Weihnachtsgottesdienst Citykirche 2024 (hier zum Nachlesen)
Reinhard Mey (Das Raunen im Wald)
Begrüßung:
Euch allen einen schönen Abend. Es ist ein ganz besonderer Abend. Wie könnten wir heute Abend Weihnachten feiern, ohne an all jene zu denken, die in diesen Tagen traurig sind, ob all der schrecklichen Dinge, die um uns herum und in der Welt geschehen. „Wenn all das geschieht – das Schreckliche – dann steht auf und erhebt eure Häupter“, so heißt es beim Propheten Jesaja.
Ich möchte uns einladen, einen Augenblick still zu werden. Vielleicht hören wir dann auch das „das leise Raunen der Bäume in dieser Nacht“, wie Reinhard Mey gerade im Lied gesungen hat und vielleicht entdecken wir in uns eine geheimnisvolle Kraft, die uns aufrichtet und uns Mut zuspricht, nicht aufzugeben, nicht zu verzagen und zu hoffen, dass die Welt, dass wir neu werden können.
John:
„Ich frag mich, was es ist, was mich in dieser Nacht bewegt,
und mich so seltsam wehmütig berührt?
Als ob ein längst verschüttetes Gefühl sich in mir regt
das ein erlöschendes Feuer anschürt.
Es ist die schmerzliche Gewissheit, dass wir den Augenblick
In dem wir glücklich sind, nie dann verstehen
Wenn es uns widerfährt und es ist Ruhen unser Geschick
Das Glück erst zu begreifen, wenn wir es von draußen sehen.“
Wir dürfen uns glücklich fühlen, denn in dieser Nacht schenkt uns der Vater etwas ganz Besonderes: ein hilfloses und schutzbedürftiges Kind. Sind wir uns dieses Glückes wirklich in seiner Tiefe bewusst?
So richtig begreifen, das können wir wohl erst – wie es im Lied heißt – wenn wir dieses göttliche Geschenk draußen erahnen. So beruhigend schön dieser Gottesdienst sein mag, so sehr wir uns aufgenommen und angenommen fühlen dürfen jetzt hier in unserem Beieinandersein. Was in dieser Nacht der Weihnacht geschehen ist, das werden wir wohl erst in seiner Tiefe erspüren, wenn wir wieder hinausgehen, in den Alltag unseres Lebens.
Musik instrumental
Es ist dunkel draußen und es ist spät. Dennoch haben wir uns aufgemacht, weil wir alle uns nämlich etwas erhoffen von diesem Abend, von dieser Nacht. Was wären wir, wer wären wir, wenn wir diese Hoffnung nicht in uns spüren würden. Wir wären hoffnungslos und so auch zukunftslos.
Was uns Menschen am Leben hält, das ist doch diese Hoffnung, dass zu leben einen Sinn hat; und es hat Sinn, denn in unser Leben eingewoben ist diese Ahnung, nicht nur für uns selbst zu leben; wir spüren eine Kraft, die uns stark macht, über uns selbst hinauszuwachsen. Diese Ahnung ist wach und lebendig und diese Kraft, diese Lebenskraft, diese Herzenskraft, sie treibt uns an, das zu suchen, was unsere Aufgabe, unsere Bestimmung ist.
Woher kommt diese Ahnung, wer verleiht uns diese Kraft, diese Lebenskraft, diese Herzenskraft?
Nicht aus uns selbst heraus kommt sie! Schau sie dir an, die Welt: Wo wäre da Anlass zu Freude, wo wäre der Ort, der den Menschen wirkliche Freiheit gewährte, wo wäre der Halt, der uns in Frieden verbinden könnte? Wo wäre Licht, das uns in Dankbarkeit einander anschauen ließe? Wo wäre all das, wenn in uns nicht diese Hoffnung wäre, über uns selbst hinauswachsen zu können, auf andere hin, auf die Welt hin? Genau dorthin, in diese Welt hinein sollen wir diese Lebenskraft hineintragen. Wie soll das geschehen?
