Evangelium Lk 23, 35b - 43
In jener Zeit verlachten die führenden Männer des Volkes Jesus und sagten: Andere hat er gerettet, nun soll er sich selbst retten, wenn er der Christus Gottes ist, der Erwählte. Auch die Soldaten verspotteten ihn; sie traten vor ihn hin, reichten ihm Essig und sagten: Wenn du der König der Juden bist, dann rette dich selbst Über ihm war eine Aufschrift angebracht: Das ist der König der Juden. Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Christus? Dann rette dich selbst und auch uns! Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst! Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
Ansprache zum Fest Christkönig 2019
Leiden ist eine Stadt in Südholland, nahe der Nordsee, fast genau zwischen Den Haag und Amsterdam gelegen. 122.000 Menschen wohnen dort.
Leiden ist auch ein Zustand, der das Leben der Menschen einengt, der Schmerzen an Leib oder Seele verursacht, der Leben zur Qual werden lässt. Es gibt Leiden, die zeigen sich ungeschönt und ungeschminkt der Welt. Es gibt aber auch Leiden, die kein Außenstehender wahrzunehmen vermag, weil sie still und einsam gelitten werden. Gibt es überhaupt ein Leben ohne Leiden, sichtbares oder unsichtbares Leiden?
Müssen wir nicht davon ausgehen, dass in der kleinen südholländischen Stadt Leiden die große Mehrzahl der dort lebenden Menschen still oder sichtbar ihren Leidensrucksack trägt? Sind nicht alle Städte, alle Orte dieser Welt Leidens-Städte? Leiden ist überall. Auch hier, auch hier und jetzt in diesem Raum. Aus Angst heraus, aus Scham oder aus welchen Gründen auch immer, wird ganz viel Leiden versteckt, verdrängt, vergessen gemacht. Aber es ist da, es ist immer da. Schon einfache Fragen vermögen ein Leiden auszulösen; Fragen, die schmerzhaft vor Augen führen, dass wir strukturell permanent für die Ungerechtigkeit in der Welt mitverantwortlich sind. Wie wir leben, wie wir essen, wie wir uns kleiden, all dies ist mitverantwortlich dafür, dass anderen körperliches und seelisches Leid zugefügt wird.
Alles Leben ist immer auch Leiden. Leiden überträgt sich, ist nie nur individuell, und so will aus Leiden ein Mit-leiden werden.
Leiden schreit nach Veränderung. Leiden will überwunden werden. Leiden sucht ein Du, ein Gegenüber. Leiden sucht Trost und Heilung. Wie ein Schlag ins Gesicht muss Jesus da der Ruf der Soldaten und auch seines Mitgehängten gewirkt haben: „Hilf dir selbst“. Jesus schweigt. Was sollte er auch anderes tun? Und auch das ist Wirklichkeit heute: Nicht nur, dass das Leiden zugelassen, ignoriert, ja sogar heraufbeschworen wird, es wird auch noch verhöhnt, verharmlost und verspottet. Leiden ist überall und doch wird es übersehen oder vergessen gemacht oder als unvermeidbar hingestellt.
Einer ist da, der sieht das Leiden Jesu wie es ist. Auch er vermag das Leiden nicht wegzunehmen. Aber er sieht es, noch mehr, er fühlt es. Zwei Leidende, die einander nahe sind. Verändert das etwas? Macht das die Welt besser? Schmälert es das Leiden auch nur eines einzigen anderen Menschen? Nein das tut es wohl nicht! Aber es tröstet. Und noch mehr: Es legt die ganze Unsinnigkeit des Leidens offen und fordert heraus, nach Sinn zu suchen, nach Lebenssinn. „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“, antwortet Jesus zugewandt dem mitleidenden Gehängten.
Hinter Leiden, dem kleinen Ort in Südholland, öffnet sich die Weite des Meeres, der Nordsee und der Blick geht ins Unendliche. Er sagt mir, dass es mehr geben muss als die Leiden dieser Welt, die das Leben so schmerzhaft machen. Dieses „Mehr“ schenkt Jesus seinem Kreuznachbarn. Und er schenkt es auch uns.
Christoph Simonsen