Gottesdienst am 2. Weihnachtstag 2023 (B)

Datum:
Di. 26. Dez. 2023
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium nach Matthäus (10,17-22)

Nehmt euch aber vor den Menschen in Acht! Denn sie werden euch an die Gerichte ausliefern und in ihren Synagogen auspeitschen. Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt werden, ihnen und den Heiden zum Zeugnis. Wenn sie euch aber ausliefern, macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden. Der Bruder wird den Bruder dem Tod ausliefern und der Vater das Kind und Kinder werden sich gegen die Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.

 

Ansprache

Erinnern Sie sich meines eingangs erwähnten Wunsches: „Lass mich gnädig sein, wie Stephanus, und ruhig bleiben gegenüber allen Schreihälsen und Wutschnaufern.

 

Das ist zweifelsohne ein frommer Wunsch und er klingt sehr christlich, gerade an diesem Festtag dieses ersten Märtyrers der katholischen Kirche. „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an“, so bittet er im Augenblick seines gequält Werdens. 

 

Ich bin nicht wie Stephanus und je länger ich darüber nachdenke, um so weniger möchte ich es auch sein. Mir gehen die Schreihälse und Wutschnaufer auf den Geist. All jene, die unser Miteinander zu vergiften drohen mit dem Schüren von Ängsten und diesen aufgeplusterten Drohgebärden, das Abendland würde untergehen, die christliche Welt würde islamisiert, unsere menschlichen Werte würden ausgehöhlt werden. Dieses zu Ende gehende Jahr 2023 bot viele Gründe, zu verzweifeln und in Sprachlosigkeit zu verfallen angesichts der spalterischen Kräfte, die sich von Tag zu Tag sicherer fühlten und fühlen, ihre Parolen in jede Gazette zu brüllen. 

 

Der Frieden hängt buchstäblich am seidenen Faden; und ich meine nicht nur den schon am Boden liegenden Frieden in der Ukraine oder in Palästina; vielmehr meine ich den Frieden zwischen uns. Rechtsradikale Kräfte plustern sich auf, reißen die Besorgten in unserem Land an sich und auch in unserer Kirche gewinnen die Traditionsbewahrer*innen immer mehr die Überhand, weil die Fragenden und Suchenden, die zu Zweifeln Wagenden immer weniger werden. So viele verabschieden sich innerlich und resignieren. Immer wieder das gleiche Spiel: Erst werden Hoffnungen geweckt; Stichwort: synodale Kirche, und dann kommt der große Rückpfiff, dass wir noch weiter im Gespräch bleiben müssen, dass wir noch nicht so weit sind, dass wir noch geduldig sein müssen.  Wer aber denden Radikalen und Unbelehrbaren, den ewig Wartenden und Ängstlichen in Gesellschaft und Kirche das Feld überlässt, der darf sich nicht wundern, wenn irgendwann die Luft zum freien Atmen ausgeht.

 

Einerseits staune ich ob der Friedfertigkeit und Gelassenheit dieses Stephanus seinen Peinigern gegenüber, andererseits frage ich mich, ob denn diese stoische Zugewandtheit wirklich einen Gesinnungswandel bei seinen Mördern bewirkt hat. Wer krankhaft besessen ist von seiner Überzeugung, von seinem Glauben, von seinen Traditionen, und unfähig, sich selbst und diese in Frage zu stellen, der wird schwerlich sein Handeln zu überdenken bereit sein.

 

Die Wirklichkeit, die das Evangelium im heutigen Text beschreibt, ist unsere Wirklichkeit. In unserer Gesellschaft blüht eine Situation auf, wo der Starke den Schwachen zu Boden wirft und Überzeugungen und Glaubensgewissheiten in einer Art absolut gesetzt werden, dass sie keinen Freiraum mehr lassen, im Gespräch zu bleiben. Jesu Verheißung, dass der Glaube Grund und Anlass ist, dass Menschen sich gegenseitig verurteilen und bekriegen, ist mehr als aktuell. 

 

Stephanus wird als der erste Märtyrer des christlichen Glaubens verehrt. So lange der Glauben Menschen sterben lässt – und das auch durchaus verstanden in einem übertragenen Sinne, dass Menschen in die Isolation gedrängt werden, dass ihnen ihr Richtig-sein abgesprochen wird, weil sie anders leben und lieben, dass ihnen ihre Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, weil sie zweifelnd sind und unsicher, so lange haben wir es noch nicht gelernt, was es heißt, aus dem Glauben heraus zu leben. 

 

Mit dem Gedenktag des hl. Stephanus muss uns klar werden, dass es uns nicht um schöne und idealisierte Bilder gehen darf, die wir uns selbst malen. Es geht um das Bild, das Gott in die Welt gelegt hat, und zwar in unsere reale Welt, ungeschönt und mit allen Widersprüchen und Bedrängnissen: 

 

Die Jesusgeschichte begann trotz aller Armseligkeit so schön: Engel sangen, Hirten erkannten die Würde des Kindes, Könige ließen ihre Menschlichkeit erkennen und beteten ein kleines Kind an. So schön alles auch anfing, auch in diese Geschichte webte sich Unmenschlichkeit hinein mit Herodes und Pilatus und den gesetzesverhafteten Pharisäern. 

 

Daran ist Jesus gescheitert, wie später auch Stephanus. Aber bevor sie gestorben sind, haben sie gelebt. Sie haben ihrem Leben Sinn gegeben in einem offenen und klaren Aufbegehren gegen jegliche Art der Unmenschlichkeit und allen Tendenzen der Ausgrenzung. Wie sein Lehrer ist Stephanus seiner Überzeugung treu geblieben, dass Gott auf der Seite der Entrechteten steht, dass Leben nur als geteiltes Leben Sinn ergibt und Sinn schenkt und dass Gewaltlosigkeit eine Zukunft schenkt, die keine Waffengewalt je erzielen könnte. Dafür hat Stephanus seine Stimme erhoben und dafür wurde er bestraft. In diesem letzten Kampf ist er sich selbst treu geblieben: Gewalt und Hass ist keine Lösung; nie und nimmer!

 

„Lass mich gnädig sein, wie Stephanus, und ruhig bleiben gegenüber allen Schreihälsen und Wutschnaufern“. So habe ich den Gottesdienst mit Ihnen begonnen. Dieser Wunsch, diese Bitte steht immer noch im Raum. Wenn ich am Ende meines Lebens diese Gelassenheit in mir spüre, und ich mir dann selbst zusprechen kann, in meinem Leben zuvor mit meinem Ringen, mit meinem Zweifeln, auch mit meiner Ungeduld und womöglich auch mit meinem Aufbegehren einen lebendigen und lernenden Glauben weitergegeben zu haben, dann ist es gut so. Aber bis dahin wäre es in meinen Augen unredlich, die Hände in den Schoß zu legen und geduldig zu warten, bis auch der letzte dies kapiert hätte, dass Gewalt nie eine Lösung ist. Gott hat uns nicht nur die Geduld und die Demut ins Herz gelegt, sondern auch die Kraft des Wortes und die Gabe des Verstandes. Diese nicht zu nutzen wäre ebenso unredlich – und auch schuldbeladen – wie ein Gleichmut, alles mit Geduld und einer falsch verstandenen Frömmigkeit ertragen zu wollen.