Ansprache von Christoph Simonsen zum Gottesdienst unterm Regenbogen

Datum:
So. 11. Dez. 2022
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Meine Ansprache zum Gottesdienst unterm Regenbogen am 11. Dezember 2022:

Jeden Tag, wenn ich hier zur Citykirche fahre, komme ich an drei für mich prägnanten Orten mit dem Wagen vorbei; Orten, die sich in diesem Jahr sehr verändert haben: Zum einen fahre ich durchs Westend die Blumenberger Straße herunter und sehe, wie sich das Brachland vor der Realschule in eine Grünlandschaft verwandelt hat; ähnliches dann an der Abteistraße der Blick in den Jonaspark und dann natürlich der Geroweiher, der jetzt schon ein ganzes Jahr geschlossen ist und hoffentlich bald neu in grün erblüht. Mönchengladbach wird grüner. Unsere Stadt hat verstanden: Ohne eine lebendige Natur wird Leben trist und öde.

„Die Steppe soll jubeln und blühen. Sie soll prächtig blühen wie eine Lilie“, schreibt Jesaja. Da, wo etwas blüht, kann man die Herrlichkeit Gottes sehen. Jesaja ist eben nicht nur ein großer Prophet, er ist auch ein zu Herzen gehender Akrobat des Wortes; er formt Gefühle und Gedanken in Sprache. So, wie er schreibt, bilden sich unmittelbar Bilder im Kopf: Schöne Bilder, bunte, lebendige Bilder.

Wenn die Welt so aussehen würde, wie Jesaja sie im heutigen Text beschreibt, bräuchte es kein Paradies mehr. Aber unsere Welt sieht nicht so aus; was er beschreibt, scheint nicht mehr als eine schöne Idee, wie die Erde sein könnte. Wer wüsste nicht, dass dieser irdische Garten Eden eine Illusion ist. Ich fahre ja auch mit meinem Auto an den Grünflächen vorbei und geh nicht mit dem Wanderstab zur Arbeit.

Jesaja geht es wohl auch nicht in erster Linie um einen bunten Garten und eine ökofreundliche Erneuerung. Hinter diesen romantischen Umschreibungen steht auch eine sehr reale Erwartung.

„Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott.“ Die erschlafften Hände werden stark und die wankenden Knie fest. Jesaja bringt es auf den Punkt: Gott schenkt den Menschen Stärke, Mut zu einem selbstbewussten Leben und Furchtlosigkeit gegenüber einer verzagten Zurückhaltung.

Nein, Jesaja ist kein Ökofreak, Jesaja erinnert daran, dass Gott das Leben der Menschen zum blühen bringen möchte. Und wenn wir blühen, dann blüht auch die Welt auf.

Bei diesem Wort denke ich an den 24. Januar diesen Jahres und die vorbereitenden Monate davor. Ihr erinnert euch: da strahlte die ARD den Dokumentarfilm „Wie Gott uns schuf“ aus. Mehr als einhundert Menschen, die in der katholischen Kirche haupt- oder ehrenamtlich arbeiten, haben sich als queere Personen geoutet. Lange – zu lange – haben sie geschwiegen. Mutig und entschlossen haben sie ihre Zungen gelöst und all ihre Verletzungen, Enttäuschungen und Erwartungen öffentlich gemacht. Und sie haben etwas in Bewegung gebracht; sie haben wahrhaftiges Leben einem machterhaltenen System gegenübergestellt.

Und ich denke an die Frauen und vielen anderen Menschen im Iran und weltweit, die aufbegehren gegen ein Mullah-System, das sich als gottesfürchtig verkauft, aber menschenverachtend regiert.

Ich denke an die Menschen, die sich für eine geschlechtergerechte Kirche einbringen und für sich in Anspruch nehmen, von Gott berührt zu sein und diese immer wieder von Neuem suchende Gottesnähe mit anderen Menschen teilen möchten, auch als Berufene.

„Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Diese Frage richtet Johannes an Jesus über Mittelsmänner, da er selbst ja im Gefängnis sitzt. Johannes ist Opfer eines Systems geworden, das nichts ändern wollte. Johannes hat die Strukturen dieser Welt in Frage gestellt; er besaß die Größe, die Wahrheit auszusprechen, die den Mächtigen quer saß.

Das hat Menschen überzeugt, so sehr überzeugt, dass sie ihm geglaubt haben. Menschliche Glaubwürdigkeit ist die einzige und wichtigste Voraussetzung dafür, dass Gott sich einen Weg bahnen kann hinein in die Welt.

Wenn Maria dem Engel, Josef den Hirten, die drei Weisen dem Stern nicht geglaubt hätten, wir könnten heute nicht Weihnachten feiern.

Jesaja und Johannes, die Vorboten Jesu, machen uns heute darauf aufmerksam: Jede Zeit und jede Kultur sehnt sich nach Menschen, die Vertrauen ausstrahlen, denen man ansieht, dass sie einem glaubwürdig begegnen. Gott fällt nicht vom Himmel; Gott will erzählt werden, glaubwürdig, verwoben mit der eigenen Lebensgeschichte, nicht lehramtsmäßig, sondern erfahrungsgeschwängert. Und Gott muss dabei immer eine Frage bleiben, so wie wir Menschen uns selbst und einander immer eine Frage bleiben werden. Nur das Eingeständnis eigener Unvollkommenheit, eigener Fragwürdigkeit hält ein Reden von Gott glaubwürdig.

Deshalb sind die Erfahrungen, die ich mit der Aktion Outinchurch oder auch mit der Aktion Maria 2.0 gemacht habe in diesem Jahr für mich unendlich wichtige Glaubenserfahrungen; weil ich spüren und erfahren durfte, dass dort Menschen mit einer mutmachenden Ahnung von einem befreienden Gott von sich selbst – sehr persönlich und offenherzig – sprechen.