Ansprache zum 13. Sonntag im Jahreskreis (A)

Datum:
So. 2. Juli 2023
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Meine Gedanken zum Evangelium:

Evangelium: Matthäus 10,37-42

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten. Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist - amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.

Ansprache:

Meinen Gedanken zum heutigen Evangelium muss eine Zahl voran gestellt werden: 522821 Menschen haben im Jahr 2022 die katholische Kirche verlassen. Mehr als eine halbe Million Menschen, fast doppelt so viele wie unsere Stadt Mönchengladbach Einwohner*innen zählt: sie haben für sich entschieden zu gehen. Und was das Tragische dabei ist: Es wundert mich nicht einmal. Ich bin vielmehr erschrocken über mich selbst, dass ich diesen Vielen Respekt zolle angesichts ihrer Entscheidung; bekunden die meisten von ihnen doch ihren Austritt damit, dass sie mündige Christinnen und Christen sind, die sich nicht länger bevormunden lassen und gleichberechtigt teilhaben möchten am Leben dieser Kirche.

 

Ich habe vor 42 Jahren meinen Dienst in dieser Kirche begonnen mit der Überzeugung, dass zu Glauben in dieser Kirche den Menschen und mir gut tut, dass wir gemeinsam auf Tuchfühlung gehen (ein Wort von Klaus Hemmerle) mit einem Gott, der verbindet, der eint, der Rassen-, Klassen- und Rangunterschiede hinter sich lässt. Stattdessen erlebe ich heute eine Kirche, die sich in einer Art hierarchisch gebärdet, dass ein getaufter Christ, eine getaufte Christin sich wie ein Handlanger vorkommen muss.

 

Jeder einzelne Austritt müsste doch eigentlich Mahnung genug sein für die Entscheidungsträger unserer Kirche, sich zu fragen, ob sie dem Auftrag gerecht werden, der ihnen als Hirten der Kirche auferlegt ist. Der Eindruck, der einem als Außenstehender aber vermittelt wird ist eher der, dass alles getan wird, die Machtgefüge in unserer Kirche zu festigen.

 

Und jetzt möchte ich mit Ihnen auf das heutige Evangelium schauen. Worum geht es? Es geht um Liebe: wer liebt wen wie viel? Es geht um Leben: Man kann es gewinnen, man kann es auch verlieren? Es geht auch ums Kreuz: Und zwar nicht um irgendeines, sondern das selbst zu Tragende. Und schließlich geht es um das Miteinander der Menschen: wer mit wem in Verbindung steht. Und zu allerletzt geht’s ums Ergebnis: Gibt es einen angemessenen Lohn für mein Leben.

 

Wenn wir uns in unserer Kirche gemeinsam diesen Lebensfragen stellen würden, ehrlich, offen, menschlich, dann kämen wir vielleicht dem ein wenig näher, was wir als Kirche sein könnten. Leben, lieben, Schmerz, Zukunft, das sind die Wirklichkeiten, denen wir uns stellen sollten. In all dem mit Gottvertrauen zu leben, das zu ermöglichen, darum geht es. Gottvertrauen geht nur in Offenheit auf Zukunft hin. Festhalten, festzurren, bewahren sind keine Kategorien des Glaubens.

Jesus konfrontiert seine Freundinnen und Freunde mit existentiellen Fragen. Fragen, deren Beantwortung nicht gelingt, wenn von oben nach unten rhetorische Weisheiten verkündet werden. Fragen, deren Beantwortung wir aber näher kommen können, wenn wir gemeinsam Erfahrungen zusammentragen, Leben teilen, zu lieben lernen, einander nicht absprechen, Geist Gottes in uns zu tragen.

 

Manchmal frage ich mich, ob ich in dieser von Machtkämpfen zerstrittenen Kirche noch ein zuhause finden kann. Mein Respekt vor den Vielen, die austreten, zieht unweigerlich die Frage nach sich, warum ich denn noch bleibe. Und diese Frage stelle ich mir heute nicht zum ersten Mal. Die floskelhaften Beschreibungen der Bischöfe, die bedauern, sich erschüttert zeigen, schmerzlich auf die Austrittszahlen blicken: ich kann sie nicht mehr hören, sie klingen hohl und unglaubwürdig.

 

Ich glaube, gerade deshalb bleibe ich in dieser Kirche, weil ich mit denen, die bleiben, den Floskeln unser und mein konkretes Leben gegenüberstellen möchte. Und weil ich erleben darf, dass es in unserer Kirche Menschen gibt, die den Kleinen einen Becher frisches Wasser zu trinken geben. Das erscheint mir glaubwürdiger als alle rhetorischen Glaubenswahrheiten.