Ansprache von Christoph Simonsen zum 33. Sonntag im Jahreskreis C

33. Sonntag im Jahreskreis C - 2019

Datum:
So. 17. Nov. 2019
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium Lk 21, 5 - 19

 

In jener Zeit, als einige darüber sprachen, dass der Tempel mit schön bearbeiteten Steinen und Weihegeschenken geschmückt sei, sagte Jesus: Es werden Tage kommen, an denen von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleibt, der nicht niedergerissen wird. Sie fragten ihn: Meister, wann wird das geschehen und was ist das Zeichen, dass dies geschehen soll? Er antwortete: Gebt Acht, dass man euch nicht irreführt! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es! und: Die Zeit ist da. – Lauft ihnen nicht nach! Wenn ihr von Kriegen und Unruhen hört, lasst euch nicht erschrecken! Denn das muss als Erstes geschehen; aber das Ende kommt noch nicht sofort. Dann sagte er zu ihnen: Volk wird sich gegen Volk und Reich gegen Reich erheben. Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen. Aber bevor das alles geschieht, wird man Hand an euch legen und euch verfolgen. Man wird euch den Synagogen und den Gefängnissen ausliefern, vor Könige und Statthalter bringen um meines Namens willen. Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können. Nehmt euch also zu Herzen, nicht schon im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können. Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern und manche von euch wird man töten. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden. Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.

 

 

Ansprache

Der November ist ein stiller Monat. Es wird kälter: wir sind mehr drinnen als draußen. Es wird ruhiger: bevor die Unruhe der vorweihnachtlichen Zeit beginnt haben wir etwas mehr Zeit auch für uns. Es wird dunkler: die Abende werden länger. Ich erinnere mich eines Spieles, das ich früher mit meiner Lieblingstante und meinem Lieblingsonkel an solchen Abenden gespielt habe, wenn ich bei ihnen zu Besuch war. Es hatte keinen Namen und wurde auf keiner Spielemesse eigens vorgestellt. Ich weiß gar nicht: Vielleicht haben wir drei es sogar erfunden und ich könnte heute ein Copyright darauf geltend machen.  Wir nannten es das „Verkehrtrum-Wort-Spiel“. Einer überlegte sich ein Wort, das er dann verkehrt herum buchstabiert aussprach und wir mussten herausfinden, welcher richtige Begriff sich dahinter verbarg. „Lese“ war also eigentlich der „Esel“ und „Dnuh“ war der „Hund“ und „Egeilf“ die „Fliege“. Uns hat das damals wahnsinnigen Spaß bereitet und es war witzig zu hören und zu sehen, wie die komischen Zungenbrecher den Mund verließen. 

 

Nun ist mir letztens in Erinnerung an dieses Spiel aus meiner Kinderzeit ein mich nachdenklich stimmender Gedanke in den Sinn gekommen: Was geschieht, wenn ich das Wort „Leben“ verkehrt herum ausspreche? Nun: aus „Leben“ würde „Nebel“ werden. Darüber begann ich nach zu grübeln. Ja, mir erscheint das Leben manchmal wie ein Waten durch dichten Nebel. Da ist Angst, das Ziel aus dem Auge zu verlieren; da ist Angst, sich eine blutige Nase zu holen wegen eines Widerstandes, der sich einem in den Weg stellt. In der Tat: Wer würde sich nicht fürchten, wenn er nicht mehr erkennen würde, was um ihn herum ist?  Aber nicht nur Angst löst eine Nebelwand aus. Neben der Angst, über der Angst baut sich auch  Achtsamkeit auf. Wenn ich im Nebel stehe, dann bin ich in einer besonderen Weise, vorsichtig, behutsam. Mein sonst normales schnelles Eilen wird sozusagen abgebremst und ich taste mich langsamer voran, achte mehr auf den Weg und auf all das, was im Dunst des Nebels noch irgendwie erkennbar ist. Mit dieser Vorsicht ist die Hoffnung verbunden, sich keine Blessuren zu holen.

