Ansprache von Christoph Simonsen zum 4. Sonntag in der Fastenzeit - Lesejahr B

Datum:
So. 14. März 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Aus dem Evangelium nach Johannes (3,14-21)

Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat. Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat. Denn darin besteht das Gericht: Das Licht kam in die Welt, doch die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind.

 

Keine Angst vor der Dunkelheit

Die vergangene Woche hat mir psychisch schon ein wenig zugesetzt nach den Tagen davor, die schon so sonnig warm waren und ahnen lassen konnten, dass der Frühling vor der Tür steht. Und in der Tat: Krokusse und Osterglocken im Garten ließen hoffen. Nach den dunklen Wintertagen wieder eine Ahnung von Wärme und Licht zu bekommen, das hat die Glückshormone hochgepuscht. Ich hatte sogar schon die ersten mutigen Jungs gesehen mit kurzen Hosen. Und dann doch wieder das nasse stürmische Wetter, tagsüber wird es nicht wirklich hell und die Winterlähmung kroch so langsam wieder hoch.

 

Es ist offensichtlich: Licht und Wärme sind und bleiben nur die eine Seite des Lebens. Kälte und Dunkelheit lassen sich nicht so einfach ausblenden. Und das ist auch gut so. Besser schlafen tut man, wenn’s dunkel ist und nicht so brühend heiß. Und noch ein anderes Beispiel aus der Tierwelt mag ein Beleg dafür sein, dass auch die dunklen Seiten ihr Gutes haben, denn Tiere suchen in der Dunkelheit Schutz vor ihren Gefährdern. Das Licht mag beliebter sein als die Dunkelheit, die Wärme behaglicher als die Kälte, und doch hat auch die Dunkelheit und auch die Kälte ihren Sinn und ihre Bedeutung, die Sorgen, die der Klimawandel uns macht, bezeugen es eindringlich.

 

Dunkelheit und Kälte: Nicht nur im wörtlichen, sondern auch in einem übertragenen Sinn haben sie ihre Bedeutung, ihren Sinn und Wert. 

Ich bin zum Beispiel ganz froh, dass ich so manches in meinem Leben ins Dunkle der Unwissenheit wegschieben kann: Manches Traurige, auch manches Unvollkommene. 

Es mag nachvollziehbar sein, dass wir die Sonnenseiten unseres Lebens lieber zeigen, aber genauso wie diese gehören auch die dunklen Seiten zum Leben. Wer einigermaßen ehrlich sich selbst gegenüber ist, der muss sich eingestehen, dass auch in ihm/ in ihr ein Schweinehund lebt. Ja, es ist feige, unredlich vielleicht sogar, unmenschlich im schlimmsten Fall, und doch bin ich froh, dass ich manche Wirklichkeit meines Lebens ins Dunkle verbannen kann, so dass es die anderen nicht sehen. Das ist ganz gewiss kein schöner menschlicher Schachzug; andererseits ist es eben doch menschlich. Und ihr mögt mich für verrückt erklären: Ich glaube, dass auch und gerade in diesen dunkelsten Verließen meines Lebens Gott gegenwärtig ist. 

 

Wir leben in einer Welt, in der Perfektionismus und der Schein der Vollkommenheit mehr zählt als die Gabe und die Fähigkeit, sich ungeschützt und ungeschminkt den anderen zuzumuten. Dieses Denken zieht sich ja hinein bis in unsere Glaubenswelt, wo es Seelsorgende gibt, die immer noch behaupten, nur die und der wären der Sakramente würdig, die ohne Sünde vor Gott dastehen würden. Und warum genieren sich so manche Kirchenverantwortlichen, zu ihren Fehlern zu stehen im Umfeld der Missbrauchstaten? Doch nur, weil sie immer noch den Eindruck erwecken wollen, als Bischof, Weihbischof, Generalvikar, Personalverantwortlicher, als Priester dürfe man sich keine Schwächen, keine Fehler und Sünden eingestehen; sich selbst nicht und den anderen schon gar nicht. Und wenn überhaupt, dann in der Dunkelheit des Beichtstuhls. Aber dem müssten wir es doch eigentlich am wenigsten zugestehen, denn er weiß es doch längst: Ob wir sitzen oder stehen, Gott weiß doch um uns… So beten wir in den Psalmen.

 

Dass Welt und Kirche nicht auseinander zu dividieren sind, dass Kirche kein Sonderdasein fristet in Gottes Schöpfung, das wird an dieser Wirklichkeit in besonderer Eindringlichkeit klar: Alle versuchen, abzuspalten und zu trennen, was doch eigentlich zusammengehört, machen uns Menschen im letzten krank. Es entsteht die Welt des Lichts und die Welt der Dunkelheit. Und wir springen in unserem Inneren wie auch in unserem Verhalten mehr oder weniger gekonnt zwischen diesen Welten hin und her und verdrängen, wie gespalten unser Leben doch oft ist. Wir machen vergessen, dass dort, wo im Frühling die Sonne scheint, nicht nur das Schneeglöckchen wieder beginnt zu blühen, sondern auch das Moos und das Unkraut, das wir dann mit aller Mühe auszureißen versuchen im Wissen, dass es doch immer wieder kommt. Gott aber lässt die Sonne scheinen über Gutes und Böses. Deshalb sind wir angehalten, alles wachsen und sogar reifen zu lassen bis zur Ernte.

 

Das Leben ist ein Ganzes und wird nicht dadurch wertvoller, dass wir es aufteilen in zwei Hälften: in eine vorzeigbare und in eine, die wir verstecken. Wir Menschen brauchen nicht zu retten und wir brauchen auch nicht zu richten. Wir bräuchten uns nur daran erinnern, dass Gott allein es ist, der das Leben – also auch das Unsrige – zu retten vermag, dann könnten wir aufhören uns zu Richtern zu erheben und über uns selbst oder über andere Gericht zu halten. Wenn dies allen klarer wäre, bräuchten wir uns auch vor unseren Fehlern und Schwächen nicht zu ängstigen und die Schwachstellen der anderen missbrauchen.

 

Wir sind längst erlöst, und zwar von Gott. Wir könnten uns dieses Geschenk bewusster machen, und aufgrund dessen beginnen – wie es im heutigen Evangelium heißt – die Wahrheit zu tun. Und die Wahrheit ist, dass wir Menschen sind, unvollkommene, beschränkte Menschen. Nicht so tun, als sei alles nur licht und hell in unserem Leben. Zu dem auch mutig, ehrlich die Schattenseiten unseres Lebens zu verantworten, das ist wahrhaftig. Und es wäre möglich, denn niemand muss sich behaupten vor den anderen. Das Leben müsste nicht glatt gebügelt werden, wir könnten aufhören uns als Schöpfer eines utopischen, heilen Lebens zu gebären und wir dürften beginnen, uns in und mit unesrer Begrenztheit ins Licht Gottes zu stellen.

 

Unser Leben, und eben das Leben als Ganzes vollzieht sich im Licht und in der Dunkelheit. Je ehrlicher wir diese Wirklichkeit zulassen, je mehr wir uns eingestehen, Geschöpfe und nicht Schöpfer zu sein, umso mehr werden wir erfahren dürfen, in der Gnade Gottes zu stehen.

 

Also: Die Sache mit dem Licht und mit der Dunkelheit ist etwas komplexer, als wir vielleicht zuvor dachten. Wir könnten und dürften ehrlicher zugeben, dass beides zu unserem Leben dazu gehört. So schön der Frühling ist, auch der Winter hat Seiten, die unabdingbar, ja lebensnotwendig sind.