Ansprache von Christoph Simonsen zum 4. Advent 2019

4. Adventssonntag

Datum:
So. 22. Dez. 2019
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium  Mt 1,18-24


Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes.


Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.

Während er noch darüber nachdachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen. Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat:

Siehe: Die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns. Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.

 

Ansprache

 

Ich kann es Ihnen nicht ersparen, aber das Evangelium des heutigen Tages führt uns geradewegs zu einer Problematik, die für uns heute, und gerade für uns Christinnen und Christen in der kath. Kirche heute, auf der Tagesordnung steht. Josef macht’s möglich heute, die Rollenverteilungen in unserem tradierten Glaubensverständnis kräftig durcheinander zu wirbeln. 

 

In unserer lieben Mutter Kirche haben ja in der Regel eher die Männer das Sagen, was ja durchaus auch zu kritischen Anmerkungen Anlass geben kann. Der mütterliche Anteil ist eher dürftig wahrnehmbar, dann vielleicht, wenn Mutter Kirche sich gnädig zu ihren Schäfchen herabbeugt und Vergebung zuspricht. 

Ihr hört vielleicht einen leichten bissigen Unterton aus dem heraus, wie ich gerade in zwei Sätzen ein Kirchenbild konterkariert habe, was ich aber dennoch nicht für ganz falsch halte. Die Genderfrage wird ja zurzeit sehr kontrovers diskutiert. Oder sollte ich besser sagen: Die Genderfrage ist für die Verantwortlichen der Kirche gar keine Frage, weil die Geschlechterrollen indiskutabel festgelegt sind.

Im heutigen Evangelium steht ein Mann im Mittelpunkt. Nun, das ist in unserer katholischen Kirche nichts Außergewöhnliches; im Gegenteil, bei uns stehen die Männer eigentlich immer vorne an. Aber Josef, von dem wir ja heute hören, ist so gar nicht das typische Bild eines Mannes, wie es uns in unserer Kirche so oft aufgetischt wird. Josef sind so gar nicht die typischen Männlichkeitstypologien zu eigen, die wir ansonsten von den Männern in Mutter Kirche kennen. Josef ist kein Dogmenverkünder, kein Ritenspender, kein Soutanenträger und „Menschen-auf-Abstand-Halter“, kein „Ich-hab-hier-das-Sagen-Mensch“, kein „Nur-ich-kann-Jesus-vertreten-Berufener“. Mit Josef steht ein Mann im Mittelpunkt, der nichts zu sagen hat, und das im sprichwörtlichen Sinne. Im Verlauf der Weihnachtsgeschichte sagt er tatsächlich nichts. Aber was hat ein Mann in der Kirche zu suchen, der nichts zu sagen hat? Und warum dann hat Papst Franziskus diesem Mann neue Ehren erwiesen, indem er angeordnet hat, dass im römischen Hochgebet er neben Maria und den Aposteln ausdrücklich mit Namen zu erwähnen sei. 

Also, auch wenn selbst dieser Papst letztens die Genderfrage für unangemessen hielt, so scheint er mir dennoch zurückhaltend andeuten zu wollen, dass die Spezifikationen der Geschlechter auch in der Kirche durchaus variabel sein können. Josef, der Mann, schweigt, während Maria, die Frau, Fakten schafft. Sie ist es schließlich, die die Dinge in die Hand nimmt.

Mir drängt sich die Frage auf: Wie stellt sich das Weihnachtsgeschehen eigentlich aus der Sicht des Josef betrachtet dar? Seine Verlobte wird schwanger und er weiß von nichts. Und er fragt auch nicht. Er schweigt. Ist Josef womöglich so ein Typ  Mann, der froh ist, noch irgendwie eine abbekommen zu haben und das mit Fassung trägt, was nicht zu ändern ist? Mitnichten! Was offensichtlich zu sein scheint: Er wollte seine Verlobte nicht bloßstellen. Aber gefallen lassen wollte er sich auch nicht alles. Was bleibt? Sich klammheimlich aus dem Staub zu machen? Für Josef auch keine Option. Er denkt, bevor er handelt. Das ist auch nicht so unbedingt „Mann-typisch“. Zumindest kenne ich das von mir: Dass ich zuweilen schon mal was mache, bevor ich darüber nachgedacht habe, wie sinnvoll das ist. Ich erinnere mich an meinen alten Mathelehrer, der mir wiederholt früher sagte: „Christoph, erst denken, dann reden“. Meine Erfahrungen in den kirchlichen Strukturen sind da durchaus ähnlich, dass lieber gehandelt wird nach stereotypen Vorgaben (im Zweifelsfall nach dem Motto: „Das war schon immer so), und Nachdenken und ehrlich reflektieren dabei unter den Tisch fallen. Wer nachdenkt, der wird automatisch ruhig, besonnen, nachdenklich eben. Wer nachdenkt, der gesteht sich ein, Wissensdefizite zu haben. Franz Alt, der nachsichtige Journalist sagte einmal, dass er sich mehr eine lebenssuchende und weniger eine dogmatische Kirche wünschen würde.  Josef denkt also nach und bewahrt sich eine Ruhe, die ihn sogar gut schlafen lässt. Er schläft und er träumt. Träumer sind heutzutage ähnlich verpönt wie Gutmenschen. Wer träumt, der verlässt den Boden der Tatsachen, könnte man meinen. Ja das stimmt wohl auch. Aber wer zu träumen vermag, der öffnet sich neuen Welten, neuen Wahrheiten, unbewussten, unterbewussten Realitäten. Wer sagt denn, dass nur das wahr ist, wahrhaftig ist, was man mit den fünf Sinnen fassen kann? Träumer sind keine Spinner, Träumer sind Realisten der 4. Dimension. 

Der Traum des Josef hat sehr reale Konsequenzen: Er macht, was man normalhin nicht macht; er stellt sich der realen Situation. Und er sieht, was andere nicht sehen: Noch vor dem staunenden Besuch der Hirten, noch vor der jämmerlichen Angst eines Herodes, ja sogar noch vor allem Engel-Halleluja sieht er in dem unehelichen Kind ein Geschenk Gottes. Das sollten einem die Männer in der Kirche heute mal nachmachen: Vorreiter zu sein, eine neue Wahrheit zu erkennen, und nicht nur alte Wahrheiten zu verkünden. 

Josef bleibt eine geheimnisumwitterte Persönlichkeit: Jenseits aller vorgegebener spießigen Bürgerlichkeit, behält er einen klaren Kopf und vertraut seiner inneren Stimme mehr als aller äußerlichen Moralität. Und Josef war ein Mann, der sich von Visionen leiten ließ. Die nackten Tatsachen (das nackte Kind in der Krippe) zwangen ihn zu einer nüchternen Bodenständigkeit ohne sich davon fesseln zu lassen.

Wenn wir jetzt mit großen Schritten auf Weihnachten zugehen, dann sollten wir nicht nur Maria bestaunen und das Kind verehren, wir sollten auch diesem Josef Respekt zollen, der die Rollenmuster des Lebens ziemlich in Frage gestellt hat in der Weise, wie er lebte und uns – mich zumindest – zur Nachdenklichkeit anregt, wie schnell und voreilig wir uns in Kirche und Welt von Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten leiten lassen, ohne vorher nachzudenken.

Christoph Simonsen