Heute möchte ich mir einige Gedanken zu eigen machen, die Tobias Schulte unter dem Titel „An Gott glauben – auch in Zeiten der Krise?“ in einem theologischen Internetforum (www.theologieundkirche.de) veröffentlicht hat. Dort lese ich:
„Es sind – gelinde gesagt – verrückte Zeiten. Zunächst eher verhalten, dann aber umso nachhaltiger hat es das Corona-Virus geschafft, die aktuellen gesellschaftlichen Debatten zu dominieren. Und: Im Unterschied zu den verschiedensten gesellschaftlichen Krisen der … letzten Jahrhunderte, hat es dieses Virus geschafft, auch die Kirchen „stillzustellen“. Selbst in den beiden großen Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts hat es das nicht gegeben: Dass keine „öffentlichen Gottesdienste“ gefeiert werden können!
Es hat mich nicht allzu sehr überrascht, dass eine Frage schnell gestellt wurde, und das insbesondere in eher – völlig wertfrei formuliert – konservativen kirchlichen Kreisen: „Was möchte Gott uns mit dieser Krise sagen?“ Unmittelbar hat man die passende Antwort gefunden: Was früher die Pest war, das ist heute Corona! Keine Frage: Immer schneller, immer weiter, immer höher – das kann doch nicht gut gehen und – endlich – Gott haut dazwischen. Er schickt ein Zeichen, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten! …
Jetzt also Corona – in Zeiten des Massentourismus, um die Menschen wieder zum Beten und Glauben zu bringen. Aber – Hand aufs Herz: Möchten Sie an einen solchen Gott glauben? Ich formuliere und frage noch schärfer: Dürften Sie an einen solchen Gott überhaupt glauben? An einen Gott, der die Menschen damals mit der Pest gestraft hat und den Menschen heute Viren an den bzw. präziser in den Hals schickt, um sie dazu zu bewegen, sich wieder auf ihn zu konzentrieren? Ich bin entschieden: An einen solchen Gott möchte ich nicht glauben. Mit dem berühmten Autor Fjodor Dostojewski möchte ich sagen: Sollte dies der Preis dafür sein, in den Himmel eintreten zu können, ich würde mein Ticket zurückgeben. Der Preis dafür ist viel zu hoch: Menschen leiden unter den Einschränkungen, viele verlieren sogar ihr Leben. Was für ein Gott, der das in Kauf nehmen würde. Die Freundschaft zu sich würde er erpressen. Das funktioniert schon unter Menschen nicht und noch weniger im Glauben an Gott.“
Auch in der gegenwärtigen Krise möchte ich meinen Glauben und mein geistliches Leben nicht in einen unvermittelbaren Gegensatz zu den Erkenntnissen der Wissenschaften und des gesunden Menschenverstandes bringen. Mögen auch manche das so sehen: Ich bin überzeugt: die Corona – Krise ist keine Strafe Gottes! Sie ist Ausdruck und Ergebnis, wenn Sie so wollen: die dunkle Schattenseite unserer globalisierten Lebensart. Und in der hängt eben alles mit allem zusammen und ist eben nicht egal (um im Bild zu sprechen), ob gestern oder heute „in China ein Sack Reis umfällt.“ Da geht uns auch das an, was vor den vermeintlichen Türen unseres Landes geschieht. Denn es kann uns ganz schnell buchstäblich „auf den Leib rücken“.
Gewiss: Das ist anstrengend, ziemlich unübersichtlich und nicht selten auch stressig. Aber es ist redlich zu Ende gedacht wahrscheinlich wirklich ohne Alternative. Es ist der Preis unserer Freiheit. Das gilt allemal für das wirtschaftliche und politische Leben. Das gilt aber auch für unseren Glauben, für unser Christ- und Kirche – Sein, in dem wir gerade jetzt geistlich und praktisch zusammenstehen.
Oder sähen Sie sich lieber als eine Art Marionette in den Händen eines willkürlich handelnden Gottes? Die evolutiven Prozesse einer mitunter rätselhaften Werde-Welt und die abgründigen Freiheiten menschlichen Handelns muten mir die anstrengenden Seiten der Liebe eines letztlich geheimnisvollen Gottes zu. Wer dieses dunkle Geheimnis ernst nimmt, wird sich zukünftig noch mehr davor hüten, IHN als den immer „lieben und guten“ und damit letztlich auch harmlosen Gott für sich zu vereinnahmen.
So versuche ich, das mir zugemutete Maß an Verantwortung und auch das (viel größere und anstrengendere!) meiner Ohnmacht anzunehmen. Dabei halte ich mich aktuell und für mich durchaus stimmig an ein Lied unseres „Gotteslobes“ (Nr. 804). Es singt mit den Worten Kurt Martis:
„Manchmal kennen wir Gottes Willen, manchmal kennen wir nichts.
Erleuchte uns, Herr, wenn die Fragen kommen.
Manchmal sehen wir Gottes Zukunft, manchmal sehen wir nichts.
Bewahre uns, Herr, wenn die Zweifel kommen.
Manchmal spüren wir Gottes Liebe, manchmal spüren wir nichts.
Begleite uns, Herr, wenn die Ängste kommen.
Manchmal wirken wir Gottes Frieden, manchmal wirken wir nichts.
Erwecke uns, Herr, dass dein Friede kommt.“