Dem Unglaublichen Glauben schenken. Wir glauben Unglaubliches: Wir glauben, dass ein Kind, dieses Kind, uns stark machen kann, unserer Hoffnung zu vertrauen; der Hoffnung, dass wir alles in uns tragen, was das Leben zukunftsfähig macht.
Lied: GL 746,1-3 In das Warten dieser Welt
John
Lesung aus dem Buch Jesaja (Jes 9,1-6)
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.
Musik: instrumental
Woher kommt uns Rettung und Halt, wo blühen Friedensorte auf, wo beschenken wir einander mit Achtsamkeit und Freiheit?
John
Psalm nach Uwe Seidel und Diethard Zils:
Jesus ist Aussicht in aller Aussichtslosigkeit,
warum soll ich resignieren?
Jesus ist langer Atem in aller Atemlosigkeit,
warum sollte ich aufgeben?
Und steht es auch tausendmal in jeder Zeitung,
dass Glaube keine Zukunft habe,
ich habe keinen Grund, es nachzureden.
Und sind die Verhältnisse so, dass man fragt:
„Warum schweigt Gott zu all der Ungerechtigkeit,
die doch zum Himmel schreit?“,
dann leihe ich ihm meine Stimme,
und man wird hören, dass Gott schreit.
Aber eines brauche ich, und darum bitte ich:
Eine Handvoll Menschen, die meine Sicht teilen,
eine Handvoll Menschen, die immer wieder zusammenkommen,
versammelt sind in deinem Namen,
und erfahren, dass du, Gott, mitten unter uns bist.
Nur so werden wir der Resignation widerstehen,
nur so werden wir das Unmögliche möglich machen,
Friede und Gerechtigkeit;
nur so werden wir Menschen, wie jener Jesus aus Nazaret:
bis zum letzten da für die Menschen,
bis zum letzten vertrauend,
dass deine Liebe stärker ist als alles Elend und alle Not.
Musik: GL 755 Nun sei uns willkommen
Tagesgebet:
Lebendiger Gott, mach auch uns lebendig, lass uns Mensch werden.
Mache den Stall der Welt zu einem Menschenhaus, in dem der Mensch dem Menschen Bruder und Schwester, Freundin und Freund wird.
Lass einen guten Stern über uns allen aufgehen; über unserer Stadt, über unserem Land, über der Welt.
Mach uns untereinander geistesverwandt. Mache das Klima der Welt menschlich, auf dass Jesus hier und in uns allen nicht abstirbt.
Amen!
John:
Evangelium nach Lukas (Lk 2,1-20)
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.
Lied: GL 753, 1+2 Heiligste Nacht
Ansprache:
Ganz und gar ungewöhnlich, möchte ich mit einem Gebet meine weihnachtlichen Gedanken beginnen. Mein lieber Freund Lior Bar-Ami, der Rabbi der liberalen jüdischen Gemeinde in Wien, hat es aufgeschrieben und veröffentlicht nach dem unvorstellbaren schrecklichen Geschehen in Magdeburg:
Ewiger Fluss des Lebens,
wir wenden uns an Dich in einer Zeit des Schmerzes und der Dunkelheit.
Magdeburg, ein Ort der Begegnung und des Lichts, wurde erschüttert.
Unschuldige wurden getroffen, Freude durch Trauer verdunkelt.
Lass uns nicht in dieser Dunkelheit verweilen.
Sende Deinen Trost zu den Verletzten,
zu denen, die trauern,
und zu denen, die mit Angst zurückbleiben.
Mögen die Herzen derjenigen, die von Hass getrieben sind,
durch Mitgefühl berührt werden,
und mögen die Wege des Friedens stärker sein
als die Straßen der Gewalt.
Wir rufen nach Heilung für die Verwundeten,
nach Mut für die Helfenden,
und nach Weisheit für alle,
die für unsere Sicherheit verantwortlich sind.
