Heute ist Karsamstag: Tag der Grabesruhe. Tag der Unterbrechung und des Schweigens, das sich sogar die Liturgie unserer Kirche weltweit zu eigen macht. Es ist nicht nur der Schrei des auf Golgota Gekreuzigten, der an diesem Tag nachhallt. Mit ihm höre ich auch die vielen stummen Schreie, die ungelösten Fragen und die hilflose Ohnmacht dieser Pandemiekrise. All das verstört mich und es nagt an meiner Seele.
Wann, wenn nicht heute, wäre Zeit, all den Opfern und den mit ihnen verbundenen Leiden in der Stille unserer Herzen und der geöffneten Kirchen einen würdigen Ort zu geben? Wann, wenn nicht heute, wäre angesagt, sie im Gebet vor Gott zu tragen, ja auch mit IHM/IHR zu hadern und darauf zu bestehen, dass all diese Wunden einmal geheilt und diese Tränen einmal getrocknet werden?
Wie auch schon vorher erlebe ich unsere kirchliche Betriebsamkeit auch in diesen Krisentagen als mitunter hilf- und geistloses Gewusel. Mit Kopfschütteln und Befremden beobachte ich, wie pseudo-magisches Denken und unsensibler Klerikalismus mancherorts wieder Einzug in das sakrale Handeln halten (oder vielleicht auch nie überwunden waren). Das reicht vom fliegenden sakramentalen Segen bis zur Online-Beichte.
Hüten wir uns wenigstens am Karsamstag, den tiefen Abgrund zwischen Tod und Leben mit allerlei gut gemeintem frommen Aktionismus zu überdecken. Karsamstag ist nicht Ostern. Der Karsamstag mutet uns das Schweigen zu, die Ratlosigkeit und die Unterbrechung unserer scheinbar unverzichtbaren Bedeutsamkeiten. Es macht wenig Sinn, schon heute Osterkerzen zu entzünden und Ostereier zu verteilen. Ostern steht noch aus – im Kalender und im realen Leben. Dass für uns alle Ostern wird, dürfen wir hoffen. Ob sich diese Hoffnung bewahrheitet, steht noch dahin …
Wer das nicht aushalten kann und verblüffungsfest mit Halleluja – Rufen herumzieht, muss sich nicht wundern, wenn eine säkulare Öffentlichkeit das als Zynismus oder als lebensfremde Frömmelei empfindet. Mein Osterglaube und der unzähliger anderer Christen wird in diesem Jahr vom Schatten des Karsamtags gezeichnet sein.
Gerade heute erinnere ich mich daran, dass mein jüngst verstorbener Lehrer Johann Baptist Metz nicht nur für eine „Mystik der offenen Augen“ geworben hat. In seiner leidenschaftlichen Art hat er auch für eine geistliche Wiederentdeckung des Karsamstags plädiert. Es ist ein Rat, den ich jetzt, wo das öffentliche Leben heruntergefahren und unsere gemeinsamen Gottesdienste ausgesetzt sind, gerne empfehle.
„Der Literaturwissenschaftler George Steiner hat einmal bemerkt, dass wir in einer Zeit des Todes Gottes leben. Karfreitag liege hinter uns, Ostern vor uns. Ungewiss sei, ob der lange Samstag des Bangens und Wartens je ein Ende finden werde. Ich denke, bevor wir im Osterjubel allzu schnell die Nachtseiten der Wirklichkeit vergessen, gilt es in diesen Tagen, das Verstummen des Wortes Gottes mit zu vollziehen, in der Hoffnung, dass dieses Verstummen nicht das letzte Wort hat.“