Gedanken zur Ausstellung - Herbert Falken: Chance im Konflikt
In der Citykirche hängen zur Zeit Bilder des Künstlers Herbert Falken, der vor wenigen Wochen seinen 90. Geburtstag feiern durfte. Und ja, es sind zum Teil verstörende Bilder, widerständige Arbeiten. Etwas verallgemeinernd haben wir die Zusammenstellung dieser sehr früh entstandenen Bilder „Chance im Konflikt“ überschrieben. Wer sich die Zeit nimmt, auf diese Bilder zu schauen, sie auf sich wirken lässt – ich weiß: diese Begrifflichkeit klingt abgedroschen, aber mir fällt keine andere ein -, dem kommen viele Fragen in den Sinn. Eine könnte zum Beispiel sein: Warum malt der Künstler so was? Einerseits sind die Arbeiten sehr real, ja: grausam, leidvoll, aussichtslos erscheinend? Und andererseits erscheinen mir die Arbeiten so zart, so zerbrechlich, so geheimnisvoll. Und eine Antwort könnte dann vielleicht langsam, ganz langsam in einem hochkriechen: ‚Weil das Leben so ist‘.
Herbert Falken ist nicht nur ein genialer und hochgeschätzter Künstler, er ist auch Priester des Bistums Aachen und viele Jahre war er Pfarrer der Gregorius Gemeinde in Aachen. Noch heute schätzen ihn die, die ihn aus der Gemeinde kennen, als liebevollen und den Menschen immer wertschätzenden Seelsorger.
Seelsorger*in kann ich nur sein, wenn ich das Leben so wahrnehme, wie es ist: brutal und zerbrechlich.
Das heutige Evangelium beschreibt ziemliche Schreckensszenarien. Kein Stein bleibe auf dem anderen, alles würde niedergerissen. Auf Kriege und Unruhen bereitet Jesus seine Freund*innen vor, auf Erdbeben, Seuchen und Hungersnöte. Unsere Zeit heute kommt dem, was Jesus da beschreibt, schon ziemlich nahe.
Ich habe ein Bild von Herbert Falken vor Augen: Ein Mensch, an Schläuchen gefesselt; ein Kriegsopfer, Opfer eines Erdbebens? Wer weiß es?
Ein anderes Bild: Ein Mensch stürzt rücklinks eine Treppe herunter; die Schnur, die ihn hält, reißt sie oder hält sie?
Eine ganz kleine Arbeit von Falken, die ein Gesicht zeigt. Scheinbar schnell mit ein paar Bleistiftstrichen dahingekritzelt, und doch so tiefberührend, sieht man doch das ganze Leid, was sich in dem Gesichtszügen wiederspiegelt.
Eine Pieta, also die bildliche Darstellung der Trauerenden Maria, den Leichnam ihres Sohnes im Arm. Und ganz klein darin, in der Schnittstelle der Körper die Andeutung eines Embryos. Gebären, leben, sterben, auferstehen: in einem Bild.
So ist das Leben! Brutal und zerbrechlich. Das nicht wahrhaben zu wollen, kann nicht gelingen. Kein Ablenkungsmanöver kann vergessen machen, das Leben qualvoll ist und zugleich ein großartiges Wunderwerk.
Auch einem Gottesdienst unterm Regenbogen wird das nicht gelingen, sich die Welt schön in Regenbogenfarben zu malen. Wenn in wenigen Tagen in Qatar die Fußballweltmeisterschaft mit viel Glanz und Gloria eröffnet wird, dann kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Sportminister queeren Menschen einen „geistigen Schaden“ unterstellt. Und selbst wenn für den Verlauf der WM allen Unbehelligkeit bescheinigt wird, so ist kein queerer Mensch dort vor Strafe und Folter geschützt, wenn dieses Spektakel Vergangenheit ist. Ja, so ist das Leben.
Ich bin mir gewiss, dass ausnahmslos jede und jeder von uns, das bestätigen kann: Das Leben wirft einen aus der Bahn. ‚Habe ich die Kraft, stehen bleiben zu können, oder falle ich um?‘ Aber die Kraft und der Wunsch, erfüllt zu leben: die ist unkaputtbar.
Die Arbeiten von Herbert Falken zeigen ungeschminkt, dass es keine Garantie gibt, aufrecht stehen bleiben zu können und keinen Schutz davor, in den Dreck zu fallen. Aber sie zeigen eben auch, dass das Leben so wunderbar zart und schutzbedürftig ist.
„Chance im Konflikt“; keine*r bleibt bewahrt davor, mit dem Leben in Konflikt zu kommen. Es mag überschaubare Familienstreitigkeiten geben; ja, die sind schnell überwunden und das Leben geht weiter. Aber was ist, wenn ein Vater, eine Mutter, zu ihrem Kind sagt ‚Du bist für mich gestorben, weil du so bist, wie du bist. In der vergangenen Woche hat sich mir ein Mensch anvertraut, der genau diese Erfahrung machen musste. Sie liegt lange zurück, aber sie tut bis heute weh. „Sogar eure Eltern und Geschwister werden euch ausliefern“. Jesu Wort ist so wahr und zugleich so schmerzhaft. So ist das Leben.
Früher hab ich gern mit meiner Tante ein Spiel gespielt. Sie hat ein Wort ausgesprochen, allerdings rückwärts. Wenn ich das Wort ‚Leben‘ von hinten nach vorne ausspreche, dann ergibt sich das Wort ‚Nebel‘. Mir erscheint das Leben manchmal wie ein Waten durch dichten Nebel. Die Werke von Herbert Falken zeigen diesen Lebensnebel, der über der Welt liegt, auch und vor allem über dem persönlichen, konkreten, eigenen Leben. „Gott ist tot“ steht auf einem Bild von Falken geschrieben und es zeigt in der unteren Hälfte in bluttiefem Rot den Oberkörper eines Menschen, der – man kann es vermuten – gerade auf ein Kreuz genagelt wird. Die obere Hälfte des Bildes ist geradezu nackt, nur eine große Ahnung verheißende weiße kahle Fläche. Und dann heißt es: „Es lebe Gott“.
Herbert Falken ist Künstler und Seelsorger. Seelsorger kann ich nur sein, wenn ich das Leben so wahrnehme, wie es ist. Seelsorger können aber nicht nur die kirchliche Beauftragten sein. Eine Sorge für die Seele, Fürsorge also für das Innerste eines Menschen an eine berufliche Profession zu binden widerspricht dem Taufverständnis. Als Getaufte sind wir per se Fürsorgende füreinander und damit auch Seelsorgende.
Ich habe übrigens in der vergangenen Woche einen interessanten Gedanken gelesen: Wenn es Diakone im Nebenberuf gibt, warum nicht auch Priester oder Priesterinnen; Frauen und Männer, die im Beruf stehen und gleichzeitig als Seelsorgende direkt ansprechbar sind.
Jesus sagt im heutigen Evangelium etwas sehr Naheliegendes: Wir sollten achtgeben auf uns und wir sollen anvertrauen, wir sollten uns einander überlassen. Und da sagt er nichts von besonders Beauftragten. Er spricht die an, die ihm Zuhören.
Für diejenigen, für die Gott eine Lebensfrage und eine Lebenssehnsucht ist: ereignet sich Gott sich in der Sorge füreinander. Gott lässt sich erkennen in der Sorge füreinander.
Herbert Falken hat keinem Gott übergestülpt, aber er hat eingeladen, die Frage zuzulassen, ob Gott eine Antwort sein könnte; der Gott, dem nichts menschliches fremd ist.