Evangelium: Johannes 18,33-37
Da ging Pilatus wieder in das Prätorium hinein, ließ Jesus rufen und fragte ihn: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt? Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein Volk und die Hohepriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier. Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.
Der Penner auf der Parkbank: Jesus?
Jesus, ein obdachloser Mann auf einer Parkbank? Tatsächlich eine ungewöhnliche Darstellung des Sohnes Gottes. Aber eine solche lebensgroße Bronzeskulptur gibt es wirklich. Der kanadische Künstler Timothy Schmalz, der selbst lange Zeit obdachlos war, hat sie geschaffen. Der Störfaktor „Kunst“ führt eben doch sehr oft zum Wesentlichen. Für uns hier in der Citykirche ist dieser Störfaktor eine Selbstverständlichkeit; aber wir sollten uns auch immer vor Augen führen, dass dieser Störfaktor kein Selbstzweck ist, sondern Mahnung für uns sein muss.
„Ohne Moos nix los“ heißt es in einem sehr fragwürdigen Sprichwort; ich würde gern ein anderes Sprachspiel vorschlagen: „Ohne Kunst nix los“, in der Kirche nicht, auch in der Gesellschaft nicht. Es braucht die Provokation der Kunst, auch und gerade im Raum des Religiösen, denn Religion muss denen eine Provokation sein, die der Überzeugung anhängen: „Ohne Moos nix los“.
Der Künstler, der in den Vereinigten Staaten lebt, hat seine Arbeit sowohl der St. Patrick´s Cathedral in New York wie auch der St. Michael´s Cathedral in Toronto angeboten; aber wen wundert es: beide Kirchen lehnten es ab, dem Kunstwerk in ihren Kirchen Obdach zu geben. Die offizielle Begründung: zu teuer. Inoffizieller Grund: unzumutbar, skandalös. In einem Land, in dem ein Tellerwäscher nur dann wahrgenommen wird, wenn er aus eigenen Kräften zum Millionär aufgestiegen ist, in einem solchen Land ist es kaum vorstellbar, Jesus als Obdachlosen in einer Kathedrale zu verewigen. Aber ich mache mir nichts vor, das Domkapitel in Aachen hätte sicher auch tausend triftige Gründe gefunden, diese Skulptur außen vor zu lassen.
Da wurde Papst Franziskus auf diese skandalöse Skulptur aufmerksam und er beorderte sie nach Rom. Sie steht heute in den Vatikanischen Gärten, leider sehr verborgen und für die Öffentlichkeit nicht wirklich zugänglich. Mein Vorschlag wäre eher, sie in die Kathedrale gegenüber der Pieta von Michelangelo zu platzieren. Beide Skulpturen würden einen nachdenklichen Kontrast bilden zum epochalen Hochaltar von Bernini.
Ein Obdachloser, das Gesicht unbeholfen mit einer Decke schützend zugedeckt. Unter dem Faltenwurf zeichnen sich die Umrisse des Körpers ab. Nur die Füße, an denen noch der Schlamm der Erde klebt, sieht man. Für sie ist die Decke zu kurz. Erst bei genauem Hinsehen erkennt man die blutverklebten Wundmale an ihnen. Ohne Zweifel: unter dieser Decke liegt ein Obdachloser, der einen Namen hat: Jesus. Timothy Schmalz lehnt sich mit seiner Arbeit an die Worte Jesu aus dem Matthäusevangelium an: "Ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet; ich war fremd, und ihr habt mir Obdach gegeben." Kunst ist ein Lernfeld, Religion und Glauben sind Lernfelder, Menschlichkeit ist ein Lernfeld.
In dem unbeachteten Penner auf der Parkbank den Größeren erkennen. Im Menschen, der ganz unten ist, Gott erkennen, das ist die Erkenntnis, die dem Leben eine ganz andere Richtung zu geben ermöglicht. Austreten aus dem Mainstream der schnelllebigen Oberflächlichkeit und im Antlitz des anderen das Geheimnis des Lebens entdecken. Dazu bedarf es Zeit und Geduld und Mut.
Wir Menschen würden Gott missverstehen, ja sogar missbrauchen, würden wir ihn nur symbolisch und ritualisiert als Bruder der Menschen sehen. In größter Konsequenz zeigt Gott sich wirklich als der Letzte. Allerdings missdeuten wir Menschen oft das, was wir im ersten Augenblick sehen. Wir denken oft, der Letzte sei das Letzte. Wenn wir so denken, dann wird uns Gott auch nie wirklich vertraut werden. Denn wer dieses Menschenbild in sich trägt, der wird Gott nie nahe kommen. So groß das Geheimnis Gottes ist, so offenbar ist, dass wir Menschen ihm nur näher kommen, wenn wir nach unten schauen.
Es mag tausend Gründe geben, die den Obdachlosen aus der Bahn geworfen haben mögen; Gründe, die die Etablierten und Selbstgerechten als ein eigenes Verschulden abkanzeln. Wer sich jedoch frei macht von der Arroganz der Überheblichkeit, der wird in diesem Menschen das Bild des Königs sehen, der immer den Weg nach unten gegangen ist, und: er wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen darüber, wo überall der König der Welt zu finden ist.
Der Mensch, jeder Mensch, jedes Geschöpf darf und muss sich als Verdankter erkennen. Alles, was lebt, verdankt sich der Liebe Gottes.
Der Mensch ist mehr als die Summe dessen, was er aus eigenem Vermögen heraus erreicht hat. Der Mensch ist Geschenk und er ist Gefäß der Liebe Gottes. In jedem Menschen schlägt das Herz eines Königs.