Meine Gedanken zum 2. Sonntag in der Osterzeit

Datum:
So. 16. Apr. 2023
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

In diesen Tagen sind zwei Menschen gestorben, die der Welt und ganz vielen Menschen gut getan haben. Sie sind nicht berühmt im eigentlichen Sinn, saßen nie an den Schalthebeln der Macht. Man muss mit Fug und Recht bezweifeln, dass sich ihrer in 10 Jahren noch irgendjemand erinnern wird.

 

Aber mir hat ihr Lebensbeispiel gut getan und vielen anderen auch. Das ist so kostbar und wertvoll und wird viel zu selten erwähnt, dass einem das Leben eines anderen Menschen gut tut. „Du tust mir gut“, wann haben wir das einem anderen Menschen einmal ins Gesicht gesagt? „Ohne wenn und aber tust du mir gut.“ ‚Dein Leben ist mir Vorbild. Auch wenn es vermessen ist, ja sogar dumm, zu denken, ich könnte so werden wie du, so schlummert doch der Traum in mir, dass ich gern ein wenig so wäre wie du‘. Gibt es Menschen, von denen ihr so denkt. Ganz sicher gibt es sie. Ohne Menschen, die uns gut tun, könnten wir gar nicht leben.

 

Ich war damals hier in Mönchengladbach Krankenhauspfarrer und musste viel zu oft mitverfolgen, wie die katholischen Krankenhäuser die unliebsamen Aids Patienten nach Düsseldorf in die Uniklinik abschoben. Da wurde Jaques Galliot, der damals Bischof von Evreux war, vom damaligen Papst Johannes Paul II seines Amtes enthoben, weil er zu aufmüpfig war. Johannes Paul verbannte ihn nach Partenia, einer Stadt in Algerien, die es schon lange nicht mehr gab, da sie unter dem Wüstensand der Sahara untergegangen war. Was für ein Sarkasmus!

 

In seiner letzten Predigt in der Kathedrale von Evreux warnte er vor einer "Kirche des Ausschließens" und plädierte für eine "Kirche der Ausgeschlossenen". „Enfant terrible“, nannten ihn offen seine bischöflichen Kollegen. Er solidarisierte sich mit Aidskranken Menschen und meinte in diesem Zusammenhang, dass Geschlechtsverkehr etwas" großartiges und schönes" sei. Und in einem Beitrag für eine französische Zeitschrift schrieb er: "Homosexuelle werden uns im Himmel vorausgehen." Diese Offenheit hat mir damals so gut getan und mir geholfen, die Ungerechtigkeit zu ertragen, der HIV-Patient*innen in Mönchengladbacher Krankenhäusern immer wieder ausgeliefert waren. „Wir sind geschaffen, um zu befreien“, so sagte er mal zu einem befreundeten Ordensmann in Würzburg.

 

Jaques Galliot lebte dann in Paris zusammen mit Obdachlosen und Illegalen und die Menschen nannten ihn „Bischof der Ausgeschlossenen“. Nun ist er in dieser Osterwoche am vergangenen Mittwoch in Paris gestorben. Wie sehr wünschte ich mir heute Bischöfe mit solch einem menschenfreundlichen Charakter.

 

Am Ostersonntag starb Huub Oosterhuis, den viele von seinen Liedern her kennen, die unsere Gottesdienste mit ihren Texten und Melodien so menschlich bereichern. Auch er hat so seine Erfahrungen mit der Kirche gemacht. 1952 trat der dem Jesuitenorden bei und wurde 1964 zum Priester geweiht. Von 1965 bis 1969 war er Studentenpfarrer in Amsterdam, dann wurde er zunächst aus dem Orden ausgeschlossen, bevor er selbst dann auch aus der katholischen Kirche austrat. Ausgeschlossen wurde er, weil er sich politisch engagiert hat. Ein Gebet, das er einmal in einem Gottesdienst gesprochen hat, hat bei vielen Gläubigen damals Kopfschütteln hervorgerufen: „Herr, wenn Du existierst, so komme dann in unsere Mitte“. Warum nur dieses selbstgewisse Kopfschütteln, frage ich mich heute; ist doch der Zweifel ein Motor des Glaubens. Thomas, von dem wir heute im Evangelium hören, ist doch das beste Beispiel dafür. Mir hat Huub Oosterhuis in seinen Schriften und Liedern immer eines vor Augen geführt: Der Glaube möchte Menschen berühren, möchte ihnen Quelle sein, das eigene Leben entfalten zu können in aller Einzigartigkeit und Vielschichtigkeit. Nicht belehren möchte Gott, sondern bereichern; das Leben nicht einschränken, sondern es weiten. Das hat Huub

 

Oosterhuis in einer wunderbaren und feinfühligen Sprache vermittelt und so wurde er mit seinen Liedern, Gedichten und Schriften zu einem Gottesboten, wie es seinesgleichen sucht.

Jaques Galliot und Huub Oosterhuis möchte ich heute zurufen: „Ihr habt mir gut getan. Ihr habt mir ins Herz gelegt, dass unser Glaube Kraftquelle ist für eine Vision, wie unser Leben auf unserer Erde menschlicher werden kann.

 

Ihr wart im wahrsten Sinn des Wortes Visionäre und habt gezeigt, dass Menschen mit Visionen Grenzen zu überschreiten vermögen, stark machen und beleben. Und da baut sich auch die Brücke auf zu Thomas, von dem wir im heutigen Evangelium hören.

 

Thomas lehrt mich, dass Visionen nicht aus Hirngespinsten erwachsen, sondern gerade aus der Wirklichkeit heraus entstehen. Sein Zweifel, nicht so mir nichts dir nichts nachzuglauben, was die anderen Jünger ihm vorgeglaubt haben; seine Beharrlichkeit, seine Hände in die Wunden Jesu legen zu wollen, seine Sturheit, für sich selbst Entscheidungen treffen zu wollen: All das hat ihn erst beflügelt, belebt und den Auferstehungsglauben in sein persönliches Leben hineingeholt.

 

Visionen, die das alltägliche Leben aus Angst und Perspektivenlosigkeit heraus ersetzen sollen und eine neue heile Welt vorgaukeln, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt; sind sie aber verwoben mit dem Leben und bereit, dieses zu hinterfragen, dann haben sie auch die Kraft, das Leben zu bereichern. Unser christlicher Glaube ist solch eine realistische Vision. Er verbindet sich mit dem Leben und unverhofft und unerwartet ereignet sich Auferstehung – mitten im Leben und nirgendwo anders.

 

Danke Huub Oosterhuis, danke Jaques Galliot, danke Thomas: ihr habt mir gut getan.

 

 

Christoph Simonsen