Ansprache von Christoph Simonsen zum Fest Allerseelen 2024

Datum:
Sa. 2. Nov. 2024
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Ansprache um Fest Allerseelen 2024:

Ich möchte uns einen kleinen Augenblick des Verweilens schenken; einen Augenblick, in dem wir uns derer erinnern, die wir vermissen, die uns Partnerin oder Partner gewesen sind, Freund oder Freundin, und die der Tod uns genommen hat. Vielleicht erinnert sich die eine oder der andere an eine Nachbarin oder einen Nachbarn, (vor wenigen Wochen ist viel zu früh mit nicht einmal 5o Jahren mein lieber Nachbar Frank gestorben); oder eines Mensch, mit dem wir kollegial verbunden waren. Nennen wir still ihre Namen und erinnern wir uns all dessen, was wir für sie und sie für uns gewesen sind.

 

Der Tod lässt so viel Unvollendetes zurück, so viel Ratlosigkeit, so viel ´Nicht-gelebtes Leben´, Leben, das uns hätte noch so reich beschenken können. Es tut weh, sich zu erinnern. Aber selbst wenn es möglich wäre, zu vergessen wäre doch keine Alternative. Wer vergisst, der schneidet ein Stück seines eigenen Lebens aus sich heraus; wer vergisst, dem geht die Hoffnung verloren. Und wer vergessen ist, ist gleichsam doppelt tot.

Ja, sich zu erinnern, tut weh. Aber wer sich seinen Erinnerungen stellt, der darf spüren, dass er/sie lebt. Sich zu erinnern, das ist keine rückwärtsgewandte Nostalgie; vielmehr ist es eine zukunftsweisende Kraft.

Mir ist ein Gedicht von Rainer Maria Rilke sehr nahe:

 

„Wenn Du an mich denkst,

erinnere Dich an die Stunde,

ich welcher du mich am liebsten hattest.“

 

Wir sind eingeladen, uns an diesem Allerseelentag unserer Verstorbenen zu erinnern. Dieser Tag, überhaupt der November, ist prädestiniert für schwermütige Gedanken und Erinnerungen. Die Tage werden dunkler, die Stimmungen wankelmütiger, die Gedanken schwerer, die Fragen bedrängender. Da ist es um so wichtiger, sich zu vergewissern, geliebt zu sein, angenommen und geliebt zu sein. Da ist es um so wichtiger, um Menschen zu wissen, deren Liebe wir uns gewiss sein durften. So schmerzhaft die Erinnerungen auch sein mögen, sie bringen uns wieder nahe, was so unendlich weit entrückt zu sein scheint. Sie bringen uns das Leben von unseren Verstorbenen nahe: ihre Art zu lieben, denn Liebe ist immer einzigartig; ihre Gabe, verzeihen zu können, ihre Art, zu streiten, all das ist einzigartig. Sich erinnern schenkt Kraft, sich den Wirklichkeiten des Lebens zu stellen und Erinnerungen lassen eine bleibende Dankbarkeit aufkeimen. Dankbarkeit schenkt Mut, sich dem Leben dann neu und anders zu stellen.

 

Ehrlich gesagt, wenn Christus heute vom ewigen Leben spricht, dann hab ich dafür keine Bilder, mit denen ich mir erklären könnte, was das ist: ewiges Leben. Mir hilft ein Wort, ein Begriff. Mit diesem Wort ist die Ausstellung überschrieben, die wir zur Zeit in der Citykirche zeigen. Ich meine das Wort „Unvergessen“. Das Tragischste, das Zerstörerischste, was einem Lebewesen widerfahren kann, ist, vergessen zu sein. Wer vergessen ist, der ist ins absolute Nichts gefallen. In einem jüdischen Sprichwort heißt es sehr drastisch: „Verweigerte Erinnerung ist Mord“. Umgekehrt ist also der Rückschluss: Wer sich erinnert, der ist dem und der nahe, die den Augen und allen Sinnen entschwunden sind; und der findet eine geheimnisvolle – gläubige - Kraft, Trauer in neues Leben zu verwandeln.