Ansprache 3. Adventssonntag 2023
Evangelium nach Johannes (1,6-8.19-28)
Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du? Er bekannte und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Christus. Sie fragten ihn: Was dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. Da sagten sie zu ihm: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Antwort geben. Was sagst du über dich selbst? Er sagte: Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Die Abgesandten gehörten zu den Pharisäern. Sie fragten Johannes und sagten zu ihm: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Christus bist, nicht Elija und nicht der Prophet? Johannes antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt, der nach mir kommt; ich bin nicht würdig, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Dies geschah in Betanien, jenseits des Jordan, wo Johannes taufte.
Ansprache:
„Wer bist du?“ Das ist eine spannende Frage. Hättet Ihr auf diese Frage gleich eine Antwort parat? Ich ehrlich gesagt nicht. Zum einen, weil ich manchmal selbst nicht weiß, wer ich bin, weil ich mir selbst fremd bin; und zum anderen, weil ich mir bewusst bin, dass so manche – mehr oder auch weniger gute – Charaktereigenschaft, die ich nennen könnte, und mit denen ich – gerade auch von anderen – charakterisiert werde, im letzten nicht wirklich erkennen lassen, wer ich im Innersten bin.
Und noch einen anderen Blick auf diese Frage finde ich spannend: Nämlich, wer mich das fragt, und wie er oder sie diese Frage betont. Klingt die Frage wie: „Was bis du denn für einer?“, oder eher wie: „Boah, du bist mir ja einer“. Will mich jemand mit dieser Frage bloßstellen, oder auf einen Sockel heben, oder will er mich tatsächlich wirklich kennenlernen.
Ich finde diese Frage bemerkenswert, in vielerlei Hinsicht. Losgelöst von allem für und wider vermittelt sie doch ein Interesse an meiner Person. Deshalb sollte man diese Frage, wenn sie einem gestellt wird, sehr ernst nehmen. Sie hilft zuletzt ja auch, sich selbst wieder näher zu kommen, über sich selbst nachzudenken.
Beides finde ich gerade in unserer schnelllebigen Zeit wichtig: Diese Frage einem Menschen zu stellen, der mich wirklich interessiert, wie auch, sich dieser Frage zu stellen, wenn sich jemand für mich interessiert? Einen Menschen wirklich kennenlernen zu wollen, ist alles andere als selbstverständlich, aber gerade deshalb auch unendlich kostbar. Und mir selbst näher kommen, diese Bereitschaft dazu zeugt von der Ehrlichkeit, sich selbst immer auch eine Frage wert zu sein.
In den heutigen Texten begegnen wir zwei ganz unterschiedlichen Menschen: Jesaja und Johannes. Auch sie werden mit dieser spannenden Frage konfrontiert: „Wer bist du?“. Beide geben sehr selbstbewusst und klar Auskunft über sich.
Jesaja sagt von sich: „Der HERR hat mich gesalbt; er hat mich gesandt, um den Armen frohe Botschaft zu bringen, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind, um den Gefangenen Freilassung auszurufen und den Gefesselten Befreiung, um ein Gnadenjahr des HERRN auszurufen, einen Tag der Vergeltung für unseren Gott, um alle Trauernden zu trösten“.
Und auch Johannes, sagt von sich: „Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat“.
In beiden Selbstbeschreibungen klingt eine Gemeinsamkeit, die man kurz und knapp mit zwei Gewissheiten zusammenfassen könnte: „Ich bin“ und „Ich bin für“. Jesaja wie auch Johannes zeigen zum einen ein großes Selbstbewusstsein und zugleich vermitteln sie, dass sie nur jemand sind, in Bezogenheit auf ein „Du“.
Nun sind die Worte der Heiligen Schrift ja nicht in die Luft geschrieben; sie sind für uns aufgeschrieben. Sie möchten uns anleiten, unserem Selbstbewusstsein näher zu kommen, unseren festen Stand zu finden, wie sie uns dann auch fragen lassen, woraufhin wir leben. Selbstbewusstsein und Lebenssinn bedingen einander. Wenn ich weiß, für wen und für was ich lebe, gibt mir das Stärke und Selbstbewusstsein.
„Ich“ sagen können, sich nicht verstecken hinter Allgemeinplätzen, hinter Vorgesagtem und Vorgedachtem, sich nicht verlieren in einer Menge, in der es nur ein „Wir“ gibt und kein „Ich“ und kein „Du“, weil Eigenständigkeit, eigenes Denken, eigenes Sehnen, eigene Überzeugung unterdrückt werden:
„Ich“ sagen können, weil ich erkannt habe, dass ein guter Geist mich gesalbt hat und weil ich eine Stimme habe, die etwas verkünden kann von der Herrlichkeit Gottes.
Wenn ich diese Kraft in mir spüre, dann kann ich mich auch derer erwehren, die mir leiden, dass ich so bin, wie ich bin.
Auch diese Erfahrung mussten Jesaja und Johannes ja machen. Sie sind auf Widerstände gestoßen und ihnen wurde über mitgespielt. Sie hatten die Kraft, sich selbst treu zu bleiben, weil sie überzeugt waren von der Hoffnung, die in ihnen lebendig war.
Wenn ich überzeugt bin von der Hoffnung, dass Gott mit der Welt Gutes vorhat, durch mich und mit mir; wenn ich überzeugt sind von der Hoffnung, dass Gott sich hineinwebt in mein Leben, damit ich in seinem Namen auftreten kann; wenn ich überzeugt bin von der Hoffnung, dass Gottes Name „Zukunft“ ist, damit ich mich verantwortlich fühle für andere Sorge zu tragen für eine gute Zukunft: Dann werden ich auf die Frage „Wer bist du“ Antworten geben können. Eine einzige Antwort wird es nicht geben; es braucht immer wieder neue Antwortversuche, denn auch das gilt: „Siehe, ich mache alles neu – immer wieder.