‚Gib acht auf dich‘. Das ist Jesu Botschaft heute an uns. Werde nicht zu großmäulig, sei nicht zu selbstgewiss, alles stünde immer da, wo es gestern noch gestanden ist. Die Vertrautheit, die dein Leben absichert, ist nicht selbstverständlich.

Daneben beschreibt das heutige Evangelium ziemliche Schreckensszenarien. Und sie sind alles andere als nur Utopie. Unsere Zeit heute kommt dem, was Jesus da beschreibt, schon ziemlich nahe. Genau in diese Situation hinein, die so ungewiss ist, so undurchsichtig, so unüberschaubar: Dort hinein bittet Jesus die Menschen, achtsam zu sein. ‚Gib auf dich acht‘ sagt Jesus und sei behutsam, dass du nicht fällst. Wäge deine Schritte ab und lass dich nicht blenden. 

Jesus bereitet die Menschen – ich möchte es so sagen – auf den Lebensnebel vor, der sich über die Welt legt. Seine Sorge ist, dass die Menschen einfach weiter unbeirrt durchs Leben jagen, so als sei alles ungefährdet und abgesichert. Nichts im Leben ist sicher. Wir sollten uns nicht verführen lassen, rät er dann seinen Freundinnen und Freunden weiter. Und da ist was Wahres dran: Verführer gibt es viele; Verführer, die Sicherheit garantieren und Menschenleben gering schätzen. Im undurchsichtigen Dickicht des Lebens fällt man schon mal über sie drüber und merkt es erst, wenn man auf der Nase liegt. Das sind zwei sehr schöne und auch wichtige Ratschläge Jesu, auf sich acht zu geben und sich nicht einwickeln, verführen zu lassen von den Schwätzern dieser Welt.

Dann sagt er aber noch etwas. Etwas sehr Ungewöhnliches, was eigentlich dem diametral entgegensteht, was er zuvor gesagt hat: Wir sollen nicht nur Acht geben auf uns im Lebens-Nebel, der uns umgibt und die Sicht versperrt, wir sollten uns dabei auch anvertrauen, wir sollten uns überlassen. Das klingt doch paradox: Acht geben auf sich, also die ganze Aufmerksamkeit auf sich konzentrieren, und sich dann zugleich anvertrauen. Es ist aber nicht paradox. 

Jesus führt uns vor Augen, worauf es im Ernstfall des Lebens ankommt. Ja: Es kommt auf mich selbst an. Im Ernstfall des Lebens kann ich nichts an niemanden delegieren. Ich bin wirklich auf mich gestellt und auf mich kommt es an. Ich muss mich meiner vergewissern: wer ich bin, woraus bin ich. In den Entscheidungsphasen meines Lebens muss ich mir selbst zur Frage werden und ich muss mir die Frage aller Fragen stellen: warum bin ich. In all diesen Fragen, diesen unruhigen Fragen, die nach einer Beantwortung der Daseinsberechtigung meiner selbst schreien, stellt sich unweigerlich die Gottesfrage. Ist Gott der Grund meiner Existenz und ist er das Ziel meiner Existenz. Mit dieser Frage ist Bangen und Zweifeln verbunden. Dem kann keiner entrinnen. Aber wer sich dieser Frage stellt und – wenn auch nur zögernd – mit ‚Ja‘ beantwortet, der wird in den Nebeln des Lebens ein tragendes Vertrauen spüren und ein Zutrauen, sich überlassen zu können, sich Gott  überlassen zu können. 

‚Gib acht auf dich‘ und vertraue dich an; vertraue dich Gott an, der Dir bei aller Ungewissheit, die das Leben auszeichnet, Freundschaft anbietet. Mit diesen beiden Ermutigungen möchte ich es wagen, durch den dicksten Nebel zu waten. Ja es stimmt: Auch im Lebensnebel können wir standhaft bleiben.

Christoph Simonsen