Ansprache von Christoph Simonsen zum Aschermittwoch 2021

Datum:
Mi. 17. Feb. 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Lesung: Joel, 2,12-18

Auch jetzt noch - Spruch des Herrn: Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen. Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte und es reut ihn, dass er das Unheil verhängt hat. Vielleicht kehrt er um und es reut ihn und er lässt Segen zurück, sodass ihr Speise- und Trankopfer darbringen könnt für den Herrn, euren Gott. Auf dem Zion stoßt in das Horn, ordnet ein heiliges Fasten an, ruft einen Gottesdienst aus! Versammelt das Volk, heiligt die Gemeinde! Versammelt die Alten, holt die Kinder zusammen, auch die Säuglinge! Der Bräutigam verlasse seine Kammer und die Braut ihr Gemach. Zwischen Vorhalle und Altar sollen die Priester klagen, die Diener des Herrn sollen sprechen: Hab Mitleid, Herr, mit deinem Volk und überlass dein Erbe nicht der Schande, damit die Völker nicht über uns spotten. Warum soll man bei den Völkern sagen:  Wo ist denn ihr Gott? Da erwachte im Herrn die Leidenschaft für sein Land und er hatte Erbarmen mit seinem Volk. 

 

Ansprache:

Joel ist es wirklich ernst, alle sollen zusammenkommen, das Erbarmen Gottes zu erflehen: Die Säuglinge, die Kinder, der Bräutigam und die Braut, die Alten, einfach alle Menschen. Alle werden aufgerufen, ihren Alltag, ihr Leben zu unterbrechen, um gemeinsam dafür zu beten, Gott möge doch gnädig sein. Und alle erdenklichen Formen und Rituale werden aufgeboten, Gott umzustimmen. Fasten sollen sie, Gottesdienst feiern, auf den Berg steigen und ins Horn stoßen, dass es alle mitbekommen. Bei all dem bleibt im Unklaren, was eigentlich geschehen ist, dass Gott so erzürnt. Unmissverständlich ist allerdings, dass die Welt am Rande eines Wahnsinns steht, so dass jede Stimme, alle gläubige Leidenschaft notwendig ist, Gottes Hilfe zu erflehen. 

 

Keine Zeit gleicht der anderen; das Empfinden aber, unsere heutige Welt stünde ähnlich dramatisch am Abgrund wie die damalige, dieses Empfinden drängt sich mir doch sehr auf. Die Corona Pandemie darf uns nicht vergessen machen, dass unsere Welt immer mehr droht, auseinanderzufallen in arm und reich, in Orte des Krieges und Oasen des Friedens. Und besteht nicht die Gefahr, dass das Virus diese Spaltungen noch vergrößert und verschärft? Ohne all die Krisenherde aufzulisten, in denen Menschen leiden und sterben  müssen; ohne all die grenzenlose Ungerechtigkeit beim Namen zu nennen, mit der die Menschen einander in diesen Tagen verletzen und demütigen; ohne an die Verrohung der Sprache zu erinnern, mit der wahnwitzig besessene Politiker*innen in bestimmten Parteien den Boden nähren für Neid und Hass und Gewalt: Ohne all das beim Namen zu nennen, spürt ihr sicher alle selbst, dass unsere Welt heute einem Hexenkessel gleicht, dem Menschlichkeit und Warmherzigkeit verloren zu gehen droht. 

 

Ja, auch heute sollte einer aufstehen und alle Menschen so wie damals in Juda zusammenrufen. Und alle sollten zusammen den um Hilfe bitten, der am tiefsten leidet an all dem, was in unseren Tagen geschieht. Es ist gut, dass wir heute Abend zusammengefunden haben. Natürlich kann ich nur für mich sprechen, aber ich wünsche mir sehr, dass ihr es ähnlich seht: Ich möchte Gott eingestehen, und wenn ihr erlaubt, auch in eurem Namen, dass die Tragik unserer Tage nicht Schicksal ist, das über die Welt eingebrochen ist. Nein, vieles von dem, was unsere Welt heute so dunkel und trostlos, ungerecht und so wenig solidarisch macht, das ist von Menschen gemacht, von Menschen verschuldet, von Menschen zu verantworten. Ich trage, obwohl ich noch nie in einen Krieg gezogen bin, obwohl ich noch keinem Menschen Heimat verwehrt habe, obwohl ich noch nie an der Börse spekuliert habe, obwohl ich keinen Stacheldrahtzaun irgendwo hochgezogen habe und obwohl ich bis heute niemals eine Waffe in der Hand gehalten habe: Ich trage Mitschuld an dem Zustand, in dem sich unsere Welt heute befindet. Sei es durch mein Tun oder durch mein Nicht-Tun, sei es durch mein Reden oder auch durch mein Schweigen, ich bin nicht Zuschauer des Geschehens in unserer Welt, ich bin ein Akteur all dessen, was diese Welt so kalt und dunkel sein lässt, und deshalb fühle ich mich schuldig. 

 

Dabei weiß ich um meine Begrenztheit. Weder ich noch ein anderer von uns vermag alleine zu ändern, was aus dem Gleichgewicht geraten ist in unserer Welt. Das wäre für jede und jeden von uns eine absolute Überforderung. Aber die Einsicht, dass auch durch mich die Welt so ist, wie sie ist; Diese Einsicht, die mehr ist als ein Gefühl ist, sondern ein überprüfbarer Tatbestand, die lässt mich für mich allein, wie im Austausch mit anderen die Frage stellen, wo ich mich ändern kann, wo ich mein Verhalten, mein Reden, mein Engagement ändern kann und ändern muss, damit die Welt nicht so bleibt, wie sie ist. Um uns daran zu erinnern, streuen wir einander gleich Asche aufs Haupt. Es ist ein Eingeständnis meines und unseres Versagens. Ich lege offen, ich bezeuge, Mittäter zu sein am Unrecht, das Menschen und der Schöpfung zugefügt wird. Wenn diese Einsicht gewonnen ist, dann ist Umkehr, Erneuerung möglich. 

 

Joel hat zu seiner Zeit die Menschen bewegen können, dies zu bekunden, Mitschuld zu tragen am Leiden in der Welt. Gott hat dieses Bekenntnis damals berührt, dass seine Leidenschaft für sein Land, für seine Schöpfung, für die Menschen neu erwachte. Und ich bin fest überzeugt, dass seine Leidenschaft für eine menschliche, friedfertige Welt auch unsere Leidenschaft heue neu erwecken kann. Denn das Erbarmen Gottes ermöglicht unendlich viel. Die 40 Tage der Vorbereitungszeit auf das Osterfest, sie möchten uns einladen und herausfordern, dieser Leidenschaft Gottes neu zu begegnen, um unser Handeln und Reden mit neuer Leidenschaft zu erfüllen für Frieden und Gerechtigkeit.

 

Der Aschermittwoch ist ein Bußtag. Die Asche, die nun gleich auf unser Haupt gestreut wird, dürfen wir tragen als ein Zeichen unserer Gesinnung. Wir treten vor Gott hin, vor die letzte Instanz unseres Lebens. Sein Maß, mit dem er uns richtet, ist Jesus Christus selbst, das menschgewordene Erbarmen Gottes.