Taufe des Herrn 2024
Evangelium nach Markus (Mk 7,7-11)
Johannes predigte und sprach: Nach mir kommt der, der stärker ist als ich; ich bin nicht wert, dass ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe löse. Ich habe euch mit Wasser getauft; aber er wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.
Und es begab sich zu der Zeit, dass Jesus aus Nazareth in Galiläa kam und ließ sich taufen von Johannes im Jordan. Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.
Ansprache:
"Die Vermessung der Welt": vielleicht kennen einige von Ihnen den Roman von Daniel Kehlmann oder die Verfilmung dieses Buches. Die Erzählung führt uns in das Leben der beiden Wissenschaftler Alexander von Humboldt und Karl-Friedrich Gauß.
Von Humboldt, der aus 110% Neugierde bestand und die Welt und die Menschen und die Zusammenhänge des Lebens verstehen wollte und dem nichts zu verwegen war, dem Unwissen den Garaus zu machen.
Und Gauß, der begriffen hat, dass Mathematik mehr ist als addieren oder subtrahieren, der der Wissenschaft der Mathematik dazu verhalf, sie zu einer Philosophie der Logik zu machen.
Das Buch und noch anschaulicher der Film hat mir wieder einmal auf sehr anschauliche Weise vor Augen geführt, dass das Leben so etwas wie eine Entdeckungsreise ist. Wissenschaft geschieht nicht in erster Linie in abgezirkelten Räumen eines Labors oder eines Arbeitszimmers, sondern mitten in der Welt. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, den Menschen zu begegnen gewillt ist, und den Tieren und der Natur, dem wird der Tag nicht langweilig. So vieles gilt es noch zu entdecken, weil noch so vieles offen ist im Leben. Sich dessen zu Beginn eines neuen Jahres bewusst zu machen, hilft vielleicht ein wenig, der Überzeugung, es ändere sich ja sowieso nichts und das Leben geht einfach so weiter wie immer, eine neue Neugierde entgegenzusetzen.
Ich schaue in das Gesicht eines altgewordenen Menschen und sehe die Spuren, die das Leben dort eingegraben hat; ich sehe in das Gesicht eines jüngeren Menschen und bin ergriffen von den Fragen, die mir entgegen leuchten und ich sehe in den Spiegel und werde neugierig, mich selbst besser verstehen zu können.
Es ist schön zu erkennen, dass Leben Bewegung und Veränderung ist, und dann wahrzunehmen, dass es im Leben immer noch etwas gibt, dass sich klären kann. Wenn etwas klarer, verstehbarer, verständlicher wird: ist das nicht toll?!. Solche Erkenntnis tut gut. Sie zeigt mir, dass es weiter geht im Leben, dass das Leben immer ein Vorankommen ist. Nur wer sucht, findet eben auch. Nur, wen die Neugierde packt, vermag auch Befriedigung zu erfahren. Wer nichts erwartet, verfängt sich in Gleichgültigkeit und Belanglosigkeit und wird blind allem gegenüber, was erkannt werden möchte.
Vielleicht war Johannes der Täufer so etwas wie ein Vorläufer derer von Humboldt's und Gauß'. Auch er war ein ewig Suchender. Er war ein Un-zu-friedener im wahrsten Sinn des Wortes, er suchte den Frieden, den er bis dahin noch nicht wirklich gefunden hat. Bis sich dann der Himmel geöffnet hat und da wurde etwas klarer, was Leben sein möchte: Nämlich eine Entdeckungsreise, die das Gute und Neue sucht im Wissen darum, geliebt zu sein.
Von Humboldt und Gauß und vor und nach ihnen viele andere sind in die reale und in die geistige Welt ganz tief hineingestiegen, um zu begreifen und zu verstehen. Doch so wichtig das ist, zu begreifen und zu verstehen, war dies Johannes noch zu wenig. Er wollte erkennen. Und wer nun auf die hebräische Wurzel dieses Begriffes schaut, der weiß, dass Erkenntnis immer auch ein Akt des Zeugens, des Schöpferischen beinhaltet. Wer erkennt, der erschafft Neues. Die Welt vermessen, um sie besser verstehen zu können, ist das eine. Aber zu erkennen, dass in dieser Welt eine schöpferische Urkraft liegt, dass auf ihr und in ihr ein Geist liegt, der, um Goethe zu zitieren, alles zusammenhält, dazu bedarf es nicht nur eines ausgeprägten Abenteuerwillens wie der des Alexander von Humboldt; es bedarf auch mehr als nur eines so introvertierten Denkvermögens, wie es Karl-Friedrich Gauß zu eigen war. Darüber hinaus bedarf es auch eines sehnsüchtigen Himmelblicks.
