Ansprache zum 2. Sonntag im Jahreskreis (B)

Datum:
So. 14. Jan. 2024
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Ansprache:

 

Das waren noch Zeiten, wo man im Gotteshaus schlafen durfte. Heute ist eine Kirche ausschließlich ein Ort der Besinnung, der Stille und des Gebetes. So profane Dinge wie zu schlafen, das wäre heute in einer Kirche undenkbar. Dabei kann sich im Schlaf so viel Wundersames wie Wunderbares ereignen. Dessen sind wir uns gar nicht so bewusst. Der heilige Augustinus, soll einmal gesagt haben, dass es wenig Gesünderes geben würde als einen guten Kirchenschlaf. 

 

Ich bin mir fast sicher, dass Sie sich wundern würden, wenn Ihnen bewusst wird, was so alles passiert, wenn wir schlafen. Zumal in einem Gotteshaus. Denn das haben Wissenschaftler inzwischen bewiesen, dass der Ort, wo man schläft neben anderen Realitäten einen großen Einfluss hat auf unsere Träume.

 

Manchmal, wenn wir aufwachen, erinnern wir uns an kleine Traumfetzen. Diese Erfahrung haben Sie sicher auch schon gemacht. Wissenschaftler sagen: Das, was uns da in Erinnerung kommt, ist nur die Spitze dessen, worüber wir alles im Schlaf nachgesonnen haben. Im Schlaf passiert unendlich viel, viel mehr, als wir zu ahnen wagen. Schlaf ist alles andere als langweilig; Schlaf ist ein wichtiger Akt, denn während wir schlafen, sinnen wir nach über unser Leben, über unsere Hoffnungen und Ängste. Die Zeit des Schlafes ist eine Zeit der Selbstfindung und der Selbstverortung. Und ja: Im Schlaf können wir auch zu Gott finden. Denken Sie nur an den Hl. Ignatius, der in einem Traum sein erstes Gotteserlebnis hatte; oder auch an Josef, dem im Schlaf bewusst wurde, dass er zu seiner schwangeren Braut halten müsse, um Gottes  Willen.

 

Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht: Nur schlafen und dann zur tiefsten 

Gottes- und Selbsterkenntnis gelangen. Ein wenig mehr gehört dann doch noch dazu. 

 

Und hier kommen Samuel und Eli ins Spiel. Aus dem Schlaf erwacht, geht Samuel zu seinem väterlichen Freund und erzählt ihm, was ihm im Schlaf widerfahren ist. Er hat einen Ruf vernommen; und wer anders sollte ihn gerufen haben als der, der in seiner Nähe ist. Deshalb geht er zu Eli und fragt nach dem Anlass. Eli zeigt sich ratlos: „Ich hab dich nicht gerufen.“ Samuel solle ruhig weiterschlafen. Das wiederholt sich dann wieder und wieder. In dieser Prozedur des Sich-Wiederholens reift und wächst etwas. Was da reift, ist beiden selbst nicht so richtig klar, aber dass da etwas in Bewegung gekommen ist, das spüren beide. Glaubenserfahrungen drängen auch auf Vergewisserung von außen. Glauben, der nicht reflektiert wird, steht in der Gefahr eines unausgereiften Absolutismus. 

 

In den Schlaf hinein legt sich bei Samuel eine ungewöhnliche Achtsamkeit. Vielleicht ist der Schlaf ist nicht ganz so tief, vielleicht ist es ist eher ein Dämmern. Wenn wir manchmal sagen, dass wir nicht haben schlafen können, dann ist das oft weniger ein nicht können als ein nicht wollen. ‚Ich will nicht wirklich tief und fest schlafen, weil ich spüre, dass da irgendetwas in mir reifen und gedeihen möchte‘. Im Halbschlaf, da kommen mir zumeist die besten Ideen für eine Ansprache oder einen Vortrag. 

 

Aber wie eben schon angedeutet: Wer käme heute auf die Idee, in eine Kirche zu gehen, um zu schlafen? Das wäre doch geradezu ungehörig, respektlos. Heute gehen die Menschen in die Kirche zu einem Dienst, einem Gottesdienst, tauchen ein in eine Feier, aufmerksam, wachsam, erwartungsvoll. Dem Gotteshaus ist Ehrfurcht entgegen zu bringen. Als erstes lernt ein Kind, das in die Kirche geht, leise zu sein, andächtig. Im Haus Gottes lebt man nicht, so wie man zuhause lebt oder sonst wo. Das Leben in der Kirche ist ein anderes als das Leben zuhause. So denken wir doch, oder?

 

Ich freu mich immer, wenn gerade in diesen kalten Tagen die Freunde von der Straße in die Citykirche kommen, um sich ein wenig aufzuwärmen. Und manchmal beobachte ich dann, wie sie langsam wegnicken und einschlafen. Wenn sie dann wach werden, bekommen sie eine heiße Tasse Kaffee und dann sagen sie manchmal so etwas, wie: „Ach, das hat jetzt aber gut getan“. Eine ganz andere Ort, ein Gotteshaus zu erleben: Es soll gut tun.

 

Früher, zu Jesu Zeiten, da waren die Synagogen nicht nur Orte des Gebetes, sondern sie waren auch Kultur- und Begegnungsraum, und ja: es gab auch Ecken und Nischen, wo man sich zur Ruhe legen konnte. In der Synagoge wurde diskutiert, gestritten, gerungen; da wurde auch gemeinsam gegessen und manchmal schlief man eben auch dort. Es wurde gemeinsam gesucht: Nach Lebenssinn, nach Friedenswegen, nach Hoffnungsschimmern, nach Gott. Solch ein Suchen nach Gott und nach Sinn, das ist eben auch mal anstrengend, so dass man müde in einen beruhigenden Schlaf fällt.

 

Samuel möchte uns an zwei wesentliche Wahrheiten erinnern: Gott ist nicht Gott, um angebetet und in die Abgeschiedenheit dicker Mauern eingeschlossen zu werden.

 

Gott wohnt überall und sehnt sich danach, von Menschen gefunden werden. Gott ist nicht zu allererst in Kirchen zuhause, so wie wir sie heute bauen, architektonisch groß und erhaben, und wie wir sie heute nutzen, ritualisiert abgehoben und der Welt entfremdet; Gott ist zuhause, wo Menschen achtsam sind, zu hören bereit, selbst dann, oder vielleicht gerade dann, wenn alle Sinne auf Entspannung angelegt sind. Gott wohnt, wo wir Menschen uns Ruhe gönnen und einen guten Schlaf, um all das in der Abgeschiedenheit der Ruhe ohne Ablenkung bedenken zu können, was wir gehört haben, worum wir gerungen haben. 

 

Und das Zweite: Gott tritt nicht aufdringlich in das Leben von uns Menschen; er drängt sich nicht auf. Und schon gar nicht will er mit brachialer Gewalt von Mensch zu Mensch übergestülpt werden. Leise ist er, unscheinbar und erst im Gespräch, in einer immer wieder neuen Vergewisserung zeigt er sich behutsam und zurückhaltend.

 

So wünsche ich uns allen aufmerksame Schlafstunden und sensible Gesprächspartner, die uns anleiten, auf die Stimme in unseren Träumen zu hören, es könnte die Stimme Gottes sein.