Meine Gedanken zum Karfreitag

Datum:
Fr. 7. Apr. 2023
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Meine Gedanken zum Karfreitag:

Gott ist tot. So konnten wir im vergangenen Jahr hier in der Citykirche lesen; mit großen Lettern geschrieben auf einem Bild von Herbert Falken.

Gott ist tot. Ich weiß um Menschen, die tief in ihrem Herzen schmerzhaft zu dieser Erkenntnis genötigt wurden. Gläubige Menschen, denen der Glaube gewaltsam entrissen wurde. Menschen, die wegen ihres Glaubens von den Unmenschen des Naziterrors der Vernichtung preisgegeben wurden. Denen nicht nur ihr Leben, sondern ihre Hoffnung und ihr Glaube genommen wurde in den Konzentrationslagern von Auschwitz und Dachau. Gott ist tot. Wie könnte es einen Gott geben, der solch unbeschreibliche Grausamkeit zulässt, wie sie in der Nazidiktatur geschehen ist? Was für eine Glaubenskraft, dass unsere jüdischen Geschwister in diesen Tagen mit uns das Pessachfest feiern und des Auszugs aus der Gefangenschaft Ägyptens gedenken. Ich fühle mich ihnen verbunden und allen die sich nach Freiheit sehnen.

Gott ist tot. Ich weiß um Menschen, die diese Erkenntnis als einen befreienden Gedanken für sich entdeckt haben. Menschen, denen großes Leid zugefügt wurde; körperliches Leid und seelisches Leid – von Menschen, die sich dem Glauben verpflichtet sahen, als Priester, als Lehrer*innen, als Ordensmenschen. Wie könnte es einen Gott geben, der zulässt, dass in seinem Namen gepeinigt wird, geschlagen und erniedrigt. All jenen, die die Hoffnung auf Heilung nicht aufgeben, fühle ich mich an diesem Tag in besonderer Weise verbunden.

Gott ist tot. Ich weiß um Menschen, die in tiefer Weise enttäuscht, ja getäuscht wurden von sogenannten „Boten und Botinnen Gottes“. Sie gaben vor, im Namen Gottes zu sprechen, in Wahrheit aber haben sie diesen Gott missbraucht, ihn aus den Seelen der Menschen herausgerissen, um ihren eigenen Narzissmus zu pflegen. Gott ist tot, er wollte und will nicht mehr in dieser selbstverliebten Gemeinschaft leben, die sich Kirche nennt. Jenen, die trotz alledem suchend durch das Leben gehen, zolle ich meinen Respekt.

Gott ist tot. Ich weiß um Menschen, die diese Überzeugung deshalb hegen, weil sie meinen, damit dem Menschen einen Dienst zu erweisen. Der Mensch sei seines Glückes Schmied; Gerechtigkeit sei eine Tugend, die einzig aus der Willenskraft des Menschen erwachsen kann. Gott ist tot. Hat jemals ein Mensch den Beweis erbringen können, dass Gott am Schicksal der Welt liegen würde? Dass Wissenschaft und Glaube keine Gegensätze sein müssen, davon bin ich überzeugt.

Gott ist tot. Ich weiß um Menschen, die Gott zu Tode verehrt haben, die Gott so sehr in den Himmel lobten, dass er auf Erden keinen Raum mehr zum Atmen hatte. Die Gott so sehr anhimmelten, dass er sich in unerreichbare Sphären verkrochen hat. Gott ist tot. Man kann Gott auch durch erdrückende Umarmungen die Luft zum Leben nehmen. All jenen, die sich ihres Glaubens allzu sicher sind empfehle ich das Wort Jesu: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“.

Gott ist tot. Ja er ist tot. Er starb am Kreuz der Selbstgerechten und Machthungrigen. Er wurde tot-gelacht, tot-geleugnet, tot-geliebt, totgefoltert, tot-gekreuzigt. Ja, Gott ist wirklich tot.

Alle diese Überzeugungen, all diese Gedanken, alle diese menschlich vielleicht sogar nachvollziehbaren Wahrheiten könnten aber auch zu einer anderen Einsicht führen; einer Einsicht, die hoffen lässt, die glauben möglich macht, die dem Leben Sinn schenkt in aller - zweifelsohne oft nicht zu leugnenden - Sinnlosigkeit:

Gott ist nicht tot; nein: Gott ist im Tod. Gott geht in den Tod hinein, um den Tod seiner Endgültigkeit zu berauben. Er geht in den Tod hinein, er geht in die Absolutheit des Sinnlosen hinein, er geht in die Schicksalhaftigkeit alles Unmenschlichen hinein; er taucht ein in das Nichts, um sich mit allen zu verbinden, denen das Leben zum Nichts verkommen ist. Gott solidarisiert sich mit dem Nichtigen. Und diese Solidarität zeigt sich ungeschönt, qualvoll an dem Kreuz, das wir nun zu verehren eingeladen sind. In diesem Kreuz ist Heil, in diesem Kreuz zeigt sich unsere Zukunft. In der Solidarität Gottes mit dem Vergänglichen liegt der Keim der Hoffnung, die Wurzel des neuen Lebens.

In diesem Jahr hängt unser verehrungswürdiges Kreuz über einem Nest. Ein Nest ist ein Lebenshort, ein Lebensort. In einem Nest finden die neu geschlüpften Küken Schutz und Geborgenheit und die Eltern wissen ihre Jungen behütet. Zuvor birgt das Nest die Eier; zerbrechlich liegen sie darin und die Erwartung ist groß, dass bald neues Leben aus dem Nest herauskrabbelt; Leben, das schutzbedürftig ist und abhängig von Liebe und Zuwendung. Zeichenhaft liegen Rosen in dem Nest hier. Nehmt gern zur Erinnerung an diesen Tag nach der Verehrung des Kreuzes eine Rose mit; sie mag euch und uns erinnern an diesen wunderbaren Menschen Jesus, der einst in einer Krippe gelegen ist wie in einem Nest und der in seinem Leben eine wunderbare Botschaft für die ganze Welt hatte: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe“, habt acht aufeinander, sorgt füreinander, steht füreinander ein, dann werdet ihr erkennen, dass kein Tod die Liebe Gottes zur Welt zerstören könnte.

 

Chr. Simonsen