Klage

Datum:
Mo. 6. Apr. 2020
Von:
Pastoralreferent Dietmar Jordan

Gemeinsam mit Christen in der ganzen Welt haben wir am gestrigen Palmsonntag die Karwoche begonnen. Kara bedeutet im Althochdeutschen „Klage, Kummer, Trauer und Sorge“. - Wir wollen also unserer Klage und unserem Kummer, unserer Traurigkeit und Sorge Ausdruck geben und sie vor Gott tragen.

Kummer und Klage über eine weltweite Pandemie, die uns gesellschaftlich und persönlich vor Herausforderungen stellt, die wir bisher nicht gekannt haben;
Kummer und Klage über das Los so vieler Kranker, über die Grenzen unserer Hilfsmöglichkeiten, über das Leid der Sterbenden, über die Verzweiflung derer, die um sie trauern;
Kummer und Klage über unsere Mühsal mit all den Unterbrechungen, über die spürbaren Risse in unserem Miteinander, über all die Ängste und Sorgen, die an uns nagen;
Kummer und Klage über den Lauf der Welt mit ihrer Ungerechtigkeit, mit Hass und Gewalt, mit Hunger, Krieg und Vertreibung;
Klage über die fortschreitende Zerstörung unserer natürlichen Mitwelt,                              Erschrecken und Beschämung über die Rücksichts- und Maßlosigkeit unseres Lebensstils;
Kummer und Klage über unsere Unfähigkeit, all dem entschiedener zu begegnen und mit mehr Leidenschaft und Tatkraft für eine menschlichere und gerechtere Welt einzutreten;
Kummer und Klage über uns selbst und unser oft so brüchiges, beschwertes oder verpfuschtes Leben;
Kummer und Klage auch über unseren schwachen Glauben und über die in vieler Hinsicht armselige Gestalt unserer kirchlichen Gemeinschaft.

Klagen und sich sorgen gehört zum Menschsein und zur Menschenwürde. Es gehört auch zur Spiritualität und zum Beten gott-verbundener Menschen. Und es ist gut, wenn es einen Ort gibt für unsere Trauer, für unsere Enttäuschung und unseren Schmerz. Es ist gut, wenn wir das nicht mit uns allein ausmachen müssen – im stillen Kämmerlein und in der Enge unserer verstörten Herzen. Es ist gut, wenn wir uns dazu die Sprache derer ausleihen, die vor uns gelebt und um ihren Glauben gerungen haben. Es ist gut, wenn wir uns bergen können in den alten, manchmal sperrigen Worten und Bildern der Psalmen, der biblischen Geschichten und Gebete.    

In dieser Woche schauen wir Christen auf unser Leben, in dem es so viel Beklagenswertes, so viel Sorgenvolles und Trauriges gibt. Und wir halten es Gott hin in der Hoffnung, dass er unsere Nöte ansieht und unser Klagen hört.

Das ist das eine. Aber das ist nicht alles!

Wir schauen auch auf Jesus, auf sein Leiden und Sterben am Kreuz von Golgota. Als Christen tun wir das nicht in einem historischen, rückwärtsgewandten Sinn. Wir tun es in einem gegenwärtigen Sinn. Wir tun es in der Überzeugung, dass der Kreuzweg Jesu mit unserem Leben zu tun hat.

Als Glaubende suchen und erahnen wir das tiefe Geheimnis, das in unserem Leiden und im Leiden Jesu tief drin „steckt“: Gott hält sich da nicht heraus. Er ist kein weltabgewandter Gott, der ungerührt und erhaben weit weg in seinem Himmel thront. Der Weg Jesu zeigt uns: Gott lässt sich ein auf all unsere Ohnmacht und auf all unser Leid. Er geht mit uns – bis zum Letzten. Er geht mit uns in unsere Bruchlandungen und unsere Einsamkeit. Und er ist da in den Ängsten und Nöten dieser Krisentage.

Am Ende dieser Woche feiern wir Ostern. Wir tun es in der Hoffnung, dass Hass und Gewalt, dass Krankheit, Leiden und Tod nicht das letzte Wort behalten; dass Liebe und Leben stärker sind; dass Gottes Licht siegt über alle unsere Dunkelheiten.