Ansprache von Christoph Simonsen zum 30. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C

Datum:
So. 23. Okt. 2022
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium nach Lukas (Lk 18,9-14)

Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Gleichnis:  Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort.  Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause hinab, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.

 

 

Ansprache:

Anfangs unseres Gottesdienstes sprach ich von den vielen Fragen, die mich, und vielleicht auch Sie in diesen Tagen umtreiben:

 

Warum zünden Menschen ein Haus an, in dem Geflohene aus der Ukraine nach Leid und Schmerz in ihrer Heimat endlich ein wenig Ruhe und Schutz gefunden haben, wie geschehen in der vergangenen Woche in einem kleinen Ort in Mecklenburg? Wieviel Gleichgültigkeit und Menschenhass muss in einem Menschen drinstecken, dass ihm das Leben von fremden Menschen völlig egal ist?

 

Warum gibt sich mutmaßlich eine Computerfirma in Meerbusch dafür her, Programme zu entwickeln und sie an die Mullahs im Iran zu verkaufen, damit diese dort das Internet vollkommen sperren können und die freiheitsliebenden Menschen jeder Möglichkeit berauben, untereinander in Kontakt zu bleiben. Eine deutsche Firma trägt mutmaßlich indirekt dafür Mitverantwortung, dass ein menschenfeindliches Regime willkürlich die Freiheit von Menschen mit Füßen tritt. Wie geldgierig muss man sein?

 

Warum wird mitten in einer Großstadt ein Schriftsteller (Kim de l’Horizon), der in der vergangenen Woche den Deutschen Buchpreis 2022 angegriffen und ins Gesicht geschlagen, nur weil diese Person sich die Lippen rot geschminkt hat und als nicht-binärer Mensch identifiziert wurde? Wieviel Enge und Verkrampfung muss in einem Menschen sein, dass er jeden Anstand verliert?

 

Mich haben diese Ereignisse der vergangenen Woche einfach nur sprachlos gemacht und ja, dann kommt die Frage auf: Wo ist Gott? Wie kann er da so einfach tatenlos zusehen?

 

Und dann steh ich unter dem Druck, an diesem Wochenende, wie eigentlich an jedem Wochenende, irgendwo in einer Kirche zu stehen, um Gottesdienst zu feiern, das Wort Gottes zu verkünden und zu deuten, Mahl zu halten und zu tun, als sei die Welt in Ordnung, wenn wir nur Gott ins Spiel bringen.

 

So einfach ist das weiß Gott nicht. Manchmal aber, unerwartet widerfährt mir dann etwas, was die Frage nach Gott wieder aufblühen lässt und mich ahnen lässt, dass er da ist, auch wenn ich mir selbst so unschlüssig bin. So am vergangenen Freitagmorgen, gestern also:

 

Ich steh unter der Dusche, und mein Blick schweift auf die Flasche mit dem Duschgel vor mir. Was steht da drauf: Its your light, thats lights the world“. Auf den Spruch musst du als Produktdesigner erst mal kommen in Verbindung mit einem Duschgel. Und irgendwie kann ich das nachvollziehen: sich entspannt unter die Dusche  stellen, vermag  in der Tat neue Lebensgeister zu wecken und einen strahlen zu lassen. Ein entspannter Anfang des Tages, eben auch unter der Dusche, kann zu einer Licht-Zeit werden. Und eine warme Dusch vermag sogar Selbstzweifel runterwaschen. 

 

An diesem gestrigen Morgen trug ich natürlich schon gedanklich die Frage mit mir herum, wie ich die Gottesdienste an diesem Wochenende vorbereiten könne und ich hatte Bange, ob mir etwas einfallen würde. Die Selbstzweifel steckten mir noch in den Knochen, ob ich der Richtige sei, Ihnen und Euch Worte und Gedanken mit auf den Weg zu geben, die ermutigen, stärken oder einfach nur gut tun.

 

Der Spruch, der auf dem Duschgel stand, hat mich aus meiner Lethargie herausgerissen: „Its your light, thats lights the world“. Diese Überzeugung hat mir gut getan. Sie hat mir gut getan, weil sie mir wieder eine Brücke gebaut hat zwischen meiner Innenwelt und meiner Außenwelt; Welt und ich bedingen einander, brauchen einander. Dieser Spruch hat mir Mut gemacht, nach dem Licht in mir zu suchen. Manchmal braucht es solche Erinnerungen unverhoffter Art, um einen darauf aufmerksam zu machen, dass etwas in einem leuchtet. 

 

 

Menschen mit einer Ausstrahlung, die vermögen andere zu begeistern, die wecken Neugierde, die können andere zu einem mutigen Leben anregen, zu einem echten, ehrlichen unverblümten Leben. Strahlende Menschen, die machen die Welt wirklich heller. Der Produktdesigner hat das gut erkannt. Und mich hat er neu mit der Nase drauf gestoßen. 

 

Allen, die nicht das gleiche Duschgel benutzen wie ich, empfehle ich das heutige Evangelium. Da ist auch vom Leuchten die Rede; aber nicht nur, denn das Evangelium heute spricht auch von Menschen, die glänzen wollen.  Leuchten ist etwas Grund weg anderes als Glänzen zu wollen.  

 

Es gibt Menschen, die glänzen vor Selbstbewusstsein, weil sie überzeugt sind, nahezu perfekt zu sein. Sie meinen, sie machen alles richtig, ihnen kann keiner einen Vorwurf machen, sie sehen bei sich keinen Grund, sich auch nur irgendwie in Frage zu stellen. In den anderen Menschen sehen sie grundsätzlich das Unfertige, das Minderwertige und in Gott sehen sie den Erbsenzähler, dem man wie einem Prüfungsvorsitzenden die Erfolgsliste vorlegen muss mit der vollen Punktzahl und dann bekommt man das Lebenszertifikat ausgestellt. Menschen, die sich so Gott und den anderen präsentieren, die mögen glänzen mit ihren Erfolgen, aber sie strahlen nicht, sie leuchten anderen Menschen nicht, geben anderen nicht die Chance, im Licht zu stehen; ja noch mehr, nehmen anderen das Licht, um ihre Wege gehen zu können. Erfülltes Leben erweist sich für sie in einem normgerechten Leben. So geriert sich der Pharisäer, den uns Jesus im heutigen Evangelium als schlechtes Beispiel vorstellt.

 

Hinter diesem Pharisäer aber steht ein anderer Mann, unscheinbar, übersehbar. Aber keineswegs verzichtbar. Er zeigt sich mit seinen Niederschlägen, mit seinen Misserfolgen. Dieses Leben strahlt, weil es sich offen zeigt, ungeschönt, ehrlich und voller Erwartung. Dieses Leben weckt eine große Neugierde bei Gott und eine große Ehrfurcht. Wer sich seiner eigenen Unvollkommenheit stellt, all seine Zweifel und Fragen zulässt, ausspricht, Gott und den Menschen anvertraut, geht als Gerechter nach Hause. Aufrecht geht er nach Hause. Auch hinter uns stehen solche Menschen. Vielleicht, wenn wir ehrlich sind, gleichen wir diesem Menschen mehr als wir ahnen. 

 

Die Gefahr ist groß, dass unsere Gesellschaft und auch unsere Kirche eher dem eine Zukunft versprechen, der glänzt mit großen Sprüchen, mit einem gierigen und übertriebenen Ich-Bewusstsein. Solch ein Glanz stumpft ab, wird matt und nutzt sich ab. Führt mich nicht nach Hause, sondern einzig in die Egozentrik und Selbstverliebtheit. Dies führt zu Exzessen, die ich anfangs beispielhaft vorgestellt habe. Wer abends guter Dinge nach Hause gehen möchte, sollte sich die Ehrlichkeit vor sich selbst bewahren. 

 

„Its your light, thats lights the world“. Ich hatte mich mit manchem Selbstzweifel unter die Dusche. Dank meines Duschgels bin ich drauf gestoßen, dass gerade dieser Selbstzweifel und die Erkenntnis der eigenen Begrenztheit zu leuchten vermögen und mir und uns helfen können, nicht übermütig und selbstgerecht zu werden. Übermut tut selten gut. Und Selbstgerechtigkeit verdunkelt die Strahlkraft der Menschlichkeit.