Seit Beginn der Adventszeit ...

3.Advent-3 Kopie (c) John Barrawasser
Datum:
So. 13. Dez. 2020
Von:
Christoph Simonsen

Seit Beginn der Adventzeit liegen hier im südlichen Seitenschiff der Kirche Weihnachtsbücher zum Mitnehmen aus. Dankenswerterweise hat die Mönchengladbacher Gruppe von Amnesty International sie zur Verfügung gestellt. Der Büchermarkt am 1. Adventwochenende durfte ja leider nicht stattfinden, umso schöner, dass Amnesty diese tolle Idee hatte, uns auf diese Weise eine Freude zu bereiten.

Bücher sind was Wunderbares; sie lassen uns eintauchen in die Lebenswelten anderer Menschen, erzählen Geschichten vom Leben, erweitern unseren Horizont, wecken tiefe innere Empfindungen, erinnern uns, dass das Leben licht und dunkel, leicht und schwer, mutig und angstbesetzt ist und wir dürfen teilhaben an den unterschiedlichsten Bemühungen, wie Menschen, mit diesen oft so gegensätzlichen Erfahrungen umzugehen lernen. Wenn die Corona Zeit ein Gutes hatte, dann vielleicht die, dass wieder mehr Zeit da war, ein Buch zu lesen.

„Herzfaden“, so heißt das Buch, das ich gerade lese. Thomas Hettche erzählt die Geschichte des Theaters der Augsburger Puppenkiste. Wer kennt sie nicht, die liebenswürdigen Figuren Jim Knopf und Urmel und Frau Waas und die Blechbüchsenarmee und König Alfons der Viertelvorzwölfte und wie sie sonst noch alle heißen. Der Schriftsteller erzählt aber nicht nur von der Entstehungsgeschichte dieses Puppentheaters kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges und der Sehnsucht der Menschen, wieder das Lachen zu lernen und der Freude am Leben wieder neu etwas abgewinnen zu können; in die Geschichte des Theaters webt er eine fiktive zweite Geschichte hinein. Ein Mädchen findet im Theater eine kleine unscheinbare Tür. Mutig öffnet sie diese Tür und findet sich auf dem Dachboden wieder, wo all die liebenswürdigen Puppen leben, wenn sie nicht auf der kleinen Bühne auftreten. Dort oben auf dem Speicher bekommt sie mit, dass diese uns so fröhlich vertrauten Wesen Angst haben vor einem Horrorkasper, der sich auch auf dem Dachboden versteckt. Wir Leser erkennen sehr bald, dass der Schriftsteller in diese Figur all das hineinlegt, was an Unsagbarem und Unvorstellbarem all denen zugemutet wurde, die das unbeschreibliche Unheil des Holocaust am Ende des Krieges entweder zum ersten Mal bewusst wahrgenommen oder zuvor auch bewusst verdrängt haben. So nah ist alles beieinander: Die Sehnsucht nach ein wenig Freude und Zuversicht und der Schrecken angesichts einer Wirklichkeit, die nie und nimmer ausgelöscht werden kann – von niemandem. Ob all die Liebenswürdigen Wesen der Puppenkiste dort oben auf dem Dachboden diesen Horrorkasper besiegen können? Ich verrate nichts.

„Herzfaden“, das ist der Faden, mit dem die Puppenspieler die Mimik der Marionetten zu steuern vermögen. Welcher Faden steuert unser Herz? Welches Buch ist uns Stütze und Einladung, unserer Lebensangst eine heilsame und tragfähige Lebenszuversicht gegenüberzustellen? In unserem dritten Krippenhaus liegt ein Buch – für uns Christ*innen „das“ Buch – und ganz viele bunte Lesebänder deuten darauf hin, dass auch in diesem Buch Angst und Hoffnung, Kampf und Ruhe, Welt und Gott zur Sprache kommen und in all dem eine Verheißung: „Der Geist GOTTES, des Herrn, ruht auf mir, denn der HERR hat mich gesalbt; er hat mich gesandt, um ein Gnadenjahr des HERRN auszurufen.“

Ob wir dieses Jahr, das uns so sehr aus der Bahn geworfen hat, uns so viel abverlangt hat, ob wir dieses Jahr auch als Gnadenjahr in Erinnerung behalten, irgendwann, wenn uns kein Lebenskiller namens Covid19 mehr quer kommt? Vielleicht finden wir ja in den 365 Lebensseiten des Jahres 2020 Augenblicke, in denen uns unser Herzfaden zum Lächeln gebracht hat. Ich würde es uns wünschen.