Gott fängt neu an: mit seiner Schöpfung, mit uns, mit jeder/m einzelnen.
Einen Anfang wagen. Neu anfangen. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die den Mut und die innere Freiheit haben, etwas hinter sich zu lassen und Neues zu beginnen.
Ich denke an Patrik, einen jungen Mann, der sich in seinem Körper nicht mehr wohlfühlte und Schritt für Schritt, aber mit großer Konsequenz mehr als 50 kg abgenommen hat. Eine Umstellung der Ernährung, sportliche Betätigung unter ärztlicher Begleitung ermöglichte es, dass er sich nun wieder wohlfühlt. Er hat sein Leben total umgekrempelt, nicht nur die Ernährung, seinen ganzen Lebensstil hat er überdacht und verändert. Neu anfangen, sich nicht aufgeben, an sich selber glauben.
Ich denke an die Eltern in meiner Nachbarschaft, die vor genau zwei Jahren, eine Woche vor Weihnachten ihren 19jährigen Sohn verloren haben. Mit seinem Tod ist auch ihr Leben zusammengebrochen. Lebenssinn, Lebensmut: alles war dahin. Viele Gespräche, Geduld, Achtsamkeit und Zuspruch ließen sie wieder neu in ihr Leben zurückfinden. Nichts wird sein, wie es gewesen ist; und doch sehen sie – ganz langsam – nach vorne. Neu anfangen, sich nicht aufgeben, neu Vertrauen lernen.
Ich denke an Tilmann. Wie lange hat er sich mit seinen Sehnsüchten und Lebenswünschen versteckt! Bis er sich selbst nicht mehr ausgehalten hat. Er ist biologisch betrachtet, als Mädchen zur Welt gekommen; aber so lange er denken konnte, hat er sich wie ein Junge gefühlt. Heute, mit 27 Jahren und nach intensiven Gesprächen mit seinem Arzt und einer Psychologin geht er den Schritt der Transition. Neu anfangen, sich nicht aufgeben, sich selbst bejahen.
Gerade in diesem Jahr ist mir persönlich durch viele wunderbare Begegnungen, die mir geschenkt wurden, dies noch einmal bewusst geworden, wie mutig es ist, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Es ist mutig, aber es ist auch notwendig, wenn ich mich nicht selbst verlieren will.
Mit dem Fest, das wir heute und in den nächsten Tagen feiern, hat die Menschheit eine neue Zeitrechnung begonnen. Die Nacht, an die wir heute denken, ist die erste Nacht einer neuen Zeit. In dieser Nacht ist etwas Neues begonnen. Gott hat neu angefangen – mit seiner Schöpfung, mit uns. Auch für ihn ist etwas Neues begonnen. Gott, der zeitlos ist, hat sich der Endlichkeit der Zeit unterworfen. Gott ist Fleisch geworden und er hat sich entschieden, unter uns wohnen zu wollen. Nicht über uns; unter uns und mit uns wollte er wohnen. Es war seine Entscheidung. Neu anfangen, sich nicht aufgeben, seine Liebe nicht aufgeben.
Im Evangelium des Tages hören wir, was Gott bewogen hat, diesen neuen Anfang zu setzen. Gnade und Wahrheit wollte er einbringen und damit das Gesetz ablösen. „Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. An einer anderen Stelle der Heiligen Schrift im 2, Korintherbrief heißt es: „Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden“ („ 2Kor 5,17)
Weihnachten feiern wir den Neuanfang Gottes mit seiner Schöpfung. Auch Gott scheint ein Lernender zu sein; Gesetze mögen im Einzelfall unabdingbar sein, aber Gesetze ersetzen das Leben nicht und vermögen es auch nicht heilbringend zu gestalten.
Vielleicht finden Sie in diesen freien Tagen, die uns das Fest schenkt, bei all den Verpflichtungen, die ja auch mit Weihnachten verbunden sind, ein wenig Zeit und Muße, auf ihr Leben zurückzublicken und ich bin mir sicher, Sie werden bei einem Rückblick auch in ihrem Leben auf Neuanfänge schauen dürfen. Die mögen nicht einfach gewesen sein, aber sie haben es möglich gemacht, dass sie heute da stehen, wo sie sind. Wären sie diese Wegbiegungen in ihrem Leben nicht gegangen, wer weiß, wo Sie heute stehen würden.
Und unserer Kirche wünsche ich, dass sie sich den zum Vorbild nimmt, den sie zu verkündigen bemüht ist, und auch endlich einen neuen Anfang wagt, der unabdingbar ist. Denn wagt sie ihn nicht, hat sie eigentlich kein Recht mehr, sich auf Jesus Christus zu berufen.
Ich auf jeden Fall danke von Herzen jenen, die mir ihr Vertrauen geschenkt haben und mich teilhaben ließen an ihren Umbrüchen und Neuanfängen. Sie lehrten und sie lehren mich: Leben ist Veränderung. Und wenn schon Gott sich Veränderungen stellt, warum sollten wir uns ihnen verweigern.
Das Team der Citykirche wünscht allen eine friedvolle Weihnacht.