Heute möchte ich Sie auf einige inspirierende Gedanken des Jesuiten und langjährigen Schulleiters P. Klaus Mertes aufmerksam machen, die ich im elternforum der KED (Nr. 1-2020, 7) gelesen habe.
„Was heißt es in diesen Tagen Glauben zu leben? Zum einen ist Vertrauen gefragt. Konkret: Vertrauen gegenüber den verantwortlichen Personen in Wissenschaft und Politik, die in diesen Tagen schwere Verantwortung tragen, um die sie vermutlich niemand beneiden wird. Vertrauen auch dann, wenn man zugleich Fragen und Bedenken hat – und wer hätte die nicht? Es muss ja auch möglich sein, Zweifel zuzulassen, ohne sie sofort in den überhitzten öffentlichen Diskurs ins Internet einzuspeisen, der nur Misstrauen sät, ohne etwas Konstruktives beitragen zu können. Es geht allerdings noch mehr auch um das Gottvertrauen, das alles Vertrauen auf Menschen trägt: Vertrauern darauf, dass Gott alles zum Guten fügt: darauf, dass Gott eine Antwort auf die Todesangst der Menschen hat, eine Antwort, die er uns in dem auferstandenen Jesus geschenkt hat.
Glauben leben heißt in diesen Tagen für mich auch, die im Interesse des Schutzes gefährdeter Personen berechtigten Forderungen nach sozialer Distanz als Chance zu sehen, den Wert von sozialer Nähe neu zu entdecken. Vertrauen und Nähe gehören zusammen. In diesen Zeiten des Verzichtes auf Nähe wird die Bedeutung von Nähe für das menschliche Leben bewusst. Einsamkeit ist ebenso wie Krankheit eine fundamentale Bedrohung des menschlichen Lebens. Einerseits gilt es, sich so zu verhalten, dass man andere, insbesondere vulnerable Personen nicht ansteckt. Es gibt ja durchaus eine bedrohliche Nähe. Andererseits wird sich die Situation der Seuchengefahr nicht ohne ein Minimum an persönlicher Tapferkeit bewältigen lassen, also nicht ohne die Bereitschaft zum Risiko, selbst angesteckt zu werden, wenn man sich auf Nähe einlässt, die heilen kann, auch in der Situation der Verseuchung einer Mehrheit der Gesellschaft. Sonst könnten in diesen Tagen Ärztinnen und Pflegekräfte ihren Dienst nicht tun, und ebenso wenig Kassiererinnen, Mitarbeiter des öffentlichen Personennahverkehrs, letztlich auch die Eltern im Verhältnis zu ihren Kindern und vielen anderen, die versuchen, das öffentliche Leben in unverzichtbaren Kernbereichen aufrecht zu erhalten.
Das Evangelium verarbeitet die Problematik von Nähe und Distanz bei Ansteckungsgefahr in der Figur des Aussätzigen, dem es aus guten Gründen in den antiken Gesellschaften geboten war, sich selbst ein Schild umzuhängen und „Aussatz, Aussatz“ zu rufen, wenn sich ihm oder ihr eine gesunde Person näherte. Aussatz bedeutet seit eh und je soziale Ausgrenzung und Vereinsamung. Doch es ist gerade die Pointe des Evangeliums, dass Jesus diese Ausgrenzung durchbricht und Aussätzige berührt; nicht deswegen, weil er die befohlenen Abstandsregeln für sinnlos hält, wohl aber deswegen, weil er im Fall der Fälle auch für sich persönlich bereit ist, den Aussatz auf sich selbst aufzunehmen, wenn es dadurch möglich wird, Aussatz zu heilen. Dies ist ja der innere Kern dessen, was an Karfreitag und Ostern gefeiert wird: „Er hat unsere Krankheiten getragen … Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,4-5) Man kann solches Verhalten nicht zum allgemeinen moralischen Gesetz erheben, aber ganz ohne den Geist Jesu, der Aussätzige berührte, wird die humane Substanz in der Gesellschaft auch schnell aufgebraucht sein.
Das Thema der sozialen Nähe ist auch ein Thema der Digitalisierung. Sowohl in Familien wie in Schulen (aber auch andernorts) machen viele eine doppelte Erfahrung. Einerseits: Wie gut ist es, dass es die digitalen Medien gibt … Viele Kontakte bleiben möglich, die zu früheren Zeiten in einer solchen Situation undenkbar gewesen wären. Andererseits: Wie wenig vermag Digitalisierung all das zu ersetzen, worauf (Menschen) … in diesen Tagen … verzichten müssen. Digitale (Kommunikations-) Konzepte sind sinnvoll als Teil einer … Kultur, in der die analoge Wirklichkeit sowie die persönliche Nahbeziehung zwischen Menschen fundamental ist und bleiben wird. Und das gilt auch für den Glauben, der ohne Nahbeziehung in der Gemeinsamkeit von Gebet und analog gefeierter Eucharistie verkümmert.“
Nicht wenige Christenmenschen machen in diesen Tagen auch im Bereich der Glaubenskommunikation interessante neue Erfahrungen im Umgang mit den digitalen Medien. Ich habe den Eindruck, da zeigen sich ungeahnte Chancen, aber auch ernst zu nehmende Grenzen. Und ich werde gut hinsehen, ob und welcher geistliche Nutzen uns da begegnet und vielleicht als echte Bereicherung erhalten bleibt-