Halt

Haltegriffe (c) Bild von Anemone123 auf Pixabay
Datum:
Do. 2. Apr. 2020
Von:
Pastoralreferent Dietmar Jordan

Im Newsletter der Jesuiten („Ignatianische Nachbarschaftshilfe“) erzählt Felix Schaich SJ, dass ihn in einem Linienbus eine Stellenanzeige für Fahrer*innen des öffentlichen Nahverkehrs daran erinnert hat, wie vielen Menschen wir das Funktionieren unseres öffentlichen Lebens verdanken. Das gilt für den normalen Alltag. Und das gilt erst recht und in besonderem Maße in diesen Krisentagen.

Auch im geistlichen Leben ist es angebracht, nicht nur nach innen oder v.a. nach „oben“ zu schauen. Eine lebenstaugliche Spiritualität lebt ganz wesentlich vom Blick nach „unten“, von der achtsamen Wahrnehmung dessen, was um uns herum gerade passiert. Sie sucht in dem, was uns der Alltag gerade vor die Füße legt, nach Spuren der Anwesenheit Gottes. Und sie vertraut darauf, dass eben dieser Alltag nicht gott-los, sondern eigentlich gott-voll ist.

Denn der Gott, an den wir Christen glauben und auf dessen Weggeleit wir gerade in diesen Krisentagen vertrauen, ist kein weltabgewandter Marionettenspieler in einem fernen Himmel. Sein Wesen ist zugewandte, Leben und Freiheit ermöglichende Liebe. Dieser Gott hat sich „entäußert“ wie der Philipperbrief (2, 6 - 11) sagt. Er hat den Prozessen und Entwicklungen einer mitunter beängstigenden Werde – Welt freien Lauf gelassen. Und er hat sich gebunden und ausgeliefert an die oft schwierigen Wege unserer menschlichen Freiheit. Aber ER/SIE ist da: oft leise und unscheinbar, meist in eher alltäglichem Gewand; wenn Sie so wollen: klein, aber oho!

Weil ich davon überzeugt bin, möchte ich noch einmal auf die Wahrnehmung im Linienbus zurückkommen, von der Felix Schaich in besagtem Newsletter erzählt. Die erwähnte Stellenanzeige für FahrerInnen wirbt mit dem Slogan „Menschen einen Halt geben.“ Was auf den ersten Blick so banal und alltäglich ausschaut, enthält vielleicht eine tiefe religiöse Botschaft. Mir wird dieser Slogan zu einem unaufdringlichen Wegweiser bei der Spurensuche nach Gott. – Genau das ist es doch, was wir uns tief drinnen wünschen: Dass uns jemand HALT gibt in diesen Tagen, wo so vieles ins Wanken gekommen ist, unüberschaubar und stressig.

Felix Schaich sagt es so: „Gib Menschen einen Halt im Leben.“ – Auch wenn zunächst anders gemeint, gewinnt dieser Werbespot gerade jetzt eine neue, aktuelle Bedeutung.  Viele übersehene Menschen geben uns und unserer Gesellschaft momentan Halt. Es sind die Bahn- und Busfahrer*innen, die Personen an den Kassen der Supermärkte und Apotheken, die Pflegekräfte und Mediziner*innen, die systemrelevante Strukturen unserer Gesellschaft stützen. Mit und in ihrem Dienst für unser Gemeinwohl leben sie nicht immer bewusst, aber doch faktisch etwas von dem, was Christus uns in seiner Nachfolge aufgetragen hat. „Im Ausnahmemodus des alltäglichen Lebens in der Corona-Krise wird durch sie deutlich, was uns trägt und hält.“

„Gib Menschen einen Halt im Leben.“ – Es ist das Dasein für Andere, oft unter Vernachlässigung eigener Interessen und unter Relativierung eigener Ansprüche. All denen, die uns jetzt ohne großes Aufsehen kompetent und verlässlich solche Dienste tun, gebührt unser Respekt und unser Dank.

Darüber hinaus kann jede und jeder dazu beitragen, Menschen in diesen Tagen Halt zu geben. Dazu reichen schon kleine Zeichen: Ein Einkauf oder eine Besorgung für Nachbarn, das Telefonat mit den alten (Groß-) Eltern, ein anerkennendes Dankeschön an der Kasse, ein Kartengruß an erkrankte Mitmenschen … Unser Alltag ist keineswegs nur grau und banal. Für geisterfüllte Christenmenschen ist er – zumindest gelegentlich – auch gott-voll. Und um das Evangelium sichtbar zu machen, sind in diesen Tagen menschliche Gesten immer schon mehr als ein unscheinbarer Anfang.