Meine heutige Ansprache, die eigentlich eine Karnevalspredigt werden sollte und dann von der Realität des Krieges eingeholt wurde:
Ich habe Angst vor meinen Worten. Angst, sie könnten zerstören; Angst aber auch, sie wären hohl, belanglos, weil tausende Male ausgesprochen ohne jedwede Konsequenz von abertausenden von Menschen.
Ich habe Angst, die Wut, die aus meinen Worten herausquillt, könnte sich in Tat verwandeln. Meine Wut gegenüber dem russischen Despoten, der sich seine eigene Wahrheit zurechtbiegt, sein eigenes Volk in Sippenhaft nimmt und blindlings einen Krieg beginnt, nur um sein eigenes Ego zu befriedigen. Ich habe Angst, meine Wut könnte mich zerfressen innerlich.
Ich habe Angst, meine Worte erscheinen wie in eine rhetorische Betroffenheitslyrik, wie ich sie auf allen Radio- und Fernsehkanälen in diesen Tagen höre. Zweifelsohne gut gemeint den Gepeinigten gegenüber in der Ukraine, wird keine Sanktion, keine Weltenkonferenz das Leid der Menschen schmälern können. Ich frage mich, ob meine und der anderen Worte nicht auch einem Schuldgefühl entspringen angesichts einer Gleichgültigkeit in der Vergangenheit dem russischen Diktator gegenüber und einem Schweigen gegenüber einer Politik, die diesen Diktator hofiert hat, nur damit wir im Westen unseren Lebensstil nicht zu hinterfragen brauchen. Ich habe Angst, meine Worte verhallen im Nichts.
Ich habe Angst vor meinem eigenen Glauben, der mich – wie schon so oft in meinem Leben – daran erinnert, dass Gott weder ein gütiger, alles verzeihender Vater noch ein Weltenrichter ist, sondern Anfang und Ende allen Denkens, Fühlens und Wissens, Ursprung und Ziel allen Lebens, das gewollt und geliebt ist und dass wir aufgefordert sind, mit den geschenkten Gaben und Fähigkeiten, zu erhalten und zu beleben, was im Namen des Ewigen in diese Welt hineingelegt worden ist. Und deshalb habe ich Angst, dass alle Aufrufe zu Gebet, alle Gesten und Riten, zu denen in diesen Tagen wieder aufgerufen wird, ablenken von der Verantwortung, die uns von Gott übertragen wurden. Und gleichzeitig weiß ich und fühle ich, dass alle Gebete, alle angezündeten Kerzen Ansporn sein können dazu, sich selber aufzumachen und sich selber zu fragen, was jetzt zu tun und zu sagen ist. Kein Gebet und keine entzündete Kerze wendet die Not; aber jedes Gebet
und alles Licht ermutigt zum eigenen Handeln und Reden. Ich habe Angst, mein Glaube reduziert sich auf eine kleine Seelentröstung.
Ich habe Angst und ich hoffe, dass meine Angst und die Angst der Vielen in dieser Welt zur Quelle einer Hoffnung werden; einer Hoffnung, die leben lässt, die Leben erneuert, die mein Leben herausfordert zu einem neuen Reden und Handeln. Ich habe Angst; und ich möchte hoffen, dass diese Angst mich nicht in Verdruss führt, sondern in eine Furcht, die einen nächsten Schritt zu erkennen vermag.