UNTERBRECHUNG

Datum:
Di. 31. März 2020
Von:
Pastoralreferent Dietmar Jordan

Es gibt eine Flut religiöser Botschaften, die in diesen Krisentagen über alle möglichen Kanäle gestreamt und gesendet werden. Das hat sein Gutes, denn es zeigt und bewirkt: Christenmenschen halten zusammen und unser Glaube gibt uns die Kraft, diese schwierige Situation hoffnungsvoll und getrost zu bestehen. Ich will es trotzdem nicht verhehlen: Manches von dem, was ich so sehe und höre, erschreckt und befremdet mich.

Da scheinen religiöse Eiferer und fromme Weltenretter genau zu wissen, was der Wille Gottes ist und welche Wege jetzt zum Heil führen. Nicht nur in fundamentalistischen Kreisen, auch in der Mitte unserer Kirchen höre ich jetzt die Botschaft von der Strafe Gottes, die eine von den Sünden des Materialismus und der moralischen Dekadenz befallene Menschheit jetzt ereile, und den Aufruf zur jetzt angesagten Umkehr in die altbekannten Gewissheiten der Hardcore – Religion. Nichts gegen Sünde. Und nichts gegen Umkehr. Das sind unaufgebbare Kategorien, besser Erfahrungen, eines aufrechten und wahrhaftigen Christseins. Dennoch möchte ich es mir mit diesen „Wahrheiten“ unseres Glaubens nicht so einfach und nicht so leicht machen. Und ich möchte sie anderen nicht wie einen nassen Waschlappen um die Ohren hauen. Das wäre angesichts der großen und kleinen Leidensgeschichten dieser Tage wenig einfühlsam, ja geradezu zynisch.

Unser Glaube ist eben keine Sammlung verblüffungsfester Gewissheiten und auch nur selten ein seliger Besitz. Wenn überhaupt, dann ist er für viele Zeitgenossen eher ein Suchen und Fragen, ein immer neues Ringen und Durchkämpfen, auch ein Zweifeln und Klagen. Und damit sind sie – oft ohne es zu wissen – in guter Gesellschaft mit großen Gestalten der Bibel, deren Glaubenswege ganz ähnlich unsicher und von vielfachen Brüchen gezeichnet verlaufen sind. Ich denke an Hiob und an Elija, an Thomas und Paulus und natürlich auch an den gekreuzigten Jesus, dessen Schrei auf Golgota zunächst ungehört verhallt ist.

„Die kürzeste Definition von Religion heißt UNTERBRECHUNG.“, so habe ich bei Johann Baptist Metz gelernt. Diese Einsicht bewahrheitet sich für mich gerade in diesen Tagen. Unterbrechung, nicht frommer Aktivismus! Unterbrechung bedeutet nicht Nichtstun, nicht Fatalismus oder resigniertes Aufgeben. Unterbrechung heißt zunächst einmal: loslassen (müssen), schweigen, die Leere und die Ohnmacht ertragen, aushalten, hinhalten und warten (müssen). Gewiss: Das sind Zumutungen, die uns gerade in diesen Tagen alles andere als leichtfallen. Es sind aber auch Erfahrungen, die einem Gott suchenden und um ihn ringenden Menschen nicht erspart bleiben und die uns immer wieder auch geistlich aufgetragen sind.

Jetzt sind die Tage und Zeiten der Unterbrechung unserer gewohnten Abläufe und Sicherheiten. Und wer meint, er oder sie kenne schon die Auswege und wisse schon, was und wie es zu laufen habe, macht sich selbst und anderen etwas vor. Wer jetzt die Unwilligkeit und die Unfähigkeit der Bevölkerung zur Unterbrechung beschwört, wer nach schnellen Auswegszenarien ruft, der handelt m.E. fahrlässig und unklug. Was für die Medizin, für Politik und Wirtschaft und viele andere Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens gilt, das gilt auch für unseren Glauben und unser Christsein. Jetzt ist Stillsein angesagt, aushalten und schweigen. Wer jetzt geistlich allzu vollmundig daherredet, wird leicht zum Schwätzer oder gar zum Scharlatan. Auch für uns Glaubende ist eben nicht einfach alles geregelt. Wir können nur hoffen und beten, dass es am Ende gut ausgeht. Ob und wie es gut ausgeht, entzieht sich unserem Wissen und liegt letztlich nicht in unserer Hand.

Bei meiner Runde an der frischen Luft musste ich heute an die Geschichte von der blutflüssigen Frau denken. Mitten im Gerangel und im Andrang um Jesus hofft sie darauf, einen Zipfel seines Gewandes berühren zu können. (Mk 5,25-34) Und mir kam ein Lied von Jörg Zink und Hans-Jürgen Hufeisen in den Sinn, das mich schon manches Mal durch Zeiten von Krankheit und Verstörung getragen hat. Die Bilder seines Textes treffen mich immer wieder. Auch sie sprechen vom Berühren, nicht vom Ergreifen oder Besitzen des göttlichen Gewandes. Dass uns solch heilsame Berührung in diesen Krisentagen wenigstens ab und an geschenkt wird, ist mein Wunsch für mich und für uns alle.

„Gott, du deines Mantels Saum, möchten wir berühren.
Einen Hauch, ein Wehen kaum gib uns zu verspüren.

Lass Du Dunkler, der so fern, Licht ins Dunkel scheinen,
dass sich wie in einem Stern Erd und Himmel einen.

Sprich, du Naher, unsrem Leid nur ein Wort zu, leise,
heilend, das in Angst und Not uns den Frieden weise.

Eins in dir sind Zeit und Raum, eins sind Not und Fülle.
Gott, in deines Mantels Saum unsre Armut hülle.“