Lesung aus dem Buch der Römer (Röm 5,1-5)
Gerecht gemacht also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn. Durch ihn haben wir auch im Glauben den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Mehr noch, wir rühmen uns ebenso der Bedrängnisse; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.
Ansprache:
In Bedrängnis zu leben wünscht sich keiner. Und sich dann auch noch dieser Bedrängnis zu rühmen, das klingt geradezu pervers. Dieser Paulus muss irgendwie schon ein wenig verrückt gewesen sein. So kann doch kein normal denkender Mensch empfinden: „Wir rühmen uns unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld“. Wenn ich diesen Gedanken unreflektiert stehen lasse, dann könnte man fast meinen, dieser Paulus sei psychisch krank, verrückt. Wie kann man sich einer Bedrängnis rühmen und daraus auch noch eine geduldige Perspektive entwickeln?
Paulus – ein Verrückter? Das kann doch nicht sein. Verrückt ist, wer den Bezug zur Wirklichkeit verloren hat, wer sich in eine eigene Scheinwelt zurückzieht und fest behauptet, das sei die Realität. Hat Paulus den Bezug zum konkreten Leben verloren?
Als er diese Gedanken aufgeschrieben hat, saß er im Gefängnis. Klar, da kann es schon mal passieren, dass man sich in Gedanken in eine andere, freiere Welt hineinträumt, um zu vergessen, dass man eingesperrt ist. Aber das können eigentlich nur Sekundenträume sein, denn im Gefängnis kann man sich der Wirklichkeit eigentlich nicht entziehen, und zur damaligen Zeit schon mal gar nicht.
So menschlich es ist, sich manchmal wegzubeamen, wenn einem gerade alles mal wieder über den Kopf wächst, so wissen wir doch auch, dass man vor dem Leben nicht weglaufen kann.
Wenn Paulus also nicht verrückt ist, was kann er meinen mit diesem Satz: „Wir rühmen uns unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld.“
Die Gefängnismauern mögen bedrängend sein, einengend, lebensberaubend. Die Ursache aber, die verantwortlich dafür ist, dass er in seinem Leben so eingeengt ist, seiner Freiheit im wahrsten Sinn des Wortes beraubt ist; die Ursache für diese Bedrängnis ist sein Glaube, seine Überzeugung, seine Bereitschaft, zu dem zu stehen, wovon er überzeugt ist. Paulus rühmt sich seines Gefangenseins, weil er seiner Überzeugung, seiner Lebensquelle treu ist und sich im letzten getragen weiß davon und die Gefangennahme nichts davon schmälert. Auch die engen Mauern können Paulus nicht davon abhalten, dass er sich selbst, seinen Überzeugungen, seinem Glauben treu bleibt.
Gestern haben wir in Geilenkirchen den CSD eröffnet, den Christopher Street Day. Für die, die nicht so eingeweiht sind, es ist der Gedenktag daran, dass am 28. Juni 1969, also vor 53 Jahren, queere Menschen sich zum ersten Mal öffentlich sichtbar gewehrt haben, als sie in der Christopher Street in New York von Polizisten überfallen wurden, nur weil sie sich in einer schwulen Kneipe friedlich zusammengefunden haben. Es war der erste Aufstand gegenüber der Kriminalisierung von schwulen, lesbischen und transidenten Menschen. Seitdem erinnern in jedem Jahr queere Menschen an diesen Tag der inneren Befreiung; und in jedem Jahr von Neuem erinnern sie daran, dass es Selbstbewusstsein, Mut und Kraft braucht, in einer Welt zu leben, in dem andere bestimmen darüber, was normal und was unnormal ist. Und es braucht bis heute Geduld, auch nach 53 Jahren, da Menschenrecht und Selbstbestimmung in unserer Welt immer noch nicht selbstverständlich sind.
Paulus wusste: Die Gefängnismauern kann er deshalb ertragen, weil er sich getragen weiß von einem Gott, der ihn innerlich frei macht, auch wenn er äußerlich gefangen ist. Und er wusste, dass die innere Freiheit unabdingbar auch eine äußere Freiheit nach sich ziehen würde.
Jeder Mensch braucht eine solche innere Überzeugung, die hilft, sich selbst zu finden und sich treu bleiben zu können auch in schwierigen Zeiten. Das ist für die einen der Glaube, für die anderen eine andere moralische oder ethische Instanz; aber immer verbunden ist es mit dem Wunsch, die eigene Identität nicht verstecken zu müssen.
Identität ist das Stichwort, das mich zum heutigen Fest der Dreifaltigkeit Gottes führt. Identität entwickelt sich im Dialog. Um mich zu finden, braucht es das Gegenüber. Im Dialog entwickelt sich die Fähigkeit der Identifikation mit sich selbst und die Gabe der Abgrenzung, sich von anderen unterscheiden zu dürfen, ‚ich‘ und ‚du‘ nicht zu vermischen. Es braucht das ‚Du‘, um mein ‚Ich‘ wahrnehmen zu können und umgekehrt. Der Dialog ist der Schlüssel. Selbst Gott braucht diesen Schlüssel: Vater und Sohn finden sich in ihrer Unterschiedenheit durch den Geist des Dialogs; sie unterscheiden sich und doch untrennbar eins im Dialog.
Das ist das Ziel eines jeden Christopher Street Day; das ist das Ziel eines jeden Befreiungskampfes. Der Geduld bedarf es, dass dieser Kampf friedlich und einander bereichernd ist. Nicht immer und nicht alle haben diese Geduld; das ist mehr als menschlich. Um diese Geduld möchte ich an diesem Festtag bitten, des es braucht auch heute an vielen Stellen unserer Welt und auch in unserem Land und in unserer Stadt einen Kampf der Befreiung, dass jeder Mensch er oder sie oder er/sie selbst sein können, so wie Gott.