Mögen die Flammen der Hoffnung niemals erlöschen.
Mögen wir, als Gemeinschaft,
den Geist der Verbundenheit bewahren und neu entfachen.
Denn in der Einheit liegt unser Schutz,
in der Liebe unser Widerstand,
und in der Menschlichkeit unsere Rettung.
Mögen wir nie den Glauben daran verlieren,
dass Licht das Dunkel vertreiben kann,
und dass ein kleines Licht genügt,
um die Nacht zu erhellen.
Heute feiern wir, dass die Nacht hell wird und die Herzenssonne nicht mehr untergeht. Wir feiern das unwiderrufliche Ja Gottes zu uns. Wir feiern den Grund unserer Befreiung aus Seelennot. Aus der Dunkelheit der Nacht hallt es heraus: ‚Steh auf, hab keine Angst‘. Ist dieser Jubelruf nur für uns bestimmt, die wir hier in Frieden und Gelassenheit das Weihnachtsfest feiern dürfen?
Wer von uns ist nicht berührt, getroffen und auch verzweifelt, angesichts dessen, was dort in Magdeburg geschehen ist? Und dieser Ort ist – das wissen wir alle – in unseren Tagen ein konkretes Synonym für viele andere Orte in der Welt, wo Menschen ihres Lebens nicht sicher sein können.
Ich denke heute Abend auch an Abdul, der in diesen Tagen abgeschoben werden soll zurück in seine Heimat, ein islamisch geprägtes Land. Von dort ist er vor 2 Jahren geflohen, weil er als queerer Mann seines Lebens nicht sicher ist in seiner Heimat. Nun hat ein deutsches Gericht in zweiter Instanz entschieden, dass er heimkehren muss. Die Begründung, es könnte sein, dass er seine Lebenssituation nur vorspiele; er könne nicht beweisen, dass er tatsächlich homosexuell ist. Was für eine unmenschliche Argumentation.
In einer gesellschaftlichen Situation, wo extreme Gruppierungen Angst schüren vor allem, was uns fremd erscheint, welche Wirkkraft hat dort unser Glaube?
Wir feiern Weihnachten, weil irgendwo draußen in Palästina, irgendwo draußen auf dem Feld in einem Schuppen, ein Kind zur Welt gekommen ist, von dem wir glauben, dass es im Namen Gottes diese Welt zusammenhalten wollte. Draußen in der Kälte der Welt liegt der Ursprung unserer Hoffnung.
Deshalb ist es gut, dass wir jetzt wach sind und wach bleiben. Es ist gut, dass die Neugierde uns packt und wir uns vergewissern möchten, was so unerwartet in einer Nacht geschehen kann. Es ist gut: Denn hier, wo wir jetzt sind, zeigt sich die Kraftquelle, die uns nährt, weiterzugeben, weiterzusagen, weiterzuleben, was all jene hören und erfahren möchten, die in dieser Nacht auf Rettung warten.
Es ist gut, dass wir uns aufmachen hin zur Krippe. Wir sehen Maria und Josef. Unsere neue Krippe zeigt die beiden aufrecht stehend. In ihrer Haltung sehe ich einen gewissen Stolz. Stolz sind die beiden ob des Unvorstellbaren, was sie, keine und keiner von uns sich ausdenken könnte; stolz sind sie, nicht überheblich, das wäre etwas anderes. Sie sind stolz darauf, dass sie sich dem Unerwarteten in ihrem Leben gestellt haben, dass sie nicht ausgewichen sind, dass sie nicht im Trott ihres Lebens steckengeblieben sind. Sie haben „Ja“ gesagt zu dem menschlich Unmöglichen. Ihr „Ja“ möchte uns ergreifen und uns in Bewegung bringen.
