Meine Gedanken zum Gründonnerstag:
Gott zu begegnen ist keine Frage des Gegenüber sondern des Miteinander. Hier, an diesem Tisch wird das nicht nur zeichenhaft, sondern viel mehr leibhaftig spürbar. Gott ereignet sich in unserer Gemeinschaft; Gott wird erfahrbar, weil wir umeinander wissen; Gott ist nahe, weil wir einander berührend nahe sind.
Wenn wir gewöhnlicher Weise Gottesdienst feiern, dann wird nur peripher sichtbar, was heute unübersehbar ist: Wandlung, Verwandlung geschieht nicht durch Worte, nicht durch einen Ritus; vielmehr ereignet sie sich im Beisammensein, im Zueinanderstehen. Einfaches wird göttlich; Alltägliches wird lebensspendend; Brot macht satt über den Augenblick hinaus und Wein erfüllt mit Freude, die alle Wirklichkeit übersteigt.
Das, was wir Sonntag für Sonntag feiern, was unser Leben so unendlich stark machen möchte, was uns Lebensnahrung sein möchte, ist alles andere als ein Ritus, ein Geschehen an uns. Gott ereignet sich mit uns und für uns. Das ist das alles Begreifen übersteigende, dass Gott nur Gott ist, wenn er es mit uns ist. Er hat sich – im wahrsten Sinn des Wortes – verausgabt, er hat sich voraus gegeben, von sich weg, dort hinein, was er geschaffen hat.
Gott steht uns Menschen, steht seiner Schöpfung nicht gegenüber, gleich einer unantastbaren Autorität; nein: Gott hat sich verinnerlicht in das Geschaffene, in diese Welt, in uns. Deswegen ist die Weise, ihn zu feiern in der Form unserer Gottesdienste nur ein Hilfskonstrukt, entstanden durch den sachlichen Zwang, dass kein Tisch ausreichen würde, die Weltgemeinschaft zusammenzuführen. Wie brotnotwendig wäre das, die Welt zusammenzuführen
Ist es nicht eine Tragik unseres Menschseins, dass wir heute wieder offen über den Sinn eines Tyrannenmordes nachdenken? Wie oft habe ich in den letzten Wochen und Monaten die Frage gehört, warum es denn keiner schaffe, den Kriegstreiber in Russland auszuschalten? Wenn müssten wir dann danach ausschalten? Immer wieder gieren Menschen nach der Weltherrschaft und immer wieder müssen Menschen leiden darunter.
Unser Beisammensein an diesem Tisch ist nicht anders als der Altar im Osten unserer Kirchen ein Behelf; aber anders als der isolierte Altar an der Stirn unserer Kirchen kommt hier und heute zumindest etwas spürbarer zur Geltung, was das größte Geheimnis Gottes ist. Dass wir ihn nicht herbeirufen müssen, dass wir ihn nicht herbeibeten müssen, dass Gottesbegegnung kein Gnadenerweis ist, sondern dass er immer schon zwischen uns ist.
Wo Gott „dazwischen“ ist, braucht es keine Gier mehr nach Herrschaft. Das können wir hier spüren. So verschieden wir sind, so sind wir in aller Verschiedenheit eins. Spüren wir das? Wenn wir es wirklich spüren, dann können wir es auch leben. Das ist die einzige und auch die einzig heilsame Kraft, die bewirken könnte, der zerstörerischen Herrschaft eine lebensspendende Dienkraft gegenüberzustellen. Und ich glaube daran, dass diese – unsere – Dienkraft der Herrschaft der Mächtigen die Stirn bieten kann.
Gotteserfahrung geschieht zu allererst im Teilen und Schenken, „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Wenn wir einander schenken, wenn wir teilen, was unser ist, dann schenken wir Gott, dann teilen wir sein Geheimnis. Und wenn wir einander schenken, schenkt Gott sich.
Mehr als 100 kg Kerzenwachs haben wir in der Citykirche mit Hilfe ganz vieler Menschen gesammelt und den Menschen in der Ukraine ein ganz klein wenig über den harten Winter helfen können. Das ist – wie wir so schön sagen – nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein. Und doch: Es ist ein Grenzen überschreitendes Beispiel eines friedlichen Miteinander. Diese und viele andere kleine und große Zeichen der Verbundenheit werden jene zermürben, die um ihres eigenen Vorteils willen Kriege führen und Leben zerstören.
Leben wird reich, Leben schenkt Frieden, wenn wir tun, was er getan hat. „Tut dies zu meinem Gedächtnis. Ihn tun im Leben, im wirklichen Leben, im realen Wahnsinn unserer Welt, ist Gottesdienst, ist Eucharistie, Danksagung. Ich möchte „Danke“ sagen allen, die diesen Gottesdienst Tag für Tag feiern.
Chr. Simonsen