestiert, die die Welt und die Menschen spalten würde. Und außerdem: Man dürfe das System nicht überfordern, nicht das System Welt und nicht das System Kirche.
Die Menschen damals sind in die Wüste gegangen, weil ihnen zur damaligen Zeit wohl auch bewusst geworden war, dass es so, wie es war, nicht weitergehen könne.
Die Welt war nie ein Paradies und sie wurde immer in patriarchalischer Weise geführt von Menschen, die mehr sich selbst als das Ganze im Blick hatten. Systemerhaltung war und ist immer das oberste Prinzip des Handelns; Außenseiter und Querdenker waren und sind Störenfriede.
Aber ist nicht gerade das Weihnachtsfest der beste Beweis dafür, dass Gott auf eben diese Störenfriede und Querdenker setzt? „Ich kann nicht mehr so weiter machen“, das haben damals auch viele gedacht und sind in die Wüste gegangen, weil sie sich von dem Prediger Johannes neue Impulse für ihr Leben erhofft hatten. Die meisten sind dann aber enttäuscht wieder abgezogen, weil sie sich überfordert fühlten von seiner Botschaft Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.
Für uns heute bleibt also die gleiche Frage, wie die, die Jesus damals gestellt hat: „Was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid?“ Einen Festredner, der sich und uns das Leben schön redet oder einen Mann in feiner Kleidung, der am Heiligen Abend in festlicher Runde die Champagnerflasche öffnet?
Was haben wir sehen wollen, als wir uns in der Anfangsphase von Greta Thunberg haben in den Bann ihrer Worte und ihrer Überzeugungen ziehen lassen oder als wir den synodalen Prozess begonnen haben in unserer Kirche?
„Ich kann nicht mehr so weitermachen“, sagt Estragon zu Wladimir“. „Das sagt man so“, antwortet Wladimir. Gott sagt das nicht so, er tut was.
Christoph Simonsen