Mein Wunsch ist, dass wir nicht vor der Krippe stehenbleiben, sondern gleichsam in sie hineingehen und damit hinausgehen in die wirkliche Welt, denn die Krippe Jesu stand eben draußen auf dem Feld. So kann sie uns zur Kraftquelle werden, das Leben in unserer Welt nicht dem Schicksal zu überlassen, sondern unserer Hoffnung.
Nach der Ansprache: (Huub Osterhuis) währenddessen Instrumentalmusik
John
Du, der gesagt hat,
dass du nie fallen lässt
das Werk deiner Hände,
beschäm uns doch nicht.
Du, der die Niedrigen sieht,
kennst von Gesicht die Betrübten,
du wirst nicht verstoßen
die Liebe deiner Jugend.
Du, der geschworen hat:
Du wirst niemals mehr vertilgen
diese Erde.
Und weichen auch Felsen
und wanken die Berge,
du weichst nicht von uns
Lied: GL 245,1+2Menschen die ihr wart veloren
Vor dem Segen: (Huub Osterhuis)
Licht, das uns anstößt früh am Morgen,
zeitloses Licht, in dem wir stehn,
kalt, jeder einzeln, ungeborgen,
Licht, fach mich an und lass mich gehen.
Dass keiner ausfällt, dass wir alle,
so schwer und traurig wir auch sind,
nicht aus des andern Gnade fallen
und ziellos, unauffindbar sind.
Licht, meiner Stadt getreuer Hüter,
bleibendes Licht, das einst gewinnt.
Wie meines Vaters feste Schulter
trag mich, dein Ausschau haltend Kind.
Licht, Kind in mir, mit meinen Augen
schau aus, ob schon die Welt ersteht,
wo Menschen würdig leben dürfen
und jeder Name Frieden trägt.
Alles wird weichen und verwehen,
was nicht geeicht ist auf das Licht.
Sprache wird nur Verwüstung säen,
und unsre Taten bleiben nicht.
Viel-Stimmen Licht in unsren Ohren,
solang das Herz in uns noch schlägt.
Liebster der Menschen, erstgeboren,
Licht, letztes Wort von ihm, der lebt.
Lied: GL 256, 1+4 Ich steh an deiner Krippe hier
Segen: (John und Christoph abwechselnd)
Nico Szameitat
Irgendwo In Gedanken in Magdeburg
Schau, die Welt
endet immer
irgendwo.
Irgendwo
ist die Sonne
abgestürzt.
Irgendwo
ist es komplett
dunkel geworden.
Irgendwo
ist etwas
mit der Waffe,
dem Messer,
der Faust
zu Ende gegangen.
Irgendwo
ist etwas
mit der zugeschlagenen Tür,
der zerschlagenen Hoffnung
zu Ende gegangen.
Irgendwo
ist etwas
mit der völligen Stille
nach den Nachrichten
am Telefon,
im Fernseher,
im Krankenhauszimmer
zu Ende gegangen.
Irgendwo
ist etwas
mit einer Zartheit,
die dir das Herz brechen wird,
zu Ende gegangen.
Aber hör zu,
dieser Segen
ist alles, nur nicht missmutig.
nur nicht missmutig.
Er ist nicht gekommen,
um Verzweiflung zu säen.
Er ist einfach hier,
weil es nichts gibt,
wofür ein Segen
besser geeignet ist
als ein Ende,
nichts, das mehr
nach einem Segen schreit
als eine
auseinanderfallende Welt.
Dieser Segen
wird dich nicht reparieren,
wird dich nicht ausbessern,
wird dir keinen
falschen Trost geben;
er wird dir nicht sagen,
dass sich eine Türe öffnet,
wenn sich eine andere schließt.
Er wird sich einfach
neben dich setzen
zwischen die Scherben
und sanft dein Gesicht
in die Richtung drehen,
aus der das Licht
kommen wird,
und sich
über dir sammeln,
wenn die Welt
neu beginnt.
Lied: GL 249, 1-3 Stille Nacht