Jesus hat sich von Johannes eintauchen lassen in die Tiefen des Jordan, um sich anschließend dem Himmel entgegen zu strecken, der sich dann öffnete und aus dem ihm der Zuspruch entgegenkam, geliebt zu sein. Verstehen und begreifen vermag ich vieles, erkennen kann ich nur aus der Kraft der Liebe.
Erlauben Sie mir eine Konkretisierung all dessen, was ich gerade versucht habe, ins Wort zu bringen: „Fiducia Supplicans“. Dieser Begriff ist Ihnen vielleicht in den vergangenen Tagen einmal zu Ohren gekommen. Das Glaubensdikasterium hat ein Papier unter diesem Namen veröffentlicht, welches Segensfeier für Menschen regelt, die in irregulären Lebenssituationen leben, als für wiederverheiratet Geschiedene und für queere Menschen. Es ist der Versuch, die Lehre der Kirche von der Unauflöslichkeit der Ehe und der einzig gültigen Form des Zusammenlebens zwischen Frau und Mann unangetastet zu lassen und zugleich den Menschen, die irregulär leben, doch den Segen zusprechen zu können. Dieses Papier hat in der afrikanischen Kirche und auch in Amerika und Teilen Europas wie z.B. Polen großen Protest ausgelöst. Darauf gibt es nun eine Klarstellung aus Rom. Sie besagt noch einmal, dass die Morallehre der Kirche nie und nimmer verändert wird, der Segen für „in Sünde lebende Menschen“ aber dennoch gespendet werden kann. Und jetzt kommt der Einschub, er darf nicht länger als 15 Sekunden dauern und er darf nicht in einer liturgischen Feier in einer Kirche gespendet werden.
Merken Sie was: Die Kirche sucht die Quadratur des Kreises: Sie will sich nicht verändern, aber dennoch menschenfreundlich sein. Dabei merkt sie nicht, dass sie sich mit solchen Klarstellungen noch unmenschlicher gebiert und Menschen in einer Art und Weise vor den Kopf stößt und beleidigt, dass es einem schummrig wird. Eine Kirche, die sich nicht selbst in Frage zu stellen bereit ist, die jede Veränderung scheut wie der Teufel das Weihwasser, die wird sich unweigerlich immer weiter von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernen. Denn die Menschen zeigen Offenheit dem Neuen gegenüber, die Kirche scheinbar nicht.
In der Taufe ist uns Menschen die Erkenntnis zuteil geworden, dass sich über uns der Himmel auftut und der Zuspruch den Raum erfüllt: "An dir habe ich Gefallen gefunden. Du bist mein geliebtes Kind". Die zugesprochene Liebe Gottes ist der Schlüssel zur Erkenntnis, allem Geheimnis des Lebens ehrfürchtig zu begegnen und alle eigene Wissbegierde der Liebe zu allem, was lebt, unterzuordnen. Für den Forscher, der den Himmel im Blick hat, ist nicht die erste Frage die nach dem Können oder wollen, vielmehr fragt dieser zuerst: Dient es dem Leben und schafft es den Frieden. Es gibt eine Wissenschaft des Glaubens, das ist die Theologie. Aber wenn die Kirche sich den Erkenntnissen der Wissenschaft entzieht, dann verweigert sie, sich der Lebenswirklichkeit der Menschen zu stellen. Unsere Kirchenvertreter könnten von der Theologie viel lernen und sie müsste es auch. So lange sie dazu nicht bereit ist, so lange ist all ihr predigen über Liebe Makulatur. Und sie vergewaltigt den Gott, der ein Gott der Güte ist und der den Himmel über alle öffnet, die zu lieben bereit sind.