2024_02_11 Ansprache zum 6. Sonntag im Jahreskreis (B)
Kaputte Jeans und feiner Zwirn
Ne, so wat kann ich doch nicht anziehen. Gar nicht so einfach, eine passende Jeans zu finden. Also, nicht dass es keine Auswahl gegeben hätte in dem Geschäft. Die Wandregale waren voll mit Jeans. Es lag auch gar nicht an meiner ungewöhnlichen Größe. Die Jeans in den Regalen waren schlicht alle kaputt. Löcher am Oberschenkel, am Knie, eingerissen an der Wade. Für so einen modischen Kram bin ich einfach zu alt, und vielleicht auch zu normal. Außerdem wäre mir Frostbeule das viel zu kalt. Schon verrückt: Da geben Leute viel Geld aus und kaufen sich eine kaputte Jeans.
Tragen die jungen Menschen jetzt kaputte Jeans, weil das modern ist, weil „man“ das so trägt heute, oder steckt da noch ein anderer Grund hinter?
Diese mir doch etwas fremde Mode ist im Ursprung eigentlich nichts anderes als ein Zeichen des Protestes. Nicht, um besonders hipp aufzutreten trug man anfänglich die löchrigen Jeans, sondern um sich zu solidarisieren mit denen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen, denen eine bessere und schickere Kleidung nicht vergönnt ist, weil sie sich feines Zwirn einfach nicht leisten können.
Der Ästhetik des Schönen setzte man die Ästhetik des Zerrissenen, Kaputten, Verschlissenen entgegen. So solidarisierte man sich mit den Vergessenen und Abgesonderten in einer auf Prestige angelegten Gesellschaft.
Der Aussätzige, von dem im heutigen Evangelium die Rede ist, der war auch von dieser Realität betroffen. Er hatte allerdings keine Wahl, er musste eingerissene Kleider tragen. So war es Vorschrift zu Zeiten Jesu; wir hörten es eben in der Lesung. Aussätzige durften nicht nur nicht die Stadt betreten, sie mussten auch mit zerrissenen Kleidern kenntlich machen, dass sie Ausgestoßene waren.
Als ich letztens auf einer Richtfestfeier war, da ist mir eines aufgefallen: Alle, also fast alle, hatten einen gediegenen Anzug an, eine leicht farbige Krawatte, zumeist etwas rötlich, und dazu trugen sie braune Lederschuhe. Mein Nachbar bei der Feier stupste mich an und flüsterte mir zu: „Guck mal, die waren alle beim gleichen Herrenschneider“. Das ist das gleiche wie mit den zerrissenen Jeans, nur edler halt. Ich hatte Jeans an und eine Strickjacke. Und ich fiel auf. Peinlich! Oder?
Der Aussätzige, von dem wir eben gehört haben, der hat seinen ganzen Mut zusammengerissen und ist – verbotener Weise – mit seinen kaputten Klamotten in die Stadt gegangen. Er hat dabei sehr viel gewagt, denn er hätte verhaftet werden können und sogar die Todesstrafe hätte sein Schicksal sein können. Um seiner selbst willen hat er diese Gefahren auf sich genommen.
Nun ist uns allen sicher klar: Ein Blick auf plumpe Äußerlichkeiten wird dem Ernst dieser heutigen Texte nicht gerecht. Es geht nicht um das Äußere, es geht darum, dass Menschen andere aussondern, weil sie anders sind: Weil sie nicht am sogenannten normalen Leben teilhaben können, weil sie eben anders sind. Als anders Lebender, anders Empfindender, anders Denkender, anders Liebender, anders den Alltag Erlebender doch ein Teil des Ganzen zu sein, ohne den das Ganze eben nicht ganz wäre, darauf hat der Aussätzige bestanden.
Wir können staunend auf das vollbrachte Wunder schauen; ja, das ist ein großes Geschenk, das Jesus dem Aussätzigen macht. Wunder bleiben aber – wie es das Wort schon sagt – wundersam. Mindestens ebenso wichtig wie das eigentliche Wunder erscheint mir der wunderbar freundliche Blick, die sich zwischen dem Aussätzigen und Jesus auftut. Der sehnsüchtige Blick des Kranken und der zugewandte Blick Jesu.
„Wenn du willst, kannst du machen, das ich rein werde“, so sagt der Aussätzige. Jesus weiß: Nicht die Krankheit hat den Mann unrein gemacht? Natürlich nicht. Er wurde zum Unreinen erklärt, weil die sogenannten Reinen ihn dazu abgestempelt haben.
Dann sagt Jesus sagt zu dem Geheilten, er solle sich den Priestern zeigen. Denen also, die gebrandmarkt haben. Jesus will, dass die Frommen und gesellschaftlich Abgesicherten den Mann in den zerrissenen Kleidern anschauen sollen.
In diesen Tagen des Fastelovend wird so manches von innen nach außen gekehrt. In den unterschiedlichsten Kostümen zeigen so manche auf unseren Straßen, wer und wie und was sie sein wollen oder auch gerade nicht sein wollen. In den Verkleidungen realisieren sich so manche Träume, aber auch Ängste und Befürchtungen. Am Aschermittwoch ist dann wieder alles vorbei. Die einen sagen dann: „Gott sei Dank“; die anderen: „schade eigentlich“. Aber uns bleiben nach dem Aschermittwoch ja immer noch die kaputten Jeans. Sie erinnern uns daran, dass wir uns nicht mit dem ersten Blick zufrieden geben sollten. Zu schnell blitzen Vorurteile auf in Kopf und Herz; und Vorurteile führen selten zueinander.