Ansprache von Christoph Simonsen zum 7. Sonntag der Osterzeit

Datum:
So. 24. Mai 2020
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Aus dem Evangelium nach Johannes (17,1-11)

Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben.  Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.  Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue.  Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.  Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt.  Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt.  Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.  Ich bitte für sie. Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein. Und alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein; und ich bin in ihnen verherrlicht. Und ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir.

 

Ansprache:


Wenn ich richtig informiert bin, so ist es hier in der Münsterkirche und in der ganzen Pfarrei St. Vitus eine schöne Tradition, das Fest Christi Himmelfahrt in ökumenischer Geschwisterlichkeit zu feiern. Wie so vieles in Corona Zeiten ist dies in diesem Jahr anders gewesen. Eigentlich ist das ja auch ziemlich traurig, dass eine solche Verbundenheit besonders betont und nur an besonderen Festtagen ausdrücklich gefeiert wird. Wir Christinnen und Christen gehören zusammen, gleich welcher Konfession und wenn wir aufhören, uns zusammenzuraufen, wenn wir es nicht schaffen, die verschiedenen Traditionen und Auslegungen zusammenzubringen, dann ist das mehr als ein Trauerspiel, dann ist das ein unverzeihliches Versagen und ein bewusstes Missverstehen des Wortes Gottes.

Wer hindert uns eigentlich daran, wo immer es geht, diesen Schandfleck des Christentums beim Namen zu nennen? Heute ist eine passende Gelegenheit, uns einander und uns als Kirche daran zu erinnern, denn wir können und dürfen und müssen heute ein Thema aufgreifen, das uns über Konfessionen und Religionen hinweg miteinander verbindet; so dass nicht mal der katholischste Bischof und Papst etwas dagegen haben könnten? Welches Glaubensthema könnte verbindender sein als unser gemeinsames Bemühen, das Beten, das Sprechen mit Gott in den Blick zu nehmen. 

 

Nichts und niemand ist verbindender als unser gemeinsamer Gott. Da schafft es keine Geschichte, kein Konzil, keine Ämterfrage sich zwischen uns und Gott zu stellen. Die Begegnung mit Gott kennt keine Grenzen der Konfession; ja selbst über die Religionen hinweg, ist und bleibt Gott der Umfassende; er umfasst uns alle; er birgt alle ohne Unterschied in seiner heilenden Verheißung. Sein Wort ist Licht und Leben, was braucht mehr?

 

Das heutige Evangelium beschenkt uns mit einem wunderschönen Gebet. Jesus, unser Bruder und der Menschenfreund aller stellt sich mit seinem ganzen Leben hinein in das Licht seines Vaters. In moderner Sprache könnten wir vielleicht sagen, er reflektiert sein Leben vor Gott und versucht, sein ganzes irdisches Leben auf das Wesentliche zusammenzuführen. Worauf ist es angekommen, was war wichtig und bleibt wertvoll. Was ich wahrnehme, dass Jesus unendlich dankbar ist für sein Leben, das er auf Erden leben durfte. In seinen Worten klingt ein großer Frieden mit. All das Schwere, all das Ungerechte, all das Mörderische, das ihm widerfahren ist, scheint vergessen und es überwiegt Dankbarkeit und Zuversicht. Diese Lebensdankbarkeit bewundere ich und wie wünschte ich mir, am Ende meines Lebens auch eine solche Dankbarkeit in mir verspüren zu dürfen. Alleine wenn ein Beten diese Lebensruhe vermitteln kann, wäre es wert, alle Zeit der Welt mit Beten zu verbringen.

 

Aber ist dem so? Verspüre ich eine lebensbegleitende Dankbarkeit in mir? Ehrlich gesagt, kann ich eine gehörige Portion Neid nicht verhehlen, wenn ich so auf Jesus schaue und seine letzten Worte höre. Bete ich in richtiger Weise, so frage ich mich, denn ich kann mich nicht so ohne weiteres frei machen von den schweren und leidvollen Erfahrungen meines Lebens und sie einfach aufheben in ein schönes Gebet, das alle Tragik des Lebens vergessen macht. Ich vermute, das verbindet mich konfessions- und religionsübergreifend mit manch anderen Menschen. 

 

Ich muss ehrlicherweise gestehen, dass in meinem bisherigen Leben nun wirklich nicht alles gut gelungen ist; mehr als einmal stand ich vor einem großen Scherbenhaufen, der nicht so mir nichts dir nichts aufgekehrt werden konnte. Mehr als einmal, ja immer wieder stellte und stellt sich mir die Frage nach dem Sinn eines Gebet: Kein Gebet vermag einen Menschen wieder gesund zu machen, und noch so viele Gebete vermindern nicht die Ungerechtigkeiten in der Welt und auch der Hunger der Vielen wird nicht gestillt dadurch, dass wir uns zum Gebet versammeln. 

 

Diese Erfahrung mag schwer zu hören und noch schwerer zu ertragen sein, aber es ist wohl so: Ein Gebet ersetzt nicht das Leben. Schon der Hl. Benedikt  hat das erkannt. Sein Grundsatz lautete: ora et labora, bete und arbeite. Und die Betonung liegt eindeutig auf dem „und“. Es heißt eben nicht: bete oder arbeite, sondern bete und arbeite. Das Gebet ersetzt nicht das Leben, aber was uns Jesus in seinem Gebet vor Augen führen möchte, ist dies: das Leben vermag aus dem Gebet heraus eine neue Gestalt zu finden.

 

Im Gebet bündeln sich alle Dimensionen des Lebens: Verstand und Gefühl, Erwachsensein und zugleich auch Kindsein wollen, alle meine Hoffnungen und genauso alle meine Enttäuschungen, Vergangenheit und Zukunft, Du und ich, Welt und ich, Endlichkeit und Ewigkeit, Gott und Mensch. In einem Gebet, dem persönlichen wie auch dem gemeinsamen, trifft all dies aufeinander. Das Gebet ist das Bindeglied zwischen Sein und Werden. 

 

Es möchte uns Kraftquelle sein, das Leben zu gestalten, und uns erkennen helfen, dass uns Verantwortung übertragen ist vom Schöpfer und zugleich eine Zusage geschenkt wurde, eine unverlierbare Zukunft in uns zu tragen.

 

In der Zeit des Betens dürfen wir erkennen: Alles Leben, mag es noch so banal und alltäglich sein, übersteigt diese Welt. Diese Welt, die Gott in unsere Hände gelegt hat, und die so unendlich wertvoll ist, sie ist nicht alles. Gewiss, unser Mühen und Sehnen sollte der Liebe zu Gottes Schöpfung geschuldet sein; er hat sie in unsere Hände gelegt, uns anvertraut. Aber, wie uns das Gebet auf unsere Verantwortung für Gottes Schöpfung verweist, eröffnet es uns auch die neue Dimension des Himmels. Mein Leben, alles Leben ist nicht an diese Erde gebunden. Es gibt mehr, als wir Menschen uns je ausdenken könnten und wir sind reicher, als wir es uns überhaupt vorstellen können.  Deshalb sagt Jesus auch an anderer Stelle: „Sorgt euch nicht um morgen, denn jeder Tag hat seine eigenen Plagen.“

 

Im Blick auf die Zuversicht und Dankbarkeit Jesu weitet sich der Blick auch auf mein Leben. Aus Neid wird Hoffnung. Hoffnung nämlich, dass ich am Ende meines Lebens das Schwere hinter mir lassen kann, nicht weil ich es vergessen und einfach abwerfen könnte, sondern weil ich es zu integrieren vermochte in meine Hoffnung und meinen Glauben, dass vor Gott alles Bestand hat und alles zum Wohle gereicht, wenn ich nur um eines bemüht war in meinem ganzen Leben: Nie zu vergessen nämlich, dass das Leben kein Besitztum ist sondern ein großes Geschenk.