Ansprache zum 5. Sonntag im Jahreskreis (B)

Datum:
So. 4. Feb. 2024
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium nach Lukas (Lk 2,22-40)

Als sich für sie die Tage der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung erfüllt hatten, brachten sie das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn darzustellen, wie im Gesetz des Herrn geschrieben ist: Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn heilig genannt werden. Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben. Und siehe, in Jerusalem lebte ein Mann namens Simeon. Dieser Mann war gerecht und fromm und wartete auf den Trost Israels und der Heilige Geist ruhte auf ihm. Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Christus des Herrn gesehen habe. Er wurde vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern das Kind Jesus hereinbrachten, um mit ihm zu tun, was nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten: Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, / wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, / und Herrlichkeit für dein Volk Israel. Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden. Und Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter Jesu: Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, - und deine Seele wird ein Schwert durchdringen. So sollen die Gedanken vieler Herzen offenbar werden. Damals lebte auch Hanna, eine Prophetin, eine Tochter Penuëls, aus dem Stamm Ascher. Sie war schon hochbetagt. Als junges Mädchen hatte sie geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt; nun war sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten. Zu derselben Stunde trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. Als seine Eltern alles getan hatten, was das Gesetz des Herrn vorschreibt, kehrten sie nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret zurück. Das Kind wuchs heran und wurde stark, erfüllt mit Weisheit, und Gottes Gnade ruhte auf ihm.

 

Ansprache

Schauen wir mal, ob das gelingt, eine Brücke zu bauen von der heutigen Tageslesung aus dem Buch Hiob zum Evangelium des Festes der „Darstellung des Herrn“, vielen von uns vertrauter unter dem Namen „Mariä Lichtmess“. Da dieses wunderschöne Fest im kirchlichen Kalender am vergangenen Freitag gefeiert wurde, soll es heute natürlich nicht vergessen sein.

 

„Weltschmerz“, so können wir wohl den Gemütszustand Hiobs am ehesten umschreiben. Hiob leidet an der Welt: Ihn erleidet ein Schicksalsschlag nach dem anderen. Wen wundert es, dass er leidet. Sein Leben ist eine einzige Last. Schon das Aufstehen am Morgen ist ihm eine Last. Und Glück? Glück erfährt er nicht einmal mehr in seinen Träumen. Wozu also noch leben?  

 

Das Buch Hiob erzählt die Geschichte eines Menschen, dem alles genommen worden ist: Seine Familie, Freundinnen und Freunde, sein ganzer Besitz. Alles aufgrund einer Wette. Das stelle man sich einmal vor: Gott und der Satan wetten miteinander, was wohl passiere, wenn einem Menschen alles genommen werden würde. Und Gott setzt auf Hiob, dass er trotz aller Niederschläge nicht von ihm lassen würde. Und Gott gewinnt.

 

Was Hiob erfahren und erleiden musste, ist – Wette hin oder her – nackte Wirklichkeit. Das Leben kann so gnadenlos sein. Und ich behaupte, dass jede und jeder von Ihnen solch einen Tiefpunkt in ihrem und seinem Leben schon einmal erfahren hat. Es wäre ein Gnadengeschenk, wenn dem nicht so wäre. 

 

Als ich am 25. Januar diesen Jahres mit 10.000 Menschen auf dem Sonnenhausplatz stand, um dem neu aufkeimenden rechtsnationalen Terror in unserem Land etwas entgegenzusetzen, da ist mir in Erinnerung gekommen, was ich vor vielen Jahren einmal erleben musste. Ich ging mit einem Freund in Essen am frühen Abend spazieren, als uns eine Gang von Jugendlichen in Armeestiefeln entgegenkam und sie meinen Bekannten angriffen und zu Boden schlugen. Einfach nur so, weil sie Bock darauf hatten. Das war für mich damals in den 90iger Jahren so ein Moment, wo ich an das Gute im Menschen wirklich gezweifelt habe.

 

Dort auf dem Sonnenhausplatz, durfte ich nach der beeindruckenden Rede unseres Oberbürgermeisters meiner persönlichen Angst Ausdruck verleihen, die ich empfinde angesichts der unverhohlen ausgesprochenen rechtsradikalen und menschenverachtenden Parolen, die bis in unsere Tage hinein herausposaunt werden können. Ja, ich habe Angst, dass sich in unserer Gesellschaft wieder ein Nährboden ausbreitet, wo Ausländer, Wohnungslose, Homosexuelle zum Freiwild werden für eine Horde von Unmenschen, die unsere Welt säubern wollen von allen und allem, was ihnen nicht in den Kram passt. Es gibt Menschen, die einem Angst machen; diese Menschen haben nur eines im Sinn, die anderen das Fürchten lehren. Und es gibt Menschen, die darunter zu leiden haben, bitterlich und auf furchtbare Weise. Johannes, mein Freund, weiß, wovon ich gerade rede.

 

Hiob, damals, war am Boden zerstört, verzweifelte an der Welt, ja: und auch an Gott. Für ihn gab es eigentlich nur noch eines: sich hinlegen und geschehen zu lassen, was nach seiner Überzeugung nicht aufzuhalten war. Was könnte ein einzelner schwacher Mensch auch der Willkür der Mächtigen und Wahnsinnigen entgegenstellen? Nichts, davon war Hiob überzeugt. Aber ein Funke Hoffnung loderte doch noch in ihm: Die Hoffnung, dass kein Menschenschicksal Gott gleichgültig ist. Wie schwer muss es für Hiob gewesen sein, sich diesen Funken Hoffnung zu bewahren? Und eine andere – gewagte Frage – wie schwer muss es für Gott gewesen sein, Hiob diese Lasten aufzuerlegen, um dieser Wette willen?

 

Und hier baut sich der Steeg auf zum Fest der Darstellung des Herrn. Hat Gott vielleicht einen Lernprozess durchgemacht. Alleine in Not und Elend den Glauben und die Hoffnung nicht zu verlieren, das ist eine Bürde, die einem Menschen aufzuerlegen, eines Gottes nicht würdig ist. Gott ist lernfähig. Er ist lernfähig, weil er des Mitleids fähig ist. Keine und keiner soll mehr alleine die Schwere und den Schwermut des Lebens alleine tragen müssen. Einander das Leben tragen helfen, diese Kraft erweckt Gott im Menschen, so dass wir Menschen einander zum Geschenk werden können. Hannah und Simeon werden zu Botin und Boten eines tragenden Gottvertrauens für Maria und Josef. Sie ermutigen, was immer auch kommen mag, den Weg mit ihrem Sohn zu gehen. Gottvertrauen wächst, wenn wir ihn einander zusprechen.

 

Dort, auf dem Sonnenhausplatz, hab ich einen Menschen getroffen, der wie Hiob empfand; der sich ohnmächtig fühlte gegenüber dem Wahnsinn, der sich in unserer Gesellschaft breit zu machen versucht und sich am liebsten zurückgezogen hätte in eine andere Welt. Aber weil das verständlicherweise nicht möglich ist, hat er sich ganz ins Private zurückgezogen. Eine Freundin überredete ihn, mitzukommen auf die Kundgebung. In diesem Augenblick hat er wiedergefunden, was er verloren glaubte: Die Lust am Leben und die verloren geglaubte Kraft, dem Bösen in der Welt etwas entgegensetzen zu können: nämlich den Glaube daran, dass diese Welt allen anvertraut wurde von einem Gott, der am Anfang aller Anfänge einmal gesagt hat, dass alles, was er geschaffen hat, gut sei. Damals hat Gott die Wette gewonnen. Hiob mochte gelähmt gewesen sein angesichts der schicksalhaften Nöte, die ihn ereilt haben. Aber er hat sich nicht aufgegeben und eine Hoffnung, eine Kraft gefunden, an das Gute zu glauben. Dass es Menschen gibt, die uns darin zu bestärken bemüht sind, das ist ein Gottesgeschenk. Aus Weltschmerz kann so Lebenskraft und Hoffnung erwachsen.