Ansprache von Christoph Simonsen zum Pfingstsonntag - Lesejahr C

Datum:
So. 5. Juni 2022
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium nach Johannes (Joh 14,15-16.23b-26)

Wenn ihr mich um etwas in meinem Namen bitten werdet, werde ich es tun. Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen. Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.

 

Ansprache:

Sich erinnern an alles, was wirklich – was einzig – wichtig ist. 

 

Erinnert ihr Euch an die Skepsis, die ich mit Euch geteilt habe vor 14 Tagen im Blick auf den da noch bevorstehenden Katholikentag? Sicher ist meine Skepsis nicht wichtig, dass man sich daran erinnern müsste. Begegnungen und Worte die einen Weg in die Zukunft weisen, die sind wichtig. Die Menge von Veranstaltungen, das Bemühen, über alles zu sprechen, ohne dass wirklich sichtbarer und spürbarer Ernst erkennbar ist, zu ändern, was schlicht nicht mehr zu halten ist: Das halte ich ernsthaft nicht mehr wirklich für erinnerungswürdig. Dieser Zustand unserer Kirche ist so alltäglich und so normal, darüber zu reden ist weggeworfene Zeit.

 

Ich möchte mich mit Euch erinnern an Begegnungen, Erzählungen und an Worte, in denen ich Perspektivisches erkennen durfte; da sind für mich Pfingsterlebnisse. Und ich möchte mich jetzt schon entschuldigen, wenn meine Gedanken etwas ausführlicher und zeitraubender sind.

 

Also: Kleine Verschnaufpause nach einem Dialogvortrag zwischen Ottmar Fuchs und mir auf dem Katholikentag in Stuttgart am vergangenen Donnerstag. Die Botschaft ist so einleuchtend wie erhellend: Die Gnade Gottes schließt nichts und niemanden aus. Wer ausschließt, kann sich nicht auf Gott berufen. 

 

In der Pause schnell zum Italiener, um eine Kleinigkeit zu essen. Auf dem Weg dorthin treffe ich Andreas, den Leiter des Büros der Männerseelsorge der Bischofskonferenz. Er hat den gleichen Weg, also gehen wir gemeinsam etwas essen. Wir unterhalten uns, neben uns am Tisch sitzt ein kirchlicher Würdenträger – allein. Gekleidet mit einer orthodoxen bischöflichen Gewandung. Wir sitzen nebeneinander, kommen aber nicht miteinander ins Gespräch. Mein Gedanke – unausgesprochen: 'Gut, dass der uns nicht versteht, wenn wir hier über das eine oder andere Ereignis quatschen und ziemlich ungeschönt in Frage stellen. Die gerade so gelobte Botschaft wird mir nichts dir nichts von mir selbst missachtet, denn ohne es zu sagen, grenze ich einen Menschen aus, mache mir aufgrund seines Äußeren ein Bild von ihm und lasse ihn im wahrsten Sinn des Wortes rechts liegen.

 

Einen Tag später, am Freitagabend, nach einem langen Tag mit einem eigenen Vortrag sowie der Moderation einer Themendiskussion im Zentrum für Männer, Frauen und Regenbogenpastoral sitze ich mit Max zusammen an der Hotelbar. Max ist Hochschulpfarrer in Berlin und war vorher lange im Vatikan tätig als Mitarbeiter in der Ostkirchenkongregation. Während wir erzählen kommt eben jener draußen vorbei, den ich tags zuvor in der Pizzeria gesehen habe. Max springt auf, rennt nach draußen und kommt mit dem Fremden zurück. Die beiden kennen sich aus ihrer gemeinsamen Zeit in Rom, wie ich später erfahre. Wir werden einander vorgestellt und ich stehe also dem orthodox katholischen Bischof von Athen gegenüber und ein Grinsen in seinem Gesicht signalisiert mir, dass er vielleicht doch das eine oder andere verstanden hat dort in der Pizzeria; und mir wird ein wenig mulmig. Die Botschaft hier: Alles was Du sagst und denkst, bleibt nicht ohne Folge.

 

Und so wurde mir so etwas wie ein vorgezogenes Pfingstereignis geschenkt. Manuel ist Benediktiner der Abtei Montserrat in Spanien, spricht also spanisch und italienisch – kein deutsch, versteht es allerdings ein wenig, weil er zwei Semester in München studiert hat. Ich schaue ihn ein wenig verunsichert an; er schaut mich an und lacht nur laut. Ohne ein Wort zu sagen haben wir uns verstanden. Die Botschaft: das Wohlwollen anderer tut gut.

 

Mit uns am Tisch sitzt ein gemeinsamer Freund von Max und mir; er auch Spanier, mit einem Italiener in Deutschland verheiratet. Die drei unterhalten sich prächtig, switchen in ihrer Erzählung lustig zwischen italienisch und spanisch hin und her – und ich verstehe nur Bahnhof. Ich verstehe nichts, fühle mich aber dennoch ganz in das Gespräch eingebunden, allein dadurch, dass ich achtsam durch Blickkontakte, durch Augenzwinkern und durch Zulächeln immer mit hineingenommen werde in ein Gespräch, von dem ich nichts verstehe. Nicht verstehen, und sich doch eingebunden wissen. Nicht verstehen, und doch sich  verbunden fühlen: Das ist in unserer Gesellschaft alles andere als selbstverständlich. Und ja, es ist zuweilen schwer, kostet Überwindung; manchmal ist es aber auch ganz leicht und stimmt einen unbeschwert und dankbar. Die Welt, in die Gott uns hineingestellt hat ist so unterschiedlich, so divergent, man kann es sich nichtvorstellen. Aber wenn wir uns drauf einlassen, dann wird das Leben richtig spannend und man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Eine weitere neue Botschaft: Vielfalt lerne ich zu schätzen, wenn ich sie an mich herankommen lasse.

 

Wir Menschen, und gerade wir christlich sozialisierten Menschen denken oft, das Leben müsste immer und überall in gleicher Weise einordbar sein. Wir tun alles, um das Leben in klare Strukturen einzubinden: Schwarz oder Weiß, Rechts oder links, Traditionell oder Liberal; und so versuchen wir, das Leben in den Griff zu bekommen. Der ursprüngliche Schöpfungsgedanke Gottes aber ist ein gänzlich anderer; hören wir doch mal rein, in den Schöpfungsbericht. So ist er nicht wörtlich im Buch Genesis verzeichnet, aber so ist er ganz gewiss in Gottes Sinn gemeint:

 

Am Anfang war also G*tt da. Mit Schaffenskraft und Tatendrang.

Ungestaltete Leere. Alles war möglich. G*tt bringt erstmal Licht ins Dunkel und: siehe, da waren nicht nur Tag und Nacht, sondern auch Polarlichter, Abendrot, Morgengrauen, kurze Tage mit wenig Licht und lange Tage mit viel Licht und und und.

Dann widmete G*tt sich dem Wasser. Wasser vom Himmel: Regen, Niesel, Schnee, Pulverschnee, Harsch, Hagel, Eisregen. Wasser auf der Erde: Meer und Land, aber auch das Watt, das manchmal Land ist und manchmal Wasser, Moore, die irgendwie beides gleichzeitig sind, Seen, Flüsse, Inseln und Marschland.

Dann tobte G*tt sich bei den Himmelskörpern aus: Mond und Sonne, aber auch verschiedene Sternarten, Kometen, Asteroiden, Planeten aus Gestein, Planeten aus Gas, ganze Galaxien und Schwarze Löcher kamen G*tt in den Sinn.

Dann machte sich G*tt an die Lebewesen: Pflanzen und Tiere, aber auch Mikroorganismen wie Pilze, Urtierchen und Algen. Hach, was G*tt da alles einfiel. G*tt konnte kaum an sich halten bei all den Farben und Formen und den unzähligen Kombinationen daraus, die da aus G*tt sprudelten. Bäume, Gräser, Sträucher und andere Gewächse: Schwämme, Seeanemonen und Korallen, die Pflanzen ähneln, aber zu den Tieren gezählt werden. Eierlegende Säugetiere wie das Schnabeltier. Vögel, die nicht fliegen können, dafür aber schwimmen wie die Pinguine. Fische, die schwimmen und durch die Luft gleiten können wie der Schwalbenfisch. Eine ganze Reihe von Tiere, die an Land und unter Wasser gleichzeitig leben usw.

Während G*tt so vor sich hinschöpfte und sich daran freute, was da so alles entstand, kam G*tt plötzlich eine weitere Idee. Ach komm, wir machen Menschen. Als unser Bild.

Kaum ausgesprochen, schon waren Menschen da. Manche waren weiblich, manche männlich, manche waren weiblich und männlich zugleich. Von manchen hätte mensch denken können, dass sie weiblich waren, aber sie waren männlich und umgekehrt. Manche waren weder weiblich noch männlich, sondern ganz anders oder hatten mit Geschlecht gar nichts am Hut. Unabhängig davon waren alle Menschen auch groß und klein und mittellang, hatten unterschiedliche Körperformen, Hauttönungen, Augen- und Haarfarben. Manche hatten gute Augen. Andere konnten mit den Händen sehen. Wieder andere hatten so feine Ohren, dass sie die Zwischentöne heraushören konnten. Manche hatten den Traum, auf großen Bühnen Ballett zu tanzen. Andere hatten wunderbare Ideen, wie alle gut zusammenleben könnten. Wieder andere spürten, dass es manchmal mehr als genug ist, einfach zu atmen und konnten sehr gut gar nichts machen. Und und und…. Und dann gab es auch noch alle möglichen Kombinationen und Varianten, sodass am Ende jeder Mensch ein einzigartiges Individuum wurde, das es kein zweites Mal gibt und in keine einzige Schublade passte. Schließlich waren alle G*ttes Bild.

Und G*tt sah alles an, war mächtig überrascht und angetan und berührt von all der Kreativität und Lebendigkeit und Vielfalt und sagte sich: Ja, das ist alles sehr gut. Und das ist bis heute so.

 

Die Botschaft, die sich in die ganze Schöpfung hineingelegt hat: Gott freut sich, wenn wir das Leben in seiner wunderschönen Buntheit zulassen.

 

In der ‚Zerstreuung‘ zu leben, wie es ja bekanntlich in der Geschichte vom Turmbau zu Babel heißt, ist weiß Gott keine Bestrafung, sondern ein Geschenk. Zerstreuung wurde lange als Bestrafung Gottes interpretiert, um dem Hochmut der Menschen, Gottes Geheimnis enthüllen zu wollen, den Garaus zu machen. Aber vielmehr ist es doch eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Schöpfungsgedanken, den Gott den Menschen auf diese Weise in Erinnerung rufen wollte. So deutet es auch die neuere exegetische-theologische Wissenschaft.

Dieses Geschenk der Vielfalt feiern wir heute. Wir feiern heute die Vielfältigkeit, die Gott in diese Welt hineingelegt hat. Ist er nicht wunderbar: dieser göttliche Geist der Vielfalt!

 

Dieser Geist ermöglicht ein Verstehen, ein Verständnis füreinander, ein Wohlwollen aneinander, so dass eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Herkunft, ja nicht einmal eine gemeinsame Religion notwendig sind, einander zu verstehen. Dieser Heilige Geist Gottes bringt einander nahe in größter Unterschiedenheit. Es gibt ein Verstehen, das keine Vorkenntnis benötigt. 

 

Manuel, dieser freundlich dreinblickende Bischof zwinkert mir am Ende des Abends zu und flüstert mir in englisch zu, dass er sehr wohl verstanden hat, über wen und was Andreas und ich in der Pizzeria gesprochen haben, dass es uns manchmal mehr als gegen den Strich geht, was da in unserer Kirche im Augenblick passiert und dann sagt er: Gebt nicht auf, Krisen würden nicht durch Schweigen überwunden, sondern durch ein ehrliches Streiten und Ringen. Eine wunderbare Botschaft, tief in der Nacht nach einem langen wunderschönen Abend: Das Leben ist immer wieder gut für aufbauende Überraschungen.