Evangelium Mt 3,13-17
13 Zu dieser Zeit kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. 14 Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müsste von dir getauft werden und du kommst zu mir? 15 Jesus antwortete ihm: Lass es nur zu! Denn so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen. Da gab Johannes nach. 16 Als Jesus getauft war, stieg er sogleich aus dem Wasser herauf. Und siehe, da öffnete sich der Himmel und er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen. 17 Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.
Ansprache
"Die Vermessung der Welt": Ein Liebesgeschehen
"Die Vermessung der Welt": Dieser Spielfilm führt uns in das Leben der beiden Wissenschaftler Alexander von Humboldt und Karl-Friedrich Gauß. Ich habe mir diesen Film zwischen den Jahren noch einmal angeschaut. Es ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Daniel Kehlmann. Und wer einmal in die Tiefe der Gedankenwelten dieser beiden großen Wissenschaftler eintauchen möchte, dem sei dieses Buch wirklich empfohlen. Von Humboldt, der aus 110% Neugierde bestand und die Welt und die Menschen und die Zusammenhänge des Lebens verstehen wollte und dem nichts zu verwegen war, dem Unwissen den Garaus zu machen. Und Gauß, der begriffen hat, dass Mathematik mehr ist als addieren oder subtrahieren, der der Wissenschaft der Mathematik dazu verhalf, sie zu einer Philosophie der Logik zu machen.
Der Film hat mir wieder einmal auf sehr anschauliche Weise vor Augen geführt, dass das Leben so etwas wie eine Entdeckungsreise ist. Wissenschaft geschieht eben nicht nur in abgezirkelten Räumen eines Labors oder eines Arbeitszimmers, sondern mitten in der Welt. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, den Menschen zu begegnen gewillt ist, und den Tieren und der Natur, der vermag jeden Tag Neues erforschen zu können. So vieles gilt es noch zu entdecken, weil noch so vieles offen ist im Leben. Und das gilt weder nur für die Hightech-Forschung noch nur für die Wirtschaft, die den Markt immer wieder in neue Höhen treiben will, ja das gilt nicht einmal für die Geisteswissenschaften, die heute eh leider immer mehr an Relevanz verlieren. Das gilt vor allem für das alltägliche Zusammenleben. Einem anderen Menschen oder auch sich selbst nahe zu kommen ist eine hohe Wissenschaft.
Es ist schön, wenn sich etwas klärt im Leben, wenn etwas klarer, verstehbarer, verständlicher wird. Solche Erkenntnis tut gut. Sie zeigt mir, dass es weiter geht im Leben, dass Leben immer ein Vorankommen ist. Nur wer sucht, findet eben auch. Nur, wen die Neugierde packt, vermag auch Befriedigung zu erfahren. Wer nichts erwartet, verfängt sich in Gleichgültigkeit und Belanglosigkeit und wird blind allem gegenüber, was erkannt werden möchte.
Vielleicht war Johannes der Täufer so etwas wie ein Vorläufer derer von Humboldt's und Gauß'. Auch er war ein ewig Suchender. Er war ein Unzufriedener im wahrsten Sinn des Wortes, er suchte den Frieden und hatte ihn bis dahin noch nicht gefunden. Dann geschah etwas Lebensveränderndes, etwas, was das ganze Leben auf den Kopf gestellt hat. Der Himmel hat sich aufgetan. Der offene Himmel schenkte ihm eine ganz neue Erkenntnis: Es gibt nichts auf dieser Erde, was nicht geliebt ist von Gott.
Von Humboldt und Gauß und vor und nach ihnen viele andere sind in die reale und in die geistige Welt ganz tief hineingestiegen, um zu begreifen und zu verstehen. Doch so wichtig das ist, zu begreifen und zu verstehen, war dies Johannes noch zu wenig. Er wollte erkennen; und ja: er hat erkannt, was allem Leben Sinn und Ziel gibt. Wer auf die hebräische Wurzel dieses Begriffes schaut, der weiß, dass Erkenntnis immer auch ein Akt des Zeugens ist, Erkennen heißt, etwas Neues schaffen. Wer erkennt, der erschafft Neues. Die Welt vermessen, um sie besser verstehen zu können ist das eine. Aber zu erkennen, dass in dieser Welt eine schöpferische Urkraft liegt, dass auf ihr und in ihr ein Geist liegt, der, um Goethe zu zitieren, alles zusammenhält, dazu bedarf es nicht nur eines ausgeprägten Abenteuerwillens wie der des Alexander von Humboldt; es bedarf auch mehr als nur eines so introvertierten Denkvermögens, wie es Karl-Friedrich Gauß zu eigen war. Darüber hinaus bedarf es auch eines sehnsüchtigen Himmelblicks, von dem wir ja im heutigen Evangelium hören.
Jesus hat sich von Johannes eintauchen lassen in die Tiefen des Jordan, um sich anschließend dem Himmel entgegen zu strecken, der sich dann öffnete und aus dem ihm der Zuspruch entgegenkam, geliebt zu sein. Verstehen und begreifen vermag ich vieles, erkennen kann ich nur aus der Kraft der Liebe. Und diese Liebeskraft erfährt, wer zu diesen beiden Lebensbewegungen fähig ist: Sich tief zu beugen in die Niederungen des Lebens und sich ebenso hoch zu strecken in die Sphären des Himmels.
Von Humboldt und Gauß waren nur schwerlich liebesfähig. So neugierig, so zielstrebig, so wissbegierig sie waren, so unzufrieden sind sie beide doch bis an ihr Lebensende geblieben. Sie glichen oft Getriebenen, aufgerieben und sich zerreißen lassend von dem Unbekannten, das in dieser Welt liegt. Und zweifelsohne wäre ein Fortschritt des Lebens ohne ein solches Getrieben sein undenkbar. Es bedarf unabdingbar zu dem aber auch der Einsicht, bedürftig zu sein. Es bedarf der Einsicht, der Liebe bedürftig zu sein. Wer ohne Liebe die Welt verstehen will, wer ohne ein Mitgefühl für diese Welt in die Geheimnisse dieser Welt einzudringen versucht, der wird nie im Letzten lieben können, was er entdeckt hat. Wer nur forscht, extremerweise um seinem eigenen Ehrgeiz gerecht zu werden, verrennt und verzettelt sich und im schlimmsten Fall wird er zum Handlanger zerstörerischer Kräfte. Für den, der um die Liebe weiß, ist alles Forschen immer ein Geschehen in Demut vor dem geheimnisvollen Ganzen.
In der Taufe ist uns diese Erkenntnis zuteil geworden, wenn sich über dem Menschen der Himmel auftut und der Zuspruch den Raum erfüllt: "An dir habe ich Gefallen gefunden. Du bist mein geliebtes Kind". Die zugesprochene Liebe Gottes ist der Schlüssel zur Erkenntnis, allem Geheimnis des Lebens ehrfürchtig zu begegnen und alle eigene Wissbegierde der Liebe zu allem, was lebt, unterzuordnen. Für den Forscher, der den Himmel im Blick hat, ist nicht die erste Frage die nach dem Können oder Wollen, vielmehr fragt dieser zuerst: Dient es dem Leben und schafft es den Frieden.
Christoph